Das «Institut für Juristische Grundlagen – lucernaiuris» durfte sein 20-Jahre-Jubiläum feiern. Unverändert auf dem Programm steht die kritische Reflexion des Rechts, gepaart mit intellektueller Offenheit und Flexibilität.

Prof. Dr. Vagias Karavas (links), Ordinarius für Rechtssoziologie, Rechtstheorie und Privatrecht und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Juristische Grundlagen – lucernaiuris, und Dr. Steven Howe, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Geschäftsführer des Instituts

Vagias Karavas, Sie sind Geschäftsleitender Direktor von lucernaiuris. Wie kam es im Jahr 2004 zur Gründung dieses Instituts?

Vagias Karavas: Das Institut wurde auf Initiative unseres Kollegen Michele Luminati in Zusammenarbeit mit dem damaligen Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Paul Richli, gegründet. Zu jener Zeit, Anfang der 2000er-Jahre, wurde vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses viel über die Weiterentwicklung der Rechtswissenschaft als akademische Disziplin diskutiert. Daraus entstand bei Michele Luminati die Vision, ein Institut zu gründen, das ein sichtbares Zeichen für die Bedeutung der juristischen Grundlagenfächer im universitären Kontext von Forschung und Lehre setzt. Ziel war es auch, einen eigenständigen Beitrag zur Neuausrichtung der Grundlagenfächer zu leisten, vor allem durch eine stärkere Fokussierung auf vernetzte Grundlagenfragen und die Intensivierung des interdisziplinären und disziplinären Austauschs.

Welche Bilanz ziehen Sie nach 20 Jahren?

Eine durchwegs positive. Das Institut hat sich inzwischen gut etabliert – auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Es ist ein anerkanntes Zentrum für kritische und interdisziplinäre Lehre und Forschung mit einem starken theoretischen Akzent. Ohne die grosszügige Unterstützung der Universität und der Fakultät wären wir natürlich nicht dort, wo wir heute stehen. Dafür sind wir sehr dankbar.

Steven Howe, was zeichnet Ihres Erachtens als Geschäftsführer das Institut aus?

Steven Howe: Für mich ist es vor allem die intellektuelle Offenheit und Flexibilität. Wir streben am Institut keine Kanonisierung bestimmter Inhalte oder Positionen an. Wir legen uns auch nicht auf einen theoretischen oder methodischen Ansatz fest. Ziel ist es vielmehr, offene Diskussionsräume zu schaffen, in denen unterschiedliche Perspektiven und Denkweisen aufeinandertreffen und auch gewagte Ideen ihren Platz finden. Dabei legen wir weiterhin grossen Wert auf den inter- und transdisziplinären Austausch, der die Chance bietet, über die Grenzen des Gewohnten hinauszudenken und neue Horizonte zu erkunden. Zudem ist es uns gelungen, eine Gesprächs- und Diskussionskultur zu etablieren, die sich durch ebendiese intellektuelle Offenheit, aber auch durch Humor und gelassene Freundlichkeit auszeichnet. Dies trägt auch dazu bei, dass sich alle, auch die jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ermutigt fühlen, sich aktiv einzubringen, kreativ zu denken und neue Wege zu wagen.

Wir legen weiterhin grossen Wert auf den inter- und transdisziplinären Austausch.
Steven Howe

Wie haben sich die Fragestellungen bzw. Schwerpunktthemen des Instituts seit der Gründung verändert? Wo liegt heute der Fokus?

Karavas: Das Ziel des Instituts liegt unverändert in der Forschung und Lehre zu den Grundlagen des Rechts. Wir beschäftigen uns nach wie vor mit Kernfragen und -themen der Rechtsphilosophie, -theorie, -geschichte und -soziologie – mit der Analyse und Definition von Grundbegriffen der Rechtsordnung, mit Formen der Normativität und deren Entstehungsbedingungen, mit Kontinuität und Wandel des Rechts, mit Fragen der Entstehung und gesellschaftlichen Bedingtheit des Rechts sowie um den Einfluss des Rechts auf die Gesellschaft. All dies im Sinne einer kritischen Reflexion des Rechts. Die Rechtshistorikerin Marie Theres Fögen hat an unserer Gründungstagung 2004 die Grundlagenfächer als die «ungeliebten Kinder» der Rechtswissenschaft bezeichnet, deren Aufgabe es sei, als «troublemaker» und nicht als «troubleshooter» zu fungieren. In vielerlei Hinsicht arbeiten wir auch heute noch nach diesem Leitspruch – es geht uns vor allem darum, das Recht kritisch zu beobachten, zu hinterfragen und zu problematisieren, und damit für die notwendige permanente Reflexion in der Rechtswissenschaft zu sorgen.

Howe: Inhaltlich haben wir eine Reihe von langjährigen Schwerpunktthemen, die sich mit den Forschungsschwerpunkten der am Institut beteiligten Lehrstühle decken, wie z.B. Rechts- und Justizgeschichte, Recht der neuen Medien und Technologien, Law and Economics. Wir sind aber stets auch bemüht, den Bezug zu aktuellen wissenschaftlichen Fragestellungen und ausserwissenschaftlichen Problemen zu gewährleisten. So haben wir uns in jüngster Zeit verstärkt den Themen Digitalisierung, künstliche Intelligenz, kulturwissenschaftlichen Grundlagen des Rechts, etwa die Zusammenhänge zwischen Recht und Medien oder die Wechselwirkungen zwischen Recht und Literatur, Recht und Kunst, Recht und Film, haben wir inzwischen stärker in den Blick genommen.

Das Ziel des Instituts liegt unverändert in der Forschung und Lehre zu den Grundlagen des Rechts.
Vagias Karavas

Eine zentrale Aufgabe des Instituts ist die Organisation und Durchführung von unterschiedlichen wissenschaftlichen Veranstaltungen. Auf welche Highlights blicken Sie zurück?

Howe: Der Weltkongress der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie, den wir 2019 in Luzern durchgeführt haben. Das war allein schon von der Grösse her ein ganz besonderer Anlass – ein fünftägiger Kongress mit über 1300 Teilnehmenden aus der ganzen Welt. Damals, und ich glaube immer noch, die grösste Veranstaltung in der Geschichte der Universität. In Erinnerung bleibt besonders die erste Plenarveranstaltung am Eröffnungstag, die im Konzertsaal des KKL stattfand. Das war etwas ganz Aussergewöhnliches. Insgesamt war der Kongress ein grosser Erfolg und ein wichtiger Meilenstein für die Positionierung des Instituts im internationalen Umfeld.

Karavas: Ein Highlight für mich waren die beiden «Critical Times»-Summer-Schools, die wir 2023 und 2024 veranstaltet haben. Die Programme beider Veranstaltungen waren vielfältig und die Teilnehmergruppen breit gefächert. Die Leitthemen – «Movement(s)» (2023) und «Un/Seen» (2024) – wiesen eine interdisziplinäre Ausrichtung auf und förderten den fach- und kulturübergreifenden Austausch. Das alles empfand ich als sehr bereichernd und stimulierend. Für mich war es eine Freude, so viele hochkarätige Dozierende, aber auch so viele hochmotivierte und -talentierte Nachwuchswissenschaftlerinnenund  wissenschaftler aus der ganzen Welt kennenzulernen und mit ihnen zu diskutieren. Ich glaube, alle Teilnehmenden haben enorm von den verschiedenen Wissenshorizonten der anderen Anwesenden profitiert. Diese Summer Schools sind für mich ein sehr gelungenes Beispiel dafür, wie man internationale und interdisziplinäre Lehre umsetzen kann, um eine Plattform für den Austausch von Ideen und Wissen zu schaffen.

Schauen wir auf die Gegenwart und in die Zukunft. Was steht im laufenden Jahr 2025 auf dem Programm?

Karavas: Ziemlich viel. Unsere Vortragsreihe «laboratorium lucernaiuris» wird fortgesetzt – im Frühjahrssemester haben wir eine Veranstaltung mit Lara Montesinos Coleman, Professorin für Internationales Recht, Ethik und Politische Ökonomie an der Universität von Sussex, durchgeführt. Dies gemeinsam mit dem Institut für Wirtschaft und Regulierung (WiRe). Im Herbst wird Bill Maurer, Professor für Kulturanthropologie und Recht an der University of California Irvine, einen Vortrag bei uns halten. Im Oktober organisieren Michele Luminati und ich zusammen mit Bundesrichterin Julia Hänni die «Rousseau Lectures» der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie. Anfang Juli findet die Summer School erneut statt, diesmal zum Thema «Disruptions». Ausserdem werden wir im Laufe des Jahres auch zwei Visiting Fellows begrüssen dürfen. Wir freuen uns also auf ein ereignisreiches Jahr am Institut – und auf einen spannenden Start in unser drittes Jahrzehnt.

Mehr Informationen zum Institut für Juristische Grundlagen – lucernaiuris

Das Interview ist im Jahresbericht 2024 der Universität Luzern erschienen.

Teona Kvirikashvili

Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Rechtssoziologie, Rechtstheorie und Privatrecht.