Die «Law Clinic Wirtschaftsrecht» bietet Studierenden auf Masterstufe die Möglichkeit, sich unter professioneller Betreuung mit realen Fällen auseinanderzusetzen. Das Lehrformat schlägt eine Brücke zwischen der theoretischen Ausbildung und der praktischen Anwendung.

Win-win-Situation (v. l.): die Studierenden Magdalena Lottenbach und Mario Schwager mit MedTech-Professor Roger Abächerli, dem ersten Auftraggeber der Law Clinic. (Bild: Silvan Bucher)

Die Law Clinic Wirtschaftsrecht ist ein neues Lehrformat an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Seit dem Frühjahrssemester 2021 können Masterstudierende in Teams von zwei bis drei Personen einen realen Fall zu wirtschaftsrechtlichen Themen bearbeiten. Sie verfassen zuhanden eines Auftraggebers – in der Regel ein Unternehmen – ein Rechtsgutachten und präsentieren ihre Ergebnisse an einer Schlussveranstaltung.

Die Teams werden von Professorinnen und Professoren sowie Lehrbeauftragten der Universität oder dem unternehmensinternen Rechtsdienst fachlich betreut und angeleitet. Die Betreuerin oder der Betreuer steht ihnen während des Semesters mit Rat und Tat zur Seite, um fachliche und strukturelle Fragen oder Gutachtensentwürfe zu besprechen. Die akademische Leitung liegt bei den Professoren Nicolas Diebold und Bernhard Rütsche. Kooperationspartner der Law Clinic ist die Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz (IHZ), der mehrere hundert Unternehmen angeschlossen sind.

Vielfältige Rechtsfragen

Die Fälle, die bisher in der Law Clinic bearbeitet worden sind, verdeutlichen die Vielfältigkeit dieses Lehrformats. So bearbeiteten im Frühlingssemester 2021 zwei Studierendenteams einen Fall aus dem Medizinprodukterecht mit Berührungspunkten zu den bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU. Konkret ging es um «Virtual Walking», eine am Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil (SPZ) entwickelte visuelle Therapiemethode, mit der chronische neuropathische Schmerzen nach Rückenmarksverletzungen behandelt werden können.

Im Zentrum stand die Frage, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen diese an Patientinnen und Patienten angewendet und in Verkehr gebracht werden darf. Die Studierenden mussten sich mit der komplexen Materie des Heilmittelrechts auseinandersetzen. Dabei bestand eine grosse Herausforderung darin, dass das europäische Recht kurz zuvor geändert worden war und dass aufgrund des gescheiterten Rahmenvertrags unklar war, welche Vorschriften in der Schweiz anwendbar sein würden. Die Betreuung der Studierenden erfolgte durch die Professoren Diebold und Rütsche in Zusammenarbeit mit Roger Abächerli, Professor für MedTech am Institute for Medical Engineering der Hochschule Luzern.

Im Herbstsemester 2021 wurden zwei Fälle an die Law Clinic herangetragen. Im ersten Fall befassten sich zwei Gruppen von Studierenden mit bau-, raumplanungs-, sozial- und vertragsrechtlichen Fragen rund um die touristische Nutzung und den Betrieb von Kleinsthäusern aus Holz («Tiny Houses»). Die Renggli AG, Spezialistin im nachhaltigen Bauen mit Holz, und mySaess, die Betreiberin einer Internetbuchungsplattform, liessen abklären, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen diese Kleinsthäuser als Übernachtungsmöglichkeiten für Luxus-Camping genutzt und namentlich von Landwirtinnen und -wirten, auf deren Land die Bauten aufgestellt würden, betrieben werden dürften.

Die Studierenden mussten flexibel auf allfällige Veränderungen des Sachverhalts reagieren und Abklärungen für verschiedene Varianten treffen.

Für die Studierenden bestand die Schwierigkeit darin, dass zum Zeitpunkt der Fallbearbeitung kein vollständiges Geschäftsmodell vorlag. Sie mussten deshalb flexibel auf allfällige Veränderungen des Sachverhalts reagieren und Abklärungen für verschiedene Varianten treffen. Fachlich wurden die Studierenden von den Professoren Roland Norer und Marc Hürzeler betreut.

Der zweite Fall im Herbstsemester drehte sich um rechtliche Fragen im Vermögensverwaltungsgeschäft. Zwei Studierendenteams prüften im Auftrag der UBS AG, unter welchen Voraussetzungen die konzerneigene Asset Management AG im Rahmen von diskretionären Mandaten – also solchen, bei denen Kundinnen und Kunden Anlageentscheidungen an Vermögensverwalter delegieren – in sogenannte illiquide Anlagen investieren darf.

Die Studierenden hatten abzuklären, welche Risiken zu beachten sind und wie diese reduziert werden können. Die Herausforderung lag in der hohen Technizität der Materie. Um die Rechtsfragen beantworten zu können, mussten sich die Studierenden mit komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten vertraut machen. Im Unterschied zu den anderen Fällen wurden die Teams vom unternehmensinternen Rechtsdienst betreut, und zwar von Rechtsanwältin Andrea Vontobel, Leiterin Legal Client Coverage EMEA & CH der UBS Asset Management AG.

Beidseitiger Gewinn

Das neue Lehrgefäss der Law Clinic ist mit den drei Fällen im 2021 erfolgreich gestartet. Es hat sich gezeigt, dass die Studierenden dank des hohen Praxisbezugs der Veranstaltung wertvolle Erfahrungen sammeln können, die über die Aneignung von juristischem Fachwissen hinausgehen. Die Studierenden waren denn auch motiviert bei der Sache und legten eine überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft an den Tag.

Sie nutzten die Möglichkeit, praktische Fähigkeiten wie Problemerkennung, analytisches Denken und Zeitmanagement sowie ihre kommunikativen Fähigkeiten zu trainieren. Ausserdem lernten sie, was es heisst, projektbezogen in kleinen Teams zu arbeiten, und wie wichtig Teamfähigkeit in solchen Situationen ist. Im Rahmen der fachlichen Betreuung mussten sie selbstständig Lösungen für die komplexen praktischen Probleme erarbeiten und trugen die Hauptverantwortung für den Inhalt der Gutachten.

Die Law Clinic ist aber auch für die als Auftraggebende beteiligten Unternehmen ein Gewinn. Sie leisten einen wertvollen Beitrag zur juristischen Ausbildung und können Kontakte mit engagierten Mitgliedern der Fakultät knüpfen. Dabei profitieren sie vom juristischen Fachwissen der Studierenden wie auch der Betreuerinnen und Betreuer und erhalten eine kostenlose Rechtsauskunft zu einem konkreten Fall. Überdies eröffnet sich ihnen die Gelegenheit, die Studierenden als potenzielle Arbeitnehmerinnen und -nehmer kennenzulernen. Die Law Clinic bietet eine Plattform, wo die Praxis auf die universitäre Lehre trifft und wo der gegenseitige Austausch gefördert wird.

Dr. Marc M. Winistörfer ist Koordinator der Law Clinic. Der Text ist im Jahresbericht 2021 der Universität Luzern erschienen.