Nagesh Beltramini

Nagesh Beltramini hat 2017 in Luzern den Fächerstudiengang Geschichte mit parallelem Nebenfachstudium der Musikwissenschaft an der Universität Zürich gemeister 

Stand des Interviews: Januar/Februar 2019

Du hast dein Studium an der UniLu abgeschlossen – was machst du momentan beruflich? Ich bin auf Stellen- resp. Praktikumssuche. Ideal wäre für mich ein Bereich, in dem ich textlich arbeiten kann, also lesen, schreiben, analysieren und zusammenfassen von textuellen Inhalten.

Weshalb hast du dich für die Uni Luzern und deine Studienrichtung entschieden? Zuerst wollte ich Musik studieren, da sie mich schon immer sehr fasziniert hat. Ein reines Musikstudium an einer Hochschule war aber aufgrund meiner Hörbeeinträchtigung nicht möglich. Da mich Geschichte auch sehr interessiert, konnte ich zwei passende Studiengänge kombinieren. Ich bin der Ansicht, dass alles eine Geschichte hat und das Fach dadurch etwas sehr Breitgefächertes darstellt. An die Uni Luzern wollte ich wegen der Überschaubarkeit sowie wegen der Nähe zu meinem Wohnort.

Hattest du irgendwelche Ängste vor dem Studienbeginn? Ich kann mich nicht an Ängste erinnern, zumal ich in Luzern gute Ansprechpersonen hatte, die mir beim Einstieg halfen und Fragen meinerseits zum Studium souverän beantwortet und kreative Lösungen mit an die Hand gegeben haben. Zusätzlich zur Uni erhielt ich auch Unterstützung von aussen im Bereich der Textübertragung in digitaler Form und Coaching.

Was waren für dich die grössten Hürden im Studium? Als blinde Person erlebte ich vor allem Einschränkungen in Bezug auf die Recherche von Papierdokumenten, Büchern und das Querlesen von Texten, was beides nur mit sehender Hilfe möglich ist. Mir selbst ist es nicht möglich, Texte einfach zu überfliegen und gleich zu entscheiden, ob sie brauchbar sind. Auch bei Veranstaltungen lauerten Tücken: Viele visuelle Inhalte in einer Vorlesung zum Beispiel. Oder schlecht gescannte Texte, da ich diese dann mittels automatischer Texterkennung nicht erfassen konnte. Schliesslich brauchte ich auch Hilfe im Gebäude, denn dieses hat im Innern kein Orientierungssystem und die Räume sind nicht allesamt mit tastbaren- oder sonst wahrnehmbaren Nummern beschriftet – oder zumindest waren sie es bis zu meinem Studienabschluss 2017 nicht. Als zusätzlich hörbeeinträchtigte Person hatte ich öfters Schwierigkeiten mit der Kommunikation, speziell mit Mitstudierenden. Diese äusserten sich beispielsweise in Kursen, wenn sie vergassen, ins Mikrofon zu sprechen, das Gesagte nicht auf meine Hörgeräte übertragen wurde und ich so schlicht nichts verstand. Auch das Zugehen auf andere Personen war für mich nicht einfach. Ich will mich jeweils nicht aufdrängen, rede jedoch gerne und mache auch sehr gerne neue Bekanntschaften.

Was war die positivste/negativste Erfahrung deines Studiums? Eines der schönsten Erlebnisse war für mich, dass zwei Mitstudentinnen*, die mir assistiert haben, einen sehr langen Text als MP3 aufgenommen haben, da dieser nicht in Computerschrift hätte digitalisiert werden können. Ich gestehe, dass ich die Aufnahme noch heute besitze und mich darüber freue… Positiv ist mir auch geblieben, dass die Leute mir gegenüber sehr hilfsbereit waren. Jedoch musste ich – und das empfand ich eher negativ – immer selbst die Initiative ergreifen. Bleibende Kontakte ausserhalb des Studiums konnte ich nicht knüpfen.

Wie reagierten Kommiliton*innen oder Dozierende auf deine Beeinträchtigung? Die Dozierenden reagierten mehrheitlich sehr gut und auch unterstützend. Ich bin mit meinen Anliegen aber auch immer direkt auf sie zugegangen. Ich finde, was man will, muss man auch klar sagen. Viele meiner Mitstudierenden haben ebenfalls nett und zuvorkommend reagiert, allerdings wäre ich gerne ein bisschen mehr integriert worden. Oft waren sie sich, glaube ich, nicht bewusst, dass ich sie nicht sehen konnte und es an ihnen lag, die Konversation zu starten. Da half es auch nicht, wenn ich zum Beispiel von einem Kommilitonen* darauf aufmerksam gemacht wurde, dass mir soeben jemand zugewinkt habe, nicht etwa, wegen des Hinweises, sondern weil das „zuwinken“ ein visuelles Signal ist, das ich nicht wahrnehmen kann.

