Flurina Bezzola


Flurina Bezzola kommt aus Pontresina und studiert im 9. Semester Bachelor Kulturwissenschaften mit Major Soziologie

Stand des Interviews: Januar/Februar 2019

Weshalb hast du dich für die Uni Luzern und deine Studienrichtung entschieden? Ich habe mich für ganz verschiedene Gebiete – zum Beispiel Geschichte, Soziologie, Philosophie – interessiert, deshalb bin ich hängengeblieben, als ich online auf die interdisziplinären Studiengänge diverser Unis gestossen bin. Für Luzern hat schlussendlich die Mischung der Studienfächer gesprochen, die ich mit Kulturwissenschaften vereinen konnte.

Hattest du irgendwelche Ängste vor dem Studienbeginn? Ängste würde ich nicht sagen, aber Respekt – gerade auch im Wissen um meine Schwächen. Dass ich aufgrund der Legasthenie viele Kommilitonen und Kommilitoninnen bitten muss, meine Arbeiten zu korrigieren, war mir klar. Genauso, wie ich hoffen muss, dass die Rechtschreibung bei den Prüfungen nicht allzu stark ins Gewicht fällt. Ich habe mich andererseits aber auch sehr auf das Studium gefreut. Ich wollte das unbedingt, und habe dafür auch viel investiert und 
den ganzen zweiten Bildungsweg durchlaufen, was nicht immer einfach war. Das hat mir aber auch viel Selbstvertrauen gegeben.

Was willst du nach dem Studium machen? Ich könnte mir vorstellen, in Richtung Journalismus zu gehen – Radio oder Video, wohlbemerkt. Auch eine Tätigkeit beim Bund, zum Beispiel beim Amt für Migration, oder – mit meinem Studium – auch eine als Museumskuratorin wären auf meiner Wunschliste. Ich hoffe auf ein Praktikum nach dem Bachelor, und darauf, dass ich auch aus den Erfahrungen meiner freiwilligen Arbeit bei einer NGO und meiner politischen Aktivität schöpfen kann.

Was sind für dich die grössten Hürden im Studium, gerade mit Legasthenie und ADHS? Einerseits die Vorträge, weil ich jemand bin, der sich – vielleicht auch wegen meiner ADHS-Erkrankung – schlecht konzentriert und auf den letzten Drücker arbeitet. Dann Leute zu finden, die abends noch Zeit hatten, sich meine Präsentationen oder Handouts anzuschauen und zu korrigieren, war dementsprechend nicht leicht. Oft habe ich dann meine Eltern gefragt oder es einfach so abgegeben und ich wurde dann schon von Dozierenden auf die Fehler aufmerksam gemacht, musste zum Teil Unterlagen neu schreiben. Die andere grosse Hürde waren die Textmengen, die für viele Seminare verlangt werden. Mein Lesetempo hat mich da schon vor grosse Herausforderungen gestellt, da ich als Legasthenikerin wirklich Wort für Wort langsam lesen muss. Teilweise habe ich dann solche Veranstaltungen, obwohl ich sie eigentlich interessant fand, wieder abgewählt. Neben der Textmenge ist es schlicht und einfach das Schreiben, welches ein fester Bestandteil des Studiums ist und eine Person mit Legasthenie natürlich vor grosse Probleme stellt. Gerade auch bei Prüfungen, wo es keine Möglichkeit gibt, den Text korrigieren zu lassen – oft sind diese dann voller  Fehler, was sich nicht gerade positiv auswirkt.

Was war die positivste/negativste Erfahrung deines bisherigen Studiums? Mehrmals negative Erfahrungen habe ich mit den Seminararbeiten gemacht. Das geht vielleicht auch eher in Richtung Hürden, ich hatte einfach beim Schreiben riesige Probleme bei der Konzentration, war schnell abgelenkt und kam oft lange nicht vorwärts. Sehr positiv war für mich, dass ich eine Schwäche in Stärke umwandeln konnte: Normalerweise muss ich mich als ADHS-Person sehr achten, dass ich nicht ständig und zu viel rede. An der Uni schienen sich die Dozierenden aber meistens über meine Beiträge gefreut zu haben, besonders, wenn die anderen Seminarteilnehmenden gerade nicht sehr aktiv waren.

