Sebastian Sutter

Sebastian Sutter hat an der Uni Luzern 2016 seinen Abschluss in Rechtswissenschaften geschafft sowie später dass Anwaltspatent erworben

Stand des Interviews: Januar/Februar 2019

Du hast dein Studium an der UniLu abgeschlossen – was machst du momentan beruflich? Ich habe nach dem Studium zuerst zwei Praktika absolviert und arbeite nun als Anwalt bei der Kanzlei Bär & Karrer in Zürich.

Weshalb hast du dich für die Uni Luzern und deine Studienrichtung entschieden? Was die Studienrichtung angeht, war ich grundsätzlich auch an Naturwissenschaften interessiert – da stand mir meine Beeinträchtigung aber im Weg, da etwa die vielen Laborarbeiten nicht oder nur schlecht machbar gewesen wären. Mathematik war mir zu trocken, und so kam ich auf Jus, das meiner Meinung nach die perfekte Kombination ist: Genug kopflastig, dass ich es gut bewerkstelligen kann, aber genug Praxis, dass es mir dabei nicht langweilig wird. Für die Uni Luzern habe ich mich in erster Linie wegen der geografischen Lage entschieden, da ich schon in der Nähe wohnte und so die Möglichkeit hatte, relativ einfach an die Uni zu pendeln.

Hattest du irgendwelche Ängste vor dem Studienbeginn? In Bezug auf das Studium an sich nicht, da ich davon ausgegangen bin, dass vieles ähnlich wie im Gymi verläuft – Lektüre, Prüfungen und so weiter. Was ich als Einziges nicht wusste, ist, wie viel Entgegenkommen ich bei den Prüfungen an der Uni erwarten kann. Das hat sich im ersten Semester aber relativ bald erledigt.

Was waren für dich die grössten Hürden im Studium, gerade mit einer Sehbeeinträchtigung? Das grösste Problem war, dass ich die Projektion vom Beamer nicht lesen konnte, besonders wenn die vordersten Lampen auch eingeschaltet waren. Damit ich es verbildlichen kann: Für mich war die Präsentation vorne ein helles Quadrat, von dem ich maximal den Titel lesen konnte. Glücklicherweise gaben schon zu der Zeit fast alle Dozierenden die Folien vorab ab. So konnte ich diese auf meinen Laptop laden und die Vorlesung mitverfolgen. Auch mit der schieren Textmenge im Studium hatte ich zu kämpfen, da ich aufgrund der Tatsache, dass ich Schrift nur punktuell erfassen kann, sehr langsam lese. Anfangs habe ich die Zeit investiert und Stunden über Stunden mit Lesen verbracht; später habe ich dann angefangen, die Texte einzuscannen und mir vorlesen zu lassen.

Was war die positivste/negativste Erfahrung deines Studiums? Viel konnte ich selber organisieren, um mein Studium zu meistern. Die Prüfungen waren die Schnittstelle, nur in dem Fall habe ich meine Beeinträchtigung dann jeweils auch thematisiert. Dass die Leute da zuvorkommend und unbürokratisch waren, zähle ich zu den für mich positivsten Punkten. Als mir zum Beispiel mal das falsche Gesetz per PDF ausgehändigt wurde, ich das aber erst mitten in der Prüfung bemerkt habe, wurden die Dateien auf dem USB-Stick ausgetauscht und ich bekam Wartezeit zurück. Das klingt zwar relativ selbstverständlich, aus meiner Erfahrung ist es das aber oft nicht. Ein stark negatives Erlebnis könnte ich nicht schildern.

Wie reagierten deine Kommiliton*innen oder Dozierende auf deine Beeinträchtigung? Gegenüber den Dozierenden habe ich das eigentlich selten thematisiert. In der Tat war es eigentlich nur beim Coaching, welches neue Jus-Studierende am ersten Tag durch Professor*innen erhalten, ein Thema. Ich wurde da jemandem zugeteilt, der das Ganze sehr ernst genommen hat, was mir den Einstieg auch etwas erleichtert hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich sonst mit Dozierenden gross darüber gesprochen hätte. Obwohl es ihnen sicher aufgefallen ist, da ich als Einziger die Prüfungen mit dem Laptop geschrieben habe. Gespräche ergaben sich dann eher mit den Mitstudierenden, mit denen ich öfters zu tun hatte. Die waren schon eher neugierig und haben hier und da mal Fragen gestellt. An negative Reaktionen kann ich mich überhaupt nicht erinnern.

