Momente der Datafizierung

Die Dissertation von Markus Unternährer befasst sich mit der Frage, wie in der digitalen Ökonomie Personendaten als wertvolle Güter produziert werden. Sie ist als Open-Access-Publikation bei Transcript erschienen.

In unserem Alltag sind wir täglich mit den Anforderungen und Zumutungen unserer Streifzüge im Netz konfrontiert: Wir bezahlen mit Google Pay, streamen bei Netflix und Spotify, bestellen Produkte bei Amazon, nutzen die Online-Abonnements von Zeitungen und haben ein Konto bei Facebook oder LinkedIn. Die Dissertation von Markus Unternährer, Post-Doc Forschungsmitarbeiter im SNF-Projekt Digital Payments und Lehrbeauftragter, nimmt unsere digitalen Alltagspraktiken zum Ausgangspunkt und geht ihren Folgen und ihren sozialen und technischen Voraussetzungen nach. Er stellt die Frage, wie Unternehmen aus Nutzern und Nutzerinnen Datenproduzenten machen und weshalb sie das tun. Oder etwas abstrakter formuliert: Über welche sozialen und technischen Prozesse werden individuelle Verhaltensweisen in ökonomisch verwertbare Daten transformiert?

Die Arbeit mit dem Titel «Momente der Datafizierung – Zur Produktionsweise von Personendaten in der Datenökonomie» wurde betreut und begutachtet von Prof. Dr. Sophie Mützel und Prof. Dr. em. Bettina Heintz. Mit seiner Arbeit leistet Markus Unternährer einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der emergierenden Datenökonomie: Neben der empirisch fundierten Beschreibung von Datafizierungsprozessen präsentiert die Arbeit einen konzeptuellen Vorschlag des Produktions- und Verwertungszyklusses von Personendaten. Die teilnehmende, ethnografische Beobachtung in einem Schweizer Datenunternehmen und die Untersuchung eines Massive Open Online Kurses zu Empfehlungssystemen liefern die empirische Grundlage auf der Markus Unternährer in mehreren Kapiteln die theoretische Figur der «Momente der Datafizierung» entwicklt. Dabei zeigt er, dass die Datenökonomie auf die ökonomische Hetereogenität verschiedener Wertregimes angewiesen ist, um Daten als wertvolle Ressourcen zu produzieren.

Inspiriert von einer Studie der Ethnologin Anna Tsing zum Lebens- und Warenzyklus des Matsutake-Pilzes parallelisiert Markus Unternährer die Transformation des in der Phase des Sammelns noch individualisierten Pilzes in eine abstrakte Ware und zurück in ein personalisiertes Produkt mit der Transformation individueller Netzaktivitäten in eine abstrakte formale Relation und zurück in eine personalisierte Empfehlung. Markus Unternährer nutzt die von Tsing beschriebene Transformationskette als «sensitizing concept», um die Janusköpfigkeit von Personendaten analytisch zu fassen. Denn Personendaten haben ihren Ursprung in sinnhaften individuellen Handlungen – wer etwas «likt» oder etwas «teilt», verfolgt damit ein bestimmtes Ziel. Diese Handlungen werden anschliessend in relativ bedeutungsleere Datenpunkte transformiert, mit denen sich rechnen lässt. Aus diesen rechnerischen Vorgängen werden in einem dritten Schritt auf den einzelnen Nutzer zugeschnittene Empfehlungen abgeleitet, die dazu dienen, die Beziehungen zwischen Unternehmen und Nutzern zu stabilisieren.

Mit seiner Arbeit offeriert Markus Unternährer einen Beitrag zur Soziologie des Digitalen, der in den Forschungsgebieten der critical algorithm studies, in der Soziologie der Kategorisierung, der Quantifizierung und des Vergleichs, in den valuation studies sowie in der Wirtschaftssoziologie anschlussfähig ist.

Die Arbeit wurde in der Reihe «Digitale Soziologie» (herausgegeben von Roger Häußling, Katharina Kinder-Kurlanda, Sophie Mützel, Jan-Hendrik Passoth und Andreas Schmitz) veröffentlicht und ist als Open Access Publikation kostenlos auf der Verlagswebseite von Transcript verfügbar. Die Open Access Publikation wurde vom Schweizer Nationalfonds und vom Prorektorat Forschung der Universität Luzern unterstützt und im November 2022 mit dem Dissertationspreis der KSF ausgezeichnet.

Aktuell arbeitet Markus Unternährer im SNF-Forschungsprojekt «Digital Payments: Making Payments Personal and Social» an der Universität Luzern. Dabei erforscht er, wie Finanztransaktionsdaten für Fintech und Banken zu einem kostbaren Gut werden und wie der Zugang dazu verhandelt wird.

Markus Unternährer
Momente der Datafizierung. Zur Produktionsweise von Personendaten in der Datenökonomie
Reihe Digitale Soziologie, Band 3
Transcript, Bielefeld 2024