All inclusive!?
Studieren mit einer Beeinträchtigung - Fünf Studierende im Porträt
In jedem Hörsaal gibt es statistisch gesehen mindestens eine Person, die - ohne dass es jemandem auffallen muss - mit einer Beeinträchtigung ihr Studium meistert. Fünf ehemalige sowie aktuelle Studierende der Universität Luzern erzählen in dieser Broschüre von ihren Erfahrungen, und zeigen, wie das aussehen kann: Texte lesen, ohne sie zu sehen, im Gebäude mit schweren Türen kämpfen, weil man im Rollstuhl sitzt, oder Vorträge, die zum Alptraum mutieren.
Entstanden sind die Porträts im Rahmen der Aktion "All inclusive!?: Studieren ohne Barrieren", welche wir im Studienjahr 2018/2019 gemeinsam mit verschiedenen Akteuren der Universität Luzern durchgeführt haben.
Die Aktion "All inclusive!?: Studieren ohne Barrieren" stand ganz im Zeichen von Inklusion. Es sollten eine Mischung aus Workshops, Vorträgen und Events die Thematik ins Bewusstsein rücken, informieren, Mut machen und faszinieren. Denn während ein negativer Umgang mit dem Thema Inklusion tatsächlich "behindern" kann, schafft ein positiver Umgang jede Menge Chancen, neue Erfahrungen zu sammeln.
Wir danken allen porträtierten Personen herzlich dafür, dass sie im Rahmen dieser Aktion ihre Geschichte mit uns geteilt haben. Wir wissen, das erfordert viel Mut. Genauso sind wir aber überzeugt, dass dieser Mut sich auszahlz. Etwa, indem wir als Universität lernen können, wo noch Verbesserungspotential besteht. Indem Studierende in eine ähnlichen Situation wertvolle Tipps bekommen, oder sich überhaupt getrauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und, indem Studierende mit und ohne Beeinträchtigung Unsicherheiten im Umgang mit Mitstudierenden ablegen können. Auf dem Weg zum erfolgreichen Studienabschluss sind manchmal viele Barrieren zu überwinden - gemeinsam geht das leichter.
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) gilt in der Schweiz seit 2004. Damit verfügt die Schweiz, zusammen mit dem Diskriminierungsverbot in der Bundesverfassung (BV) und der von der Schweiz ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention, über wichtige Rechtsgrundlagen zur Gewährleistung von Nichtdiskriminierung und Inklusion im Bildungsbereich. Dies beinhaltet auch den vollen Zugang zum Studium an einer Hochschule. Studierende mit einer Beeinträchtigung haben deshalb beispielsweise Anrecht auf einen Nachteilsausgleich, der für sie die gleichen Rahmenbedingungen schaffen soll wie für ihre Mitstudierenden. Wie viele Studierende mit Behinderung tatsächlich an den Schweizer Hochschulen studieren, ist nicht verlässlich belegt – unter anderem, weil keine Meldepflicht besteht. Eine Erhebung 2016 zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden des Bundesamts für Statistik (BFS) gibt aber Anhaltspunkte: 18% der rund 26'000 befragten Studierenden gaben an, dauerhafte Gesundheitsprobleme zu haben. Zehn Prozent aller Studierenden sind durch ein dauerhaftes Gesundheitsproblem im Studium eingeschränkt. Am häufigsten nennen die betroffenen Studierenden in dieser Erhebung chronische Krankheiten (41%) und psychische Probleme (26%). Seltener treten Lernschwächen (5%), Beeinträchtigung des Seh- oder Hörvermögens (4%) und Gehbehinderungen (3%) auf. Hinweise gibt auch die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks , an der sich 2016 mehr als 60‘000 Studierende in Deutschland beteiligten: 11 Prozent der Teilnehmenden gaben an, an einer oder mehreren studienerschwerenden Beeinträchtigung zu leiden. Das sind Zahlen, die aufhorchen lassen – und belegen, dass eine breite Thematisierung unerlässlich ist.
Flurina Bezzola
Flurina Bezzola kommt aus Pontresina und studiert im 9. Semester Bachelor Kulturwissenschaften mit Major Soziologie. In der Freizeit ist die 33-Jährige oft auf Skiern anzutreffen, ausserdem engagiert sie sich in der Politik. Flurina Bezzola meistert ihr Studium mit Legasthenie und ADHS.
Bernarda Brunovic
In der Freizeit muss bei der 26-Jährigen «immer etwas laufen» - sei das Sport, lesen oder vor allem die Musik. Sie spielt Klavier und singt für ihr Leben gern. An der Uni Luzern arbeitet sie im 10. Semester auf den Abschluss ihres Fernstudium in Theologie hin. Bernarda Brunovic ist stark sehbeeinträchtigt und auf einem Auge komplett blind.
Siri Anesini
Siri Anesini, 27 Jahre alt aus Malans (GR), hat an der Uni Luzern Rechtswissenschaften studiert und 2017 erfolgreich abgeschlossen. Sie bezeichnet sich als passionierte Leserin und besitzt eine grosse Leidenschaft für Musik. Aufgrund einer Fehlbildung der Wirbelsäule (Spina Bifida) ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen.
Sebastian Sutter
Der 26-jährige Sebastian Sutter wohnt in Udligenswil, hat an der Uni Luzern 2016 seinen Abschluss in Rechtswissenschaften geschafft sowie später das Anwaltspatent erworben. In seiner Freizeit liest er gerne Bücher, geht schwimmen oder spielt Keyboard. Aufgrund einer Sehbeeinträchtigung ist Sebastian Sutter auf dem linken Auge fast blind und kann mit dem rechten nur langsam lesen (Tunnelblick).
Nagesh Beltramini
Nagesh Beltramini wohnt in Rothenburg und hat im HS 2017 in Luzern den Fächerstudiengang Geschichte mit parallelem Nebenfachstudium der Musikwissenschaft an der Universität Zürich gemeistert. Auch in der Freizeit macht er Musik und spielt Klavier und Saxofon. Der 28-Jährige ist von Geburt an blind, später kam eine sich verstärkende Hörbeeinträchtigung hinzu.