Maria durch ein Dornwald ging. Betrachtung zum Advent
Von seinen Ursprüngen her, die sich vorsichtig bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, ist dieses bekannte Lied eigentlich kein Advents-, sondern ein Wallfahrtslied. Glaubende Frauen und Männer meditierten damit das Geheimnis der Menschwerdung Gottes und erlebten sich gerade so in ihrem Unterwegssein auf Gott hin, der ihnen seit jeher in entschiedener Liebe entgegenkommt und seiner Liebe in Jesus Gestalt verlieh.
Sein Text lautet:
1. Maria durch ein Dornwald ging,
Kyrie eleison!
Maria durch ein Dornwald ging,
der hat in sieben Jahr kein Laub getragen.
Jesus und Maria!
2. Was trug Maria unter ihrem Herzen?
Kyrie eleison!
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen,
das trug Maria unter ihrem Herzen.
Jesus und Maria!
3. Da haben die Dornen Rosen getragen,
Kyrie eleison!
Als das Kindlein durch den Wald getragen,
da haben die Dornen Rosen getragen.
Jesus und Maria!
Den Hintergrund des Liedes liefert Lk 1, 39-56, der Bericht vom Besuch Mariens bei ihrer Verwandten Elisabeth. Hier ist das Bild Mariens erreicht, die sich – ein Kindlein unter ihrem Herzen tragend - „in diesen Tagen aufmachte und mit Eile in das Bergland ging in eine Stadt Judäas“. Vorangegangen war die Verkündigungsszene, die die Hoffnung begründet, Maria werde einen Sohn zur Welt bringen, der Sohn des Höchsten zu nennen sei und dessen Königtum kein Ende habe (vgl. Lk 1,31ff.). Die Initiative dazu liegt allein bei Gott, die Voraussetzungen schafft das einwilligende Fiat Mariens.
Das Lied umrankt die biblische Botschaft. Das Motiv des abgestorbenen Waldes, der beim Vorübergang Marias mit dem göttlichen Kind zu blühen beginnt, greift die Unheil und Tod überwindende Dynamik der Sendung Jesu auf. Dass es sich auf der Ebene des Bildes um einen Wald von Dornen handelt, den Maria mit ihrem Sohn durchschreitet, verweist bereits auf die Ereignisse der Passion und Kreuzigung jenes Nazareners (vgl. Joh 10,4), den Maria hier noch ohne Schmerzen unter dem Herzen trägt. So wird das Geheimnis der Geburt Jesu mit dem Geheimnis seines Leidens und Sterbens in Verbindung gebracht – allerdings in österliche Perspektive. Denn das wundersame Blühen des Dornwaldes, gleichwohl er siebenjährig, also allumfassend totgeweiht war, nimmt das österliche Mysterium in den Blick. Im Christentum entwickelte sich bereits früh eine tiefsinnige Rosen-Symbolik. Die christliche Kunst kennt in den Grabnischen der Katakomben Rosenranken als Sinnbilder eines aus dem Tod erblühenden ewigen Lebens.
Allzu stimmig erscheint vor diesem Hintergrund die 1850 erweiterte Fassung:
Wer hat erlöst die Welt allein?
Kyrie eleison!
Das hat gethan das Christkindlein,
das hat erlöst die Welt allein,
Jesus und Maria.
Weihnachten ist nicht in erster Linie das Fest ungetrübter Romantik. Aber es ist das Fest einer Hoffnung, die – weil sie in Gott gründet - aufs Ganze geht.
(Robert Vorholt, Perspektiven 12/2014)
