Broschüre «Religionsvielfalt im Kanton Luzern»

Die Vielfalt in der Vielfalt

Der katholisch geprägte Kanton Luzern ist in Sachen Religion richtig vielfältig geworden. Um die 230 verschiedene Kirchgemeinden, Religionsgemeinschaften und Gruppen, kleine und grosse, gibt es gegenwärtig. Entdecken Sie diese Vielfalt!

Seit 2004 dokumentiert das Religionswissenschaftliche Seminar der Universität Luzern mit dem Projekt «Religionsvielfalt im Kanton Luzern» alle Religions-, Glaubens- und Ritualgemeinschaften im Kanton. 2023 wurden alle Beschreibungen überprüft und aktualisiert.

Eine Auswahl von Beobachtungen zur lokalen Religionslandschaft haben wir hier zusammengestellt. Weitere Informationen finden Sie über die Hauptseite des Projekts. Unser Online-Portal hält Informationen, Videos und Reportagen, Adressen und Hintergründe bereit.

(Dokumentiert sind Gruppen ab ca. acht Personen, die sich regelmässig treffen (rund ein Mal pro Monat). Forschungsstand 2023. Änderungen bitte melden)

Schon lange da...

Bild 1: Synagoge an der Bruchstrasse, 1912 als erstes nicht-christliches Religionsgebäude in Luzern gebaut.

In den letzten 160 Jahren nahm die Anzahl der im Kanton Luzern gegründeten Religionsgemeinschaften tendenziell zu (Grafik 1). Das christliche Spektrum wurde breiter, und seit den 1970er-Jahren kamen je länger, je mehr nicht-christliche Religionen dazu.

Seit den 1860er-Jahren bis zum Ersten Weltkrieg fassten verschiedene neue Gemeinschaften mit christlichen Inhalten in Luzern Fuss. 1883 ergänzte die Christkatholische Kirche, 1885 die Heilsarmee und 1909 die Gemeinde für Christus das christliche Spektrum im Kanton. Mit dem 1866 gegründeten Israelitischen Kultusverein gab es fast 100 Jahre lang nur eine einzige nicht-christliche Religions-gemeinschaft im katholisch dominierten Kanton. 1912 eröffnete der Verein die Synagoge an der Bruchstrasse (Bild 1).

...neu vor Ort...

Während der beiden Weltkriege beschränkten sich Gründungen auf die Landeskirchen. Dafür gab es in den 1920er-Jahren eine erste Spitze mit zehn neuen Gemeinschaften. Ab 1950 nahmen Gründungen dann laufend zu. In den 1970er- und 1990er-Jahren waren die zwei vorläufigen Höhepunkte erreicht: mit 19 bzw. 22 neuen Gruppen in jeweils zehn Jahren. Seit der Jahrtausendwende ist die Anzahl der Neugründungen bisher tendenziell rückläufig.

...wieder weg

Trotz des Trends zunehmender Vielfalt darf man nicht vergessen, dass Gemeinschaften auch wieder verschwinden, etwa weil sie überaltern, die Trägerschaft aus dem Kanton wegzieht oder sich von der Religion distanziert. Nicht länger bestehen kleinere buddhistische Gemeinschaften und überalterte Freundes- und Lesekreise um spirituelle Autoritäten wie Boris Lukács, Bruno Gröning und Jakob Lorber.

Die Auswertung einer 2023 erstmals durchgeführten Umfrage hat dabei gezeigt, dass die Covid-Pandemie höchstens bei der Auflösung einzelner Luzerner Religionsgemeinschaften als Ursache ausgemacht werden kann. Nur wenige melden negative Auswirkungen, die sie etwa veranlasst hätte, Arbeitspensen oder das Angebot zu reduzieren oder gemietete Räume aufzugeben. Dagegen berichten andere Gemeinschaften von keinen spürbaren Unterschieden.

Christentum im Plural

Die Religionsvielfalt im Kanton Luzern ist vor allem eine Vielfalt innerhalb der christlichen Mehrheit. Das zeigt sich sowohl an der Anzahl Gruppen (86 % der Gruppen, Grafik 2) als auch bei der Religionszugehörigkeit von Personen (72 % der Wohnbevölkerung, Grafik 3). Im Verhältnis zu allen dokumentierten Gemeinschaften beziehen sich somit mehr als zwei Drittel auf christliche Inhalte und Praxisformen (Grafik 2, blau). Den Grossteil stellen Freikirchen unterschiedlichster Couleur dar, die seit der letzten Erhebung an Mitgliedern gewonnen haben, sowie Gemeinschaften, die der römisch-katholischen Kirche zugehören.

Vielfalt der nicht-christlichen Religionen

Auch das nicht-christliche Spektrum ist vielfältig: Auf nicht einmal 6 % der Kantonsbevölkerung kommt ein Siebtel der Religionsgemeinschaften, seien es islamische, buddhistische, hinduistische, jüdische sowie weitere Gruppen und Gemeinschaften. Auch die einzelnen religiösen Minderheiten im Kanton weisen eine interne Vielfalt auf.

Grosse und kleine «Player»

Der Vergleich der Zahl der Gemeinschaften (Grafik 2) mit der Religionszugehörigkeit der Wohnbevölkerung (Grafik 3) zeigt: Die Verteilung zwischen Gläubigen und Gemeinschaften ist nicht proportional. Auf wenige Gemeinschaften kommen mitunter sehr viele Zugehörige, umgekehrt zählen viele Gemeinschaften nur wenige Zugehörige. Dies zeigt etwa der Vergleich des Islam (grün), dem neun Moscheen und knapp 16 000 Gläubige zuzurechnen sind, mit dem Buddhismus (orange) mit etwa gleich vielen (zehn) Gruppen, jedoch zehn Mal weniger Zugehörigen. Gleiches gilt für die zwei grossen Landeskirchen verglichen mit den vielen Freikirchen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Kräfte werden in wenigen Gemeinschaften gebündelt, unterschiedliche inhaltliche Ausrichtungen führen zu jeweiligen Eigen- und Neugründungen, und vieles mehr. Nichtsdestotrotz zeigen die Zahlen, dass der Anteil von Personen mit christlicher Religionszugehörigkeit seit der letzten Erhebung abgenommen hat.

Keine Zugehörigkeit zu einer Religion

Die zweitgrösste Gruppe im Kanton sind Personen, die sich zu keiner Religion zugehörig erklären (21 %, Grafik 3, grau). Verglichen mit dem Jahr 2000 hat sie sich mehr als verdreifacht. Eine Dokumentation von Religionsgemeinschaften kann diese naturgemäss nur bedingt fassen. Auch hier gibt es interne Vielfalt. Denn nicht alle Konfessionslosen sind areligiös oder nicht an Religion interessiert. Manche nehmen an religiösen oder spirituellen Veranstaltungen teil, wenden sich aber von der Kirche als Institution ab. Andere beschäftigen sich aus atheistischer Perspektive mit Religion(en).

«Christentümer» machen den Trend

Tonangebend in der Religionslandschaft waren lange die katholischen Pfarrei- und die reformierten Gemeindegründungen. Besonders im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts kamen dazu vor allem Gemeinschaften, welche sich auf christliche Lehren beziehen, mit den Landeskirchen jedoch teils wenig gemein hatten. Hierzu zählten bspw. die Neuapostolische Kirche oder auch die Zeugen Jehovas.

Ab den 1950er-Jahren verstärkten dann unterschiedlichste mit der römisch-katholischen Kirche verbundene Gemeinschaften den Aufwärtstrend – von der Basisgruppen-Bewegung bis zur Piusbruderschaft. 1950 bis Ende der 1980er-Jahre war fast die Hälfte aller Neugründungen katholisch.

Dieser Trend brach in den folgenden Jahrzehnten ab und wurde durch die Zunahme freikirchlicher und christlich-orthodoxer Kirchen sowie verschiedener anderer Religionen abgelöst.

Vielfältig und international an einem Ort

Manche Gemeinschaften teilen sich einen Ort: In den Räumlichkeiten der evangelisch-charismatischen Freikirche Christliches Zentrum Zollhaus  (Bild 2) treffen sich als Untermieter auch diverse Migrationsfreikirchen. Einen weiteren solch internationalen Ort stellt die St. Karli-Kirche dar, deren Räumlichkeiten auch von der eritreisch-orthodoxen Gemeinschaft (Bild 3), der kroatisch-katholischen Mission und einer Hindu-Gruppe genutzt werden.

