Die Rolle der Frau in der Kirche wandelt sich – auch im Kloster, wie kirchengeschichtliche Forschung zeigt. Wissenschaftliche Interviews, die zurzeit geführt werden, geben einen tiefen Einblick in die Lebensgeschichten von Benediktinerinnen und Benediktinern.

Willkommen! Schwester Bernarda Lenz (l.), Pförtnerin, und Schwester Pia Habermacher, ehemalige Äbtissin des Frauenklosters Sarnen. (Bild: Stiftung Ora et Labora)

Esther Vorburger-Bossart, die Grundlage für das laufende Forschungsprojekt, zu dem die Interviews gehören (siehe auch Kontextelement unten), bietet ein abgeschlossenes Projekt. Dieses setzte sich spezifisch mit Diakonissen und Ordensschwestern auseinander. Welche Erkenntnisse ergaben sich daraus?

Esther Vorburger-Bossart: Diese Studie hat gezeigt, wie wichtig das Gehorsamsgelübde besonders für die weiblichen Ordensgemeinschaften ist – sowohl in Bezug auf die vielfältige Leistungserbringung an die Gesellschaft als auch auf das gemeinschaftliche Zusammenleben. Schwestern übten – entgegen den allgemeinen Rollenbildern – auf verschiedenen Ebenen Leitungs- und gar Managerinnenfunktionen aus, indem sie Gemeinschaften mit bis zum mehreren Hundert Mitschwestern vorstanden. Auch war deren Bildungsgrad meist höher, als es unter weltlichen Frauen dieser Zeit üblich war, weil eigene Bildungsinstitutionen vorhanden waren. Gleichzeitig blieben die Ordensschwestern dem bis in die 1970er-Jahre gängigen gesellschaftlichen Geschlechterbild treu, das ihnen keine selbstständige Existenz gewährte.

Wie hat sich die Rolle der Frau in der Kirche im 20. Jahrhundert gewandelt? Wie ist diese Rolle heute?

Im Allgemeinen hat sich diese Rolle nur zögerlich verändert – hin von der dienenden zur leitenden Rolle. Aufgrund des Priestermangels ab den 1970er- Jahren gab es für die Frauen in der Kirche mehr Möglichkeiten, leitende Funktionen zu übernehmen.

Eine Frage, die wohl die meisten beschäftigt und die sich unabhängig vom Geschlecht stellt: Was bewegt Menschen dazu, ihr Leben voll und ganz einem Orden zu widmen?

Zwischen 1920 und 1960 war diese Entscheidung viel mehr von ökonomischen und bildungstechnischen Motiven und vom religiös assoziierten Umfeld geprägt als heute. Vonseiten der Priester wurde aktiv Nachwuchs für die Klöster gesucht, und gerade im agrarischen Kontext war das Klosterleben daher häufig eine attraktive Option und insofern eine eher unbewusste Entscheidung. Besonders die Frauen hatten damals bildungsmässig wenig andere Möglichkeiten. Heute ist es eine viel bewusstere Entscheidung, ins Kloster einzutreten – die Menschen suchen nach einer gemeinschaftlichen, einer religiös geregelten Lebensform, in der Spiritualität gelebt werden kann.

Das ganze Team hinter der Studie «Lebensgeschichten von Benediktinerinnen und Benediktinern» beim Kloster Einsiedeln (v. l.): Simona Baumgartner, Markus Ries, Esther Vorburger-Bossart, Claire Geyer und Ivo Berther. Ries, Professor für Kirchengeschichte, leitet das Projekt, Dr. Vorburger-Bossart und Berther sind als Forschungsmitarbeitende involviert, Baumgartner und Geyer als wissenschaftliche Hilfskräfte.

Also war im 19. und 20. Jahrhundert der Schritt ins Kloster vor allem für Frauen eine Chance auf gesellschaftlichen Aufstieg und auf neue berufliche Perspektiven, wie solche in der Pflege oder als Lehrerinnen?

Ja, oftmals fehlte ihnen die Option, eine Ausbildung zu machen, und manchmal auch die, eine Familie zu gründen. Mit dem Gang ins Kloster schufen sie sich ein sinnstiftendes Leben. Hierbei gilt es jedoch zu unterscheiden zwischen den Benediktinerinnen als kontemplativer, also beschaulicher Orden, wo das Gebet im Alltag im Vordergrund steht, und den ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Kongregationen, die mit eigenen Bildungsinstitutionen die Berufstätigkeit der Frau förderten.

Ivo Berther, Sie verfassen im aktuellen Projekt «Lebensgeschichten von Benediktinerinnen und Benediktinern» Ihre Dissertation. Hatten die Benediktiner ähnliche Motive wie die Frauen, ins Kloster zu gehen?

Ivo Berther: Es deutet einiges darauf hin, dass es auch bei den Männern früher eine unbewusstere Entscheidung war als heute. Jene, die in den 1960er Jahren und früher in den Orden eingetreten sind, waren oftmals ehemalige Klosterschüler, die in den Klöstern ihre Matura absolviert hatten. Dank des Klosters konnten sie studieren und sich so eine Zukunft, meist als Akademiker oder Lehrer, sichern. Verglichen mit den Frauen waren aber ihre beruflichen Perspektiven ohnehin besser. Heute ist der Entscheid für das Kloster auch bei den Männern ein bewussterer, der ausserdem noch stärker als zuvor mit der religiösen Überzeugung zusammenhängt, aber auch mit dem Wunsch nach dem Leben in einer Gemeinschaft.

Inwiefern wirkten sich weltgeschichtliche Ereignisse und Strömungen – wie zum Beispiel die 68er-Bewegung – auf das Leben der Benediktinerinnen und Benediktiner aus?

Die Mönche und Nonnen sind Kinder ihrer Zeit, sie leben nicht abseits der Welt. So hat die aktuelle Pandemiesituation zu einigen Änderungen im Klosteralltag geführt, man musste zum Beispiel den Zugang zu den Klosterkirchen für die Öffentlichkeit einschränken, hat dafür aber begonnen, die Gottesdienste im Internet zu streamen. Auch die 1960er-Jahre waren für die Kirche eine wichtige Zeit, in der mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil versucht wurde, die Kirche der modernen Welt zu öffnen. Andererseits hat sich die 1500 Jahre alte Benediktregel nie verändert.

Esther Vorburger-Bossart: Klöster sind Teil und gleichzeitig Spiegel der Gesellschaft. Weltliche Strömungen und Auswirkungen werden da abgebildet, zum Beispiel der Trend zum Individualismus, der mitunter dazu führte, dass die Klöster immer kleiner geworden sind.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ab 1965 wurde das Individuum wieder stärker gewichtet, was innerhalb der Orden zuweilen zu Generationenkonflikten führte.
Esther Vorburger-Bossart

Abgesehen von zwei ähnlichen von Ihnen durchