Ist Religion (noch) relevant? – Zwischen Moschee und Freikirche
Was verbindet einen Imam aus Kreuzlingen mit dem Präsidenten der Freikirchen Schweiz? In der zweiten Ringvorlesung «Die ambivalente Relevanz von Moscheen und Freikirchen» an der Universität Luzern vom 8. Oktober diskutierten beide über Herausforderungen und Chancen religiöser Gemeinschaften in einer zunehmend säkularen Gesellschaft.
Religiöse Gemeinschaften in der Schweiz verändern sich: Moscheen werden zu kulturellen Treffpunkten, Freikirchen wachsen entgegen dem Trend.
Online-Imame und fehlender Nachwuchs
Rehan Neziri, Imam einer albanischen Moschee in Kreuzlingen, sieht die muslimische Gemeinschaften vor Herausforderungen: Die jüngere Generation zeige weniger Interesse an ehrenamtlichem Engagement für Organisations- und Führungsaufgaben in den Moscheen.
Auch der Nachwuchs an Imamen sei ein zunehmendes Problem, gerade auch weil es in der Schweiz keine Ausbildungsmöglichkeiten dafür gibt. Besonders der wachsende Autoritätsverlust traditioneller Imame durch sogenannte «Internet-Imame» oder «Internet-Shaykhs» bereitet Neziri Sorgen. Diese würden den Islam oft sehr konservativ auslegen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Laut Umfragen des Bundes gab zudem fast die Hälfte der Muslim:innen in der Schweiz an, in den letzten 12 Monaten nie gebetet zu haben, was in das Bild der zunehmenden säkularisierten Schweiz passt.
Und wie sieht es bei den Freikirchen aus?
Heute verfüge die Schweiz über 1393 Freikirchen, so Peter Schneeberger vom Dachverband Freikirchen und christliche Gemeinschaften Schweiz. Diese würden – anders als die beiden Landeskirchen und entgegen dem gesellschaftlichen Trend – eine steigende Zahl von regelmässigen Kirchbesucher:innen verzeichnen. Ehrenamtliches Engagement werde gelebt, womit seine Mitglieder häufig in sozialen Brennpunkten tätig seien.
Glaube als Brücke
Der Abend zeigte: Es geht nicht nur um Wandel, das Ringen um Relevanz und Nachwuchs, sondern um den gesellschaftlichen Zusammenhalt – auch innerhalb unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Neziri betonte, man solle sich stärker auf die Gemeinsamkeiten statt Unterschiede konzentrieren. So habe er beispielsweise von einem katholischen Pfarrer in Kreuzlingen den richtigen Umgang mit den Medien gelernt.
Ein Imam und ein Freikirchenpräsident – zwei Welten, die auf den ersten Blick kaum miteinander zu tun haben. Doch das Fazit des Abends lieferte Neziri: «Wir sind Teil der Lösung und nicht des Problems.» Ein Punkt der leider in den Medien zu wenig beleuchtet würde.
Weitere Informationen zur Ringvorlesung
Dieser Beitrag wurde von Michael Bieri, Masterstudent in Ethnologie und Religionswissenschaft, verfasst.