Gemeinschaften entstehen

Grafik Erstes Auftreten einer Religion
Neue Religionen im Kanton (erste Gemeinschaft der übergeordneten Tradition; durch Klick vergrössern).

Neue Gemeinschaften entstehen durch Zuzug (Immigration) und Neuorientierung (Konversion) von Gläubigen oder auch durch Abspaltung oder Fusion von bestehenden Gemeinschaften.
Die Eyüb-Moschee zum Beispiel war der erste muslimische, noch klar türkisch geprägte Versammlungsort im Kanton Luzern und entstand 1976 in einer umgenutzten Privatwohnung. Zunehmend verkehrten dort Muslime – anfangs fast ausschliesslich Männer – anderer nationaler Herkunft, die ab den 1990er-Jahren dann eigene Vereine gründeten.

Erste Religion aus dem «Osten»

Bild 4: Der Andachtsraum in der Pagode Viên Minh mit der grossen Buddhafigur.

Die Präsenz der ersten «östlichen Religion» im Kanton ist nicht den Hippies zu verdanken, sondern dem Zuzug vietnamesischer Buddhisten und Buddhistinnen, die als Geflüchtete in die Schweiz kamen. Sie gründeten 1984 die Pagode Phat to Thich Ca – Verein der Indochina-Buddhisten (heute Pagode Viên Minh) und eine erste Andachtsstätte an der Bernstrasse. Lange Zeit war die Pagode dann in einem Mehrfamilienhaus in Emmenbrücke eingerichtet. 2017 zog sie nach Nebikon in ein ehemaliges Gasthaus um, wo der Verein über mehr Platz verfügt (Bild 4).

Religiöse Migrantengemeinschaften, kleine Heimat und neue Brücken

Migrantinnen und Geflüchtete gründeten bald nach ihrer Ankunft Orte für religiöse Zusammenkünfte und Rituale. Hier werden die Lieder aus der zurückgelassenen Heimat gesungen, die Götter in der eigenen Sprache verehrt und die grossen Jahresfeste gemeinsam gefeiert. Die Orte erfüllen jedoch weit mehr als nur religiöse Funktionen: Die Migrantenkirchen, Moscheen und Pagoden sind soziale Treffpunkte, wo man Informationen austauscht oder Hilfe und Rückhalt erhält. Oft gibt es auch Beratungen, Sprachkurse, Jugendarbeit, Kulturabende, Sport- und Freizeitaktivitäten. Unsere Umfrage bei den Religionsgemeinschaften belegt dabei einen hohen Anteil an Freiwilligenarbeit. 41 Prozent der privatrechtlich organisierten Gemeinschaften geben an, dass regelmässig mehrere Personen freiwillig bei Angeboten wie religiösen Feiern, Religionsunterricht oder bei Reinigung- und Verwaltungsaufgaben mitarbeiten. Als multifunktionale Dienstleistungszentren sind die religiösen Migrantengemeinschaften sowohl eine «kleine Heimat in der Fremde» als auch Brücken zur Integration in die Schweizer Gesellschaft.

Nicht alle Religionen haben eine «Gemeinde»

Eine offizielle «Mitgliedschaft», wie in christlichen Kirchen, ist nicht in allen Religionen und Gruppen gleich wichtig und wird von Gläubigen zugunsten loser Zugehörigkeit oder Mehrfachmitgliedschaften gar abgelehnt. Es ist auch nicht überall gleich wichtig, dass eine «Gemeinde» regelmässig an den religiösen Handlungen teilnimmt. In Hindu-Tempeln beispielsweise führt der Priester Rituale unabhängig von der Anwesenheit von Gläubigen durch. Es kommt hier keine «Gemeinde» zusammen, vielmehr kommen einzelne Familien und Gläubige, die je nach Interesse bestimmte Tempel in der Region zur Andacht besuchen und religiöse Praktiken ansonsten zuhause vollziehen.

Fluide Formate – alternative Spiritualität

Bild 5: Ein Ladengeschäft im Bruchquartier verkauft u.a. Ritual-zubehör und dient als Informationsplattform und Kurslokal.