Wo liegen die Schwierigkeiten im Studium mit einer Sehbeeinträchtigung? Das habe ich mit den Hürden schon etwas angesprochen – zu nennen sind sicher das Mobilitätsproblem, der Aufwand für das Lesen und der durch die grossen Menschenmengen erschwerte soziale Anschluss.

Wo erleichtert die Uni deinen Studi-Alltag? Es war mir eine grosse Erleichterung, dass das Vorlesungsmaterial meistens vorab abgegeben wurde und man mir die Möglichkeit gab, die Prüfung unter fairen Bedingungen zu schreiben. Ein weiterer Vorteil war, dass alles im gleichen Gebäude war und ich mir Wege so mit der Zeit relativ einfach merken konnte.

Hast du einen Nachteilsausgleich in Anspruch genommen? Ich habe seit der Mittelschule die Prüfungen mit dem Laptop gemacht, statt von Hand. Als ich mich an der Uni Luzern das erste Mal nach Formularen für den Antrag erkundigt habe, gab es keines – lediglich für Zeitzuschläge bei Fremdsprachigkeit. Ich habe dann per Mail ein informelles Gesuch gestellt, den Laptop benutzen zu dürfen, die Gesetze per PDF zu bekommen und einen Zeitzuschlag zu erhalten. Das ist alles genehmigt worden, bei zwei Stunden Prüfungszeit habe ich etwa eine halbe Stunde zusätzlich erhalten, um die Aufgaben auch richtig lesen zu können. Das Gesuch habe ich jedes Semester wieder eingereicht, und auch bei der Verbundsprüfung habe ich den Ausgleich sehr unbürokratisch gewährt bekommen.

Wo kann sich die Universität Luzern bezüglich Barrierefreiheit noch verbessern? Ich denke, die soziale Inklusion könnte verbessert werden. Ich habe beispielsweise kein Gedächtnis für Gesichter, die Informationen kommen in meinem Gehirn gar nicht an. Die Situation, anfangs niemanden zu kennen, wenn du in einem Hörsaal mit 300 anderen Mitstudierenden bist, kennen viele. Ich erlebe diesen ersten Tag aber immer wieder. Gottseidank ist der Mensch ein Gewohnheitstier und viele setzten sich immer in die gleichen Ecken. So konnte ich immerhin etwas Zugang finden, wenn ich den richtigen Platz ausfindig machte. Ich bin später einer Studentenverbindung beigetreten, da die Kommunikation in kleineren Gruppen – und im Übrigen auch in kleineren Vorlesungsräumen – mir viel leichter fällt. Es ist mir bewusst, dass es für die Uni aber schwierig ist, da etwas zu tun. Vielleicht wären da eher die Fachschaften anzusprechen, denn oft organisierten sie für die Studis vor allem Club-Events, um sich kennenzulernen. Dunkelheit und laute Musik sind für Personen mit meiner Beeinträchtigung allerdings der Supergau für die Orientierung. Ich weiss nicht, wie das mittlerweile ist, aber diverse Events, beispielsweise Abendessen oder andere Events in kleineren Gruppen, könnten zur Inklusion beitragen.

Was würdest du anderen Studierenden mit einer Beeinträchtigung oder einer chronischen Krankheit mit auf den Weg geben? Was würdest du anders machen? Ich würde aggressiver sein. In dem Sinne, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass du schon von überall Hilfe bekommst, aber du musst dich relativ stark aufdrängen. Berührungsängste von nichtbeeinträchtigten gegenüber beeinträchtigten Personen – etwa die Angst, etwas falsch zu machen – lassen sich überwinden, indem man klar kommuniziert. Gerade anfangs Studium habe ich mich nicht getraut, Leute zu fragen, ob sie mich führen. Heute greife ich mir öfters einfach eine Schulter und hänge mich an. Deshalb würde ich anderen Studierenden in meiner Situation raten, sich proaktiv Hilfe zu suchen und dabei viel zu erklären.

Update Stand Mai 2021: Sebastian Sutter ist immer noch als Rechtsanwalt bei der Zürcher Kanzlei Bär & Karrer tätig und betreut dort die Bereiche Mergers & Acquisitions sowie Know-How.