Wie reagieren Mitstudierende oder Dozierende auf deine Beeinträchtigung? Ich bin nicht von mir aus auf die Dozierenden zugegangen, um ihnen zu erklären, dass ich diese Beeinträchtigung habe. Nur wenn ich negative Rückmeldungen bekam, eben zum Beispiel auf Handouts, habe ich dann erklärt, dass ich Legasthenikerin bin. Geholfen hat das, glaube ich, nicht viel, da das Schreiben bzw. das Schreiben können zum Studienalltag  gehört und sie auf mich nicht viel Rücksicht nehmen konnten. Gegenüber den Mitstudierenden war ich offener, bei Gruppenarbeiten etwa habe ich das von Anfang an erwähnt und die Personen in der Gruppe wussten dann, dass sie bei meinen Folien nochmals besonders achtsam gegenlesen mussten.

Wo erleichtert die Uni deinen Studi-Alltag? Was mir das Studium erleichtert – das ist aber an anderen Unis auch so – ist die Tatsache, dass die Dozierenden wechseln und es ein grosses Angebot gibt. Ich hinterlasse mit einem schlechten Handout beispielsweise nicht den besten Eindruck, schleppe das aber nicht mit mir herum, weil ich vermutlich kein anderes Seminar mehr bei dieser Person belegen werde.

Nimmst du einen Nachteilsaugleich in Anspruch? Bisher nicht, aber für die Abschlussprüfung werde ich einen beantragen. Ich werde zusätzlich Zeit brauchen, um den Text durchzugehen.

Wo kann sich die Universität Luzern bezüglich Barrierefreiheit noch verbessern? / Wo würdest du dir mehr Unterstützung wünschen? Ganz allgemein fände ich es schön, wenn auch nach dem ersten Jahr mehr Vorlesungen angeboten würden – Seminare stellen mich vor grosse Herausforderungen, deshalb wäre ich um mehr Abwechslung froh. Auch Hilfestellungen wie zum Beispiel Schreibwerkstätten sind sehr wertvoll. Leider gab es die noch nicht regelmässig, als ich mit dem Studium begonnen habe. Für Personen mit Legasthenie wäre aus meiner Sicht ein Schreibkurs wünschenswert, der Studis einfach gesagt näherbringt, wie sie gut und mit weniger Fehler schreiben. Auch ein Coaching oder Mentoring zu bekommen, von Ehemaligen, die mit dieser Beeinträchtigung studiert haben, wäre super.

Was würdest du anderen Studierenden mit einer Beeinträchtigung oder einer chronischen Krankheit mit auf den Weg geben? Was würdest du anders machen?
Anders machen würde ich einige Dinge – zum Beispiel würde ich gerade am Anfang des Studiums weniger Seminare nehmen, da es mit dem Ressourcenmanagement aufgrund der vielen Texte schon heftig werden kann. Ich würde mich im Nachhinein vielleicht auch eher bei Dozierenden «outen», mich auch früher an Mitstudierende wenden und sie bitten,  Arbeiten oder Vortrags-Inhalte zu korrigieren. Das würde ich auch anderen mit auf den Weg geben. Noch schöner wäre es,  wenn es Studierende geben würde, die etwa gegen Social Credits Korrekturen anbieten, denn oft geniert man sich doch etwas, die Kolleg*innen immer wieder um Hilfe zu bitten. 

Update Stand Mai 2021: Flurina Bezzola hat ihren Bachelor in Kulturwissenschaften im Dezember 2019 erfolgreich abgeschlossen. Nach einem Praktikum in der Ausbildungsabteilung eines Pflegezentrums hat sie anfangs Mai 2021 mit grosser Vorfreude eine neue Stelle als Jugendarbeiterin angetreten.