Religion ist nicht nur über Kirchen, Gruppen und Gemeinschaften organisiert. Vielfach finden sich auch Vorträge und Wochenendseminare von spirituellen Anbietern und Praktizierenden. Im Bereich der Spiritualität wird «Religion» nicht selten als vermeintlich erstarrt und dogmatisch abgelehnt. Demgegenüber verstehen Praktizierende «Spiritualität» als erfahrungsbasiert, ganzheitlich, kreativ und erfüllend. Heilende Edelsteine, Trommel-Workshops und Rückführungen sind nur ein Bruchteil der vielfältigen Praktiken, die von Heilern, Medien oder Schamaninnen auch im Kanton Luzern durchgeführt werden. In einschlägigen Läden (Bild 5), Zeitschriften oder im Internet findet man Informationen und kann individuell Praktiken, Lehrende und Angebote auswählen, wie zum Beispiel das Atélier de transcréation, das Schamanismus, buddhistische Rituale und Kunsttherapie verbindet.

Zusammenkommen – interreligiöser Dialog

Bild 6: Lampions mit religiösen Symbolen am interreligiösen Anlass «Unter einem Dach» 2015.

Seit 2013 versammeln sich unter dem Leitmotiv «Unter einem Dach» etwa fünfzehn verschiedene in der Stadt Luzern vorhandene Religionsgemeinschaften in der Kornschütte. Dort tauschen sie sich aus und stellen sich gemeinsam der Öffentlichkeit vor. Neben den Landeskirchen sind muslimische, buddhistische, hinduistische und jüdische Gemeinschaften sowie christlich-orthodoxe Kirchen, Freikirchen und die Baha’i beteiligt (Bild 6). Die Vielfalt an Religionsgemeinschaften ist in Luzern freilich grösser, doch ist der Anlass ein willkommener Start zum Gespräch und Austausch. 2024 wollen die hier aktiven Gemeinschaften einen Verein gründen, der ihre gemeinsamen Interessen vertreten soll.

Neben diesen Aktivitäten gibt es in Luzern den christlich-muslimischen Frauenkreis und das jährliche Friedensgebet der Religionen während der «Woche der Religionen».

Repräsentativ oder unsichtbar

Bild 7: Die bosnische Moschee (Dzemat) in Emmenbrücke, eingerichtet in einem ehemaligen Kino.

Während katholische Kirchengebäude seit hunderten von Jahren das Stadtbild prägen, sind Andachts- und Gebetsräume anderer Gemeinschaften oft unsichtbar und Aussenstehenden oft nicht bekannt. Geeignete und erschwingliche Räume für Andachtsorte, Tempel und Moscheen zu finden, ist häufig eine grosse Herausforderung, besonders für neue Gemeinschaften.

In die würdige Gestaltung der Innenräume wird oft viel Aufwand gesteckt, während die Gestaltung nach aussen zunächst zweitrangig ist. Meist wird dies erst mit zunehmender Etablierung der Trägergruppe ins Auge gefasst und umgesetzt. Es gibt aber auch Gemeinschaften, die schon länger angesiedelt sind und dennoch nach aussen weitgehend unscheinbar wirken wie etwa die bosnische Moschee in Emmenbrücke (Bild 7).

Nicht nur mehr oder weniger sichtbare Sakralbauten gehören zur religiösen Landschaft, es gibt auch für fast alle religiösen Traditionen Orte, die in Luzern nur zeitweise zum Schauplatz religiöser Praxis werden: das Reuss-Ufer, wenn die Asche eines verstorbenen Hindu dem Fluss übergeben wird, Strassen und Feldwege bei katholischen Prozessionen wie den «Umritten» an Fronleichnam oder dem Bittgang am Glaubensfest der Vater-Wolf-Bewegung (Bild 9), oder unscheinbarer: das markierte Feld am östlichen Ausgang des Bahnhofs Luzern beim stillen Verkündigerdienst der Zeugen Jehovas.

Bildnachweise
Elsbeth Iten: 1, 3, 7, 9 | Martin Baumann: 4, 8
Andreas Tunger-Zanetti: 6 | Jacqueline Burri: 5 | zVg: 2

Unterstützt durch den Bund und durch das Integrationsprogramm des Kantons Luzern sowie durch die römisch-katholische Kirche und die reformierte Kirche

Impressum
Religionsvielfalt im Kanton Luzern, 5. komplett überarbeitete Auflage 2023/2024
Religionswissenschaftliches Seminar
Universität Luzern
Frohburgstrasse 3
6002 Luzern
www.unilu.ch/relsem
relsem@unilu.ch