«Das liturgische Leben der Muslime, Juden und östlichen Christen öffnete mir den Blick auf die alle verbindende Sprache und Ästhetik der nahöstlichen Welt.»

Die Arabistin Prof. em. Dr. Angelika Neuwirth erklärt im Interview vor ihrem Festvortrag anlässlich ihrer Ehrenpromotion am Dies Academicus 2025, wie sich die drei abrahamitischen Religionen gegenseitig beeinflusst haben, wie diese Einflüsse in ihren Texten aufspürbar sind und was das für das heutige Verständnis unter den Religionen bedeutet.

Prof. em. Dr. Angelika Neuwirth

Angelika Neuwirth, was bringt uns der Blick zurück auf das 1700 Jahre alte christliche Glaubensbekenntnis heute noch – vor allem für das Gespräch zwischen den Religionen?

Er bringt uns zum Nachdenken: Ein Glaubensbekenntnis dieser Art hat es im Judentum bis in die Zeit des Maimonides (st. 1204) nicht gegeben; im Islam ist das am ehesten dieser Form entsprechende «Bekenntnis» gerade abhängig vom Nizänum, nämlich als eine «Kontrafaktur» d.h. eine negierte Umformulierung des Nizänum-Beginns. Das Nizänum ist bereits Kompromiss und bringt daher eine für das Christentum typische Dialektizität ans Licht. Seine erste Aussage ist zwischen den drei monotheistischen Religionen Konsens. Seine zweite Aussage, die bereits zu Konstantins Zeit zur Ausgrenzung der Juden, zu einem «partings of the ways» zwischen zwei Religionen, geführt hatte, bleibt auch für Muslime eine Hürde. Sie ist aber zugleich für Muslime (und so auch für komparative Theologen) eine Herausforderung: Kann eine islamische Entsprechung zu dem christlichen, in Jesus Christus verkörperten, Mittler zwischen Gott und Menschen in Gestalt des klanglich realisierten Koran wiedergefunden werden? Eine positive Antwort, wie sie für die Spätantike von einem christlich-arabischen Theologen, Theodor Abu Qurra, auch überliefert ist, wäre ein wichtiger Schritt hin zur Herstellung einer Augenhöhe für den Dialog.

Verstehe ich Sie richtig in Ihrer Aussage, dass der Koran auf die christlichen Glaubensaussagen zunächst nicht mit theologischen Gegenthesen, sondern mit dichterischer Sprache reagiert habe? Was war die Ursache dafür?

Das nizänische Glaubensbekenntnis ist selbst ein poetischer Text. Er wird in den Ostkirchen auch durch gleichzeitige Kulthandlungen des Priesters oder Bischofs «orchestriert» und fordert so geradezu zu einer «Nachdichtung» heraus. Auch der Koran als ganzer ist hochgradig poetisch. Die Auseinandersetzung mit dem Nizänum erfolgte kurz nach der Emigration (Hidjra) in das jüdisch dominierte Medina, d.h. zu einer Zeit der intensivierten Begegnung mit den Liturgien der beiden anderen Religionen, von deren liturgischer Praxis schon in früher Zeit wichtige Anregungen ausgegangen waren. Dogmatische Konfrontationen erfolgen erst in späteren Phasen der Koran-Verkündigung. 

Sie werden über das Licht als Symbol sprechen, das in allen drei abrahamitischen Religionen vorkommt. Wie unterscheiden sie sich und wo sind sie sich ähnlich? Helfen die Gemeinsamkeiten beim gegenseitigen Verständnis? 

Definitiv! Bereits im Schöpfungsbericht ist die göttliche Erschaffung des Lichtes grundlegend. In der Makkabäerzeit wird das göttliche Licht zu einem wichtigen Theologoumenon, das in einem neu eingeführten Fest, Chanukka (=Enkainia), der Neuweihe des Tempels, geehrt wird. Die Spätantike aktualisiert damit die zum ersten Tempel gehörende, von Sacharja in eine Tempelvision gekleidete, «Gott-als-Licht-Vorstellung» für die Neuweihe des zweiten Tempels (165 v. Chr.). Auch im Nizänum ist die Licht-Qualität, ausgesagt von Gott Vater und auch Sohn, zentral. Das Johannes-Evangelium entwickelt eine umfassende Christus-Licht-Theologie. Auf alldem baut im Koran der gefeierte Lichtvers, Sure 24, 35, auf, der Gott als «Licht von Himmel und Erde» preist. Dieser Vers trägt gleichzeitig der Absicht Rechnung, die im Nizänum und bei Johannes zentrale Lichtqualität Jesu Christi auf den einzigen Gott zurückzutransferieren und die Lektüre der Juden, die auch in Medina das Chanukka-Fest begehen, zu bekräftigen. Diese Zusammenhänge zeugen von der Verwobenheit aller drei Religionen. 

Beim Studium alter Texte besteht ja immer die Gefahr, dass man aus der eigenen Perspektive mehr hineinliest, als vorhanden ist. Gerade wenn die Texte einen Bezug zu einem aktuellen Thema haben. Gibt es hierzu Beispiele, wo das in Ihrem Forschungsfeld passiert? 

In der Tat waren ganze Korankritiker-«Schulen» von der Vorstellung einer Abhängigkeit des Koran, bis hin zu der Annahme seiner Übersetztheit aus dem Christlich-Syrischen, geleitet, so dass der Koran als ein Plagiat christlicher Texte erschien. Rezeptionsforschung, nun auf auf syrische Kirchenvätertexte als Modelle für zahlreiche Koranpassagen ausgerichtet, ist immer noch en vogue. Man kann dem am ehesten mit dem Blick auf den innerkoranischen Kontext, den «Sitz im Leben» begegnen. Koranische Texte stehen ja in jeweils aktuellen Debatten, sie sind nicht einfach «gelungene oder verfehlte» Paraphrasen älterer Traditionen.

Welche Impulse könnte Ihre Analyse historischer Christentum–Judentum–Islam-Beziehungen für den heutigen interreligiösen Dialog geben?

Ich möchte vor allem daran erinnern, dass der Islam «ab ovo» in einer Auseinandersetzung mit den beiden anderen Religionen steht. Sogar vor der Konsolidierung der islamischen Religion, während der Genese des Korantextes, waren die Austauschprozesse formgebend. Sie im Koran aufzuspüren kann sogar für die überkonfessionelle Bedeutung solcher Schlüsselereignisse der christlichen Geschichte wie dem Konzil von Nizäa von Belang sein. 

Beeinflusste Ihre eigene Biografie Ihre Forschung? Und umgekehrt?

Gewiss. Sie liefen gewissermassen parallel und prägten einander, da ich mich sehr häufig und auch langfristig in der muslimisch-geprägten Welt aufhielt. Meine eigentlichen Lehrer waren dabei meine Kollegen und Studierenden vor Ort. Allem voran war es aber das liturgische Leben der Muslime, Juden und östlichen Christen vor Ort, das mir den Blick auf die alle verbindende Sprache und Ästhetik der nahöstlichen Welt öffnete.

 

Der Festvortrag mit dem Titel «Nizänum und Islam – Debatten des Nizänums in koranischen Suren» findet am 6. November 2025 im Hörsaal 9 an der Universität Luzern statt. Türöffnung ist um 18.00 Uhr, Beginn um 18.15 Uhr.

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