Stadt, Land, Missverständnis – meine ersten Tage an der Universität Gent

Die Masterstudentin Chantal Hüsler beginnt ihr Semester dieses Jahr nicht wie gewohnt an der Universität Luzern, sondern mitten im Herzen Belgiens. Aus Gent berichtet sie von ihren ersten Eindrücken und Erfahrungen im Austauschsemester.

Chantal Hüsler in Gent, Belgien

Die Stadt

Zwei Wochen ist es nun her, seit ich meine bequeme Lapttptasche  gegen zwei prallgefüllte Reisekoffer eingetauscht und den Sprung ins Unbekannte gewagt habe.
Zürich–Brüssel–Gent, die Reise verging wie im Flug, und schon stand ich mitten im historischen Zentrum dieser wunderschönen Stadt.
Verträumte, bunte Häuslein reihen sich entlang eines breiten Kanals.
Das steinerne Pflaster, die bunten Boote auf dem Wasser und die kleinen Brücken, die sich schützend über den Kanal spannen, schenken der Altstadt etwas Märchenhaftes. Drei Kirchtürme prägen  wie verschnörkelte Giganten das Stadrbild und präsentieren ihre eindrücklichen Uhren.
Drei Uhren hintereinander – da hüpft mein Schweizer Herz: «Zu spät kommt hier bestimmt niemand!»

Die Unterkunft 

Drei Glockenschläge später war ich bereits daran, mein eigenes kleines Reich einzurichten. Man hatte mich in einem der fünf riesigen Blöcke des Studentenwohnheims untergebracht.
Nach meiner Odyssee durch endlose Korridore, steile Treppen und weite Innenhöfe hatte ich endlich mein neues Zuhause gefunden. Das Zimmer ist nicht gross, aber es hat alles, was ich brauche: eine Küche, ein Bad, ein Bett und einen Tisch. Nachdem ich meine Koffer ausgepackt hatte, fühlte es sich bereits ein bisschen wie Zuhause an.
Erschöpft, aber voller Zuversicht, fiel ich schon um sieben Uhr abends ins Bett.
Als ich am kommenden Morgen erwachte, war ich voller Tatendrang. Ich wollte die Stadt besichtigen, ein Gym finden, Menschen kennenlernen und vielleicht bereits die ersten Vorlesungsskripte kaufen. Doch meiner Euphorie wurde jäh Einhalt geboten.
Denn mein Zimmer hatte keinen Strom.

Viel Energie, aber kein Strom 

Zum Glück hatten wir beim Einchecken am Tag zuvor ein Merkblatt für Notfälle erhalten.
Die Hausverwaltung hatte darauf alle überlebenswichtigen Telefonnummern zusammengestellt. Eifrig wählte ich die Nummer und schilderte: «I don’t have any power.»
Stille.
Übereifrig, wie ich in meiner Misere war, wiederholte ich: «I don’t have any power! I can’t shower, I can’t see – there is no light, everything is dark, I HAVE NO POWER.»
Ein Räuspern. Der Antwortende fragte vorsichtig, fast zärtlich: «Miss, are you alright? Do you need help?»
Merklich irritiert antwortete ich: «Yes, I do need help – I can’t get anything done, since there is no power!»
Wieder Schweigen. Diesmal klang seine Stimme deutlich beunruhigt: «Miss, can you describe to me exactly how you feel right now?»
Langsam dämmerte mir, dass ich wohl die falsche Nummer gewählt haben musste, denn für einen Hauswart schien mir dieser Herr bei Weitem zu besorgt zu sein.
Vorsichtig fragte ich: «Sir, am I speaking to the facility management?» Ein hörbares Aufatmen folgte:
«No, Miss. You’ve reached the helpline for psychological emergencies. Is your loss of power about electricity – or about your state of mind?»
Ich konnte ihn endlich erlösen: «No crisis here, apart from the fact that I don’t have electricity in my dorm.»
Die Absurdität der Situation und das perfekte Missverständnis entluden sich sofort in einem erleichterten Gelächter.

Los geht’s!

Als mein Dorm wieder Strom hatte machte ich mich auf den Weg zur Uni. Es war an der Zeit, meine Kommilitoninnen und Kommilitonen kennenzulernen.
Davon werde ich in meinen kommenden Artikeln berichten.

Dieser Beitrag wurde von Chantal Hüsler, Masterstudentin in Global Studies, realisiert.