Wo erleichterte die Uni deinen Studi-Alltag? In den Seminaren wurden Mikrofone verwendet, die das Gesagte über sogenannte Hörschlaufen an mein Hörgerät weiterleitete. So verstand ich Dozierende und Mitstudierende besser und konnte aktiv an den Diskussionen teilnehmen. Auch die Fachstelle für Chancengleichheit hat mich bei Anliegen gut unterstützt, und nicht zuletzt bekam ich viel Hilfe von Kommiliton*innen in Form von Assistenzen. Zum Beispiel, indem ich in die Seminare oder Vorlesungen begleitet und mir bei der Verarbeitung und Mitteilung visueller Informationen geholfen wurde. Eine weitere Assistenzperson half mir beim Schreiben sowie Recherchieren von Arbeiten und ich habe mir jeweils selber eine Person organisiert, die mich vom Bahnhof an die Universität bzw. direkt in den Vorlesungssaal begleitete.

Hast du einen Nachteilsausgleich in Anspruch genommen? Ja, ich bekam bei den Prüfungen 50 Prozent mehr Zeit, da ich trotz technischer Hilfsmittel für das Erfassen und die Wiedergabe der Antworten mehr Zeit brauchte. Individuelle Lösungen mit Dozierenden wären möglich gewesen, doch ein Bescheid des Dekanats erschien mir eben offizieller und versprach mir diesbezüglich Sicherheit.

Wo kann sich die Universität Luzern bezüglich Barrierefreiheit noch verbessern? Für mich war die Orientierung innerhalb des Gebäudes schwierig, ein Orientierungssystem mittels beschrifteter Räume und Beacons – das sind angebrachte Signalsender, die etwa mit einer App kommunizieren – wäre da sehr hilfreich. Auch die Bibliothek, beziehungsweise die Zugänglichkeit zu ihrem Bestand sowie die Website könnten in puncto Barrierefreiheit noch verbessert werden. Sehr wichtig wäre es meiner Ansicht nach auch, einheitliche Lösungen für Probleme zu finden, welche sich Studierenden mit Beeinträchtigung stellen. Beispielsweise stellten sich mir die Herausforderungen herauszufinden, wo ich die Hörmikrofone organisieren, wie ich mir Essen in der Mensa beschaffen oder einen geeigneten Sitzplatz in der Vorlesung finden kann. Ohne Veranstaltungsbezug hätte ich ausserdem weder essen gehen noch spontan eine Veranstaltung besuchen können. Was Mikrofone und Mensa angeht, so habe ich diese Probleme mithilfe von Mitstudierenden oder persönlichen Vereinbarungen gelöst, es gab dafür keine klare Regelung der Universität. Nicht falsch verstehen: Gerade diese persönlichen Kontakte mit Studierenden und Mitarbeitenden haben viel zum Gelingen meines Studiums beigetragen. Die verschiedenen Lösungen zu vereinheitlichen, wäre deshalb eine weitere Anregung meinerseits.

Was würdest du anderen Studierenden mit einer Beeinträchtigung oder einer chronischen Krankheit mit auf den Weg geben? Was würdest du anders machen? Als Studierende mit Beeinträchtigung kennt ihr eure Bedürfnisse am besten: Kommuniziert diese auch! Genauso wichtig ist es aber, für Lösungen und Kompromisse offen zu sein, um eure Ziele zu erreichen. Ich habe ausserdem die Erfahrung gemacht, zu viel Hilfe zu bekommen, weil ich die Problematik nicht ganz erfassen konnte. Konkret ging es um die Recherche: Es kam vor, dass Assistierende diese für mich gleich komplett übernahmen. Das war lieb gemeint, im Nachhinein weiss ich jetzt aber, dass ich mehr dazu hätte beitragen können: Das Problem bestand nämlich nicht in der Zugänglichkeit der Rechercheportale, sondern darin, dass ich nicht querlesen resp. Texte eben mal überfliegen kann. Kurz zusammengefasst: Ich kann nur empfehlen, ständig zu kommunizieren, die Bedürfnisse mitzuteilen sowie auch Rückmeldungen zu geben und einzufordern.

Update Stand Mai 2021:  Nagesh Beltramini hat nach seinem Studienabschluss ein Praktikum an der Hochschule Luzern – Musik absolviert. Momentan ist er auf der Suche nach einer passenden Arbeitsstelle.