Geschlechterunterschiede bei Behandlungsentscheiden
Beeinflusst das Geschlecht von Ärztinnen und Ärzten die Art, wie sie medizinische Entscheidungen treffen, und ist dies für Kostenunterschiede im Schweizer Gesundheitswesen mitverantwortlich? Diese und weitere Fragen werden in einem vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Projekt unter der Leitung von Lukas Kauer und Samuel Lordemus untersucht.
In vielen Ländern, wie auch der Schweiz, zeigen sich deutliche regionale Unterschiede bei der Nutzung von Gesundheitsleistungen und bei den Gesundheitskosten. Ein möglicher Grund dafür liegt in der medizinischen Entscheidungsfreiheit: Viele Behandlungen basieren nicht auf eindeutigen Vorgaben, sondern auf individuellen Einschätzungen von Ärztinnen und Ärzten. Dabei spielen persönliche Überzeugungen, berufliche Erfahrungen – und möglicherweise auch das Geschlecht – eine Rolle. Vor diesem Hintergrund unterstucht das nun vom SNF geförderte Projekt unter anderem folgende Fragen: Unterscheiden sich Ärztinnen und Ärzte bei gleichen Fällen in ihren Entscheidungen? Hat das Geschlecht einen Einfluss auf die Diagnosegenauigkeit oder die Effizienz der Behandlung? Beeinflusst es, wie Patientinnen und Patienten medizinische Angebote nutzen? Und spielt die Verteilung von Ärztinnen und Ärzten über das Land hinweg eine Rolle? Für die Klärung dieser Fragen wird in dem Projekt Fachwissen aus den Bereichen Gesundheitsökonomie, Epidemiologie und Versorgungsforschung kombiniert. Es soll einen Beitrag zum besseren Verständnis geschlechtsspezifischer Einflüsse auf die medizinische Versorgung leisten, mit dem Ziel, Versorgungsgerechtigkeit und Ressourceneffizienz im Gesundheitswesen zu verbessern.
Um die obengenannten Fragen zu beantworten, gehen die Forschenden wie folgt vor: Zunächst werden sogenannte Patientenvignetten eingesetzt. Dabei handelt es sich um fiktive Fallbeispiele mit unterschiedlich klaren klinischen Situationen. Ärztinnen und Ärzte sollen diese beurteilen und Diagnose- sowie Behandlungsempfehlungen abgeben. Während bei einigen Fällen eine eindeutige medizinische Handlung erwartet wird, lassen andere bewusst Interpretationsspielraum. Hier können persönliche Einstellungen und mögliche geschlechtsspezifische Muster sichtbar werden.
Zusätzlich werden Daten aus der obligatorischen Krankenversicherung ausgewertet, die zeigen, welche Behandlungen verschrieben wurden und wie viel sie gekostet haben, bezogen auf einzelne Arztpraxen. Ergänzend fliessen auch Informationen über einzelne Patientinnen und Patienten in die Analyse ein. Mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens sollen dabei typische Muster im Verschreibungsverhalten erkannt werden. So lässt sich untersuchen, ob und wie das Geschlecht der behandelnden Person dabei eine Rolle spielt.
- Originaltitel des Projekts und Übertragung ins Deutsche: «The Impact of Physician Gender on Medical Decisions and Healthcare Costs», («Der Einfluss des ärztlichen Geschlechts auf medizinische Entscheidungen und Gesundheitskosten»)
- Leitung: Dr. Lukas Kauer, Lehr- und Forschungsbeauftragter für Gesundheitswissenschaften; Dr. Samuel Lordemus, Lehrbeauftragter für Gesundheitswissenschaften, Oberassistent mit Habilitationsprojekt
- Projektbeteiligte und Mitarbeitende: Prof. Dr. Stefan Boes, Professor für Gesundheitsökonomie;
- Dr. Stefan Essig, Forschungsmitarbeiter Post Doc am Zentrum für Hausarztmedizin & Community Care, Prof. Dr. Tobias Müller (Berner Fachhochschule). Prof. Dr. Isabelle Peytremann-Bridevaux (Universtität Lausanne), zwei Doktorierende (noch zu bestimmen)
- Projektdauer: 48 Monate
- Bewilligte Fördersumme: 549’000 Franken (gerundet)