«Die geopolitischen Spannungen werden uns alle ärmer machen»
Welche Auswirkungen hat die angespannte geopolitische Lage auf die Wirtschaft und unseren Wohlstand? Professor Manuel Oechslin kommt im Rahmen der LUKB-Vorlesungsreihe zum Schluss, dass der Welt ein Wohlstandsverlust droht.
Dass ein Anstieg der geopolitischen Spannungen Sand ins Getriebe der Weltwirtschaft bedeutet, sei offensichtlich, meint Manuel Oechslin am Anfang seines Referats. Der Professor für Internationale Ökonomie, der seit 2014 an der Universität Luzern tätig ist und sich unter anderem mit den Konsequenzen erhöhter makroökonomischer Unsicherheit befasst, stellt gleich zu Beginn die Frage, was wir denn tatsächlich, jenseits der Schlagzeilen, über die Auswirkungen auf Handels- und Investitionsströme wissen. Etwa, ob es tatsächlich weniger Austausch zwischen den Blöcken gebe und wir uns daher auf eine geoökonomische Fragmentierung – eine Entkopplung der Blöcke – hinbewegten. Oder ob gar eine Ausklinkung der spannungsbeladenen Blockränder, etwa der östlichen EU-Mitglieder, aus der Weltwirtschaft stattfinde und damit ein noch grösserer Druck auf die Globalisierung drohe.
Oechslin weist darauf hin, dass zwischen 1989 und 2010, nach dem Fall der Berliner Mauer, durch die geopolitische Entspannung eine starke Globalisierung stattgefunden habe, die zu einer Reduktion der Armut und zu mehr Wohlstand insbesondere in Schwellenländern führte. Eine Deglobalisierung habe zur Folge, dass ein Teil der positiven Auswirkungen rückgängig gemacht würde.
Vergleiche mit Kaltem Krieg
Zuerst wirft der Ökonom einen Blick zurück in die Zeit des Kalten Krieges, als die West- und Ostmächte um die Vorherrschaft kämpften. Der Anteil des blockübergreifenden Handels zwischen 1947 und 1989 bewegte sich zwischen vier und sechs Prozent und stieg nach dem Zerfall der Sowjetunion dramatisch an. Ein noch etwas genaueres Bild ergibt sich, wenn man sich auf die Ebene der bilateralen Handelsbeziehungen begibt. Die Daten zeigen, dass in den ersten Monaten des Koreakriegs – der die Spannungen zwischen Ost und West eskalieren liess – der bilaterale Handel zwischen Ländern mit unterschiedlicher Blockzugehörigkeit regelrecht implodierte. Es könne also sehr schnell gehen, so Oechslins Fazit.
Nach 2010 habe eine neue Phase der Bipolarität, diesmal mit China als Führungsmacht des Ostens, begonnen. Ein Meilenstein in diesem Zusammenhang sei 2017 die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA gewesen, die China erstmals einen «strategischen Konkurrenten» nannte. Damals seien dann neue Begriffe wie «Friendshoring» und «Decoupling» entstanden: Der Handel mit dem anderen Block wird eingeschränkt, gleichzeitig fokussiert man sich auf Markttätigkeiten innerhalb des eigenen Blocks. Zudem finde seit dieser Zeit auch eine Renaissance strategischer und sicherheitspolitischer Überlegungen zu Lasten des blockübergreifenden Austausches statt. Manuel Oechslin zeigt die Parallelen der aktuellen Lage zur Frühphase des Kalten Kriegs auf – und stellt ähnliche Effekte auf den bilateralen Handel fest.
Zollstreit befeuert Blockbildung
Die Fragmentierung der Handelsaktivitäten schreite rasch voran, insbesondere seit Donald Trump mit seiner Zollpolitik für grosse Unsicherheit sorge. Dass dies alles ohne «eisernen Vorhang» passiere, sei kein gutes Omen, so Oechslin. Verblüffend sei für viele, dass der amerikanische Präsident auch auf befreundete Staaten Druck ausübe. Damit wolle dieser die Verbündeten zwingen, bei der Entkoppelung des Handels mit China mitzumachen, vermutet der Ökonom.
Die geopolitischen Spannungen zeigten sich auch bei den ausländischen Direktinvestitionen (FDI) – insbesondere an den Blockrändern. In Osteuropa seien diese in den letzten 35 Jahren eine wichtige Wachstumsquelle gewesen. Die Hypothese, wonach die FDI desto deutlicher zurückgingen, je näher ein Gebiet an Russland grenzt, bewahrheitet sich in der Datenanalyse seiner Forschung: So ist etwa der negative Effekt seit Kriegsbeginn in Tallin um 6,5 Prozentpunkte grösser als in Prag.
Herausforderung für die Schweiz
Die Schlussfolgerung am Ende des Referats vermittelt einen nachdenklich stimmenden Ausblick. Der aktuelle Anstieg an geopolitischen Spannungen werde uns sicher alle ein wenig ärmer machen, bilanziert Manuel Oechslin. Die geopolitische «Windstille» in der Zeit nach 1989 habe grosse Produktivitätsgewinne und mehr Wohlstand zur Folge gehabt. Nun stünden diese Errungenschaften von zwei Seiten unter Druck. Einerseits werde die Globalisierung durch «Decoupling» und die Marginalisierung der Blockränder zurückgedrängt, andererseits seien wohl höhere – und aus strikt ökonomischer Sicht unproduktive – Verteidigungsausgaben notwendig. Somit drohe die Welt an Wohlstand zu verlieren. Insbesondere für kleinere Länder wie die Schweiz kämen, da wir stark auf internationalen Handel ausgerichtet sind, grosse Herausforderungen zu, sagt Oechslin zum Schluss. In der anschliessenden Podiumsdiskussion diskutieren Stefan Studer, Mitglied der Geschäftsleitung der LUKB und Gabriele Spilker, Professorin für Internationale Politik von der Universität Konstanz zusammen mit Rektor Martin Hartmann und Manuel Oechslin weitere Aspekte der Thematik und beantworten Fragen aus dem Publikum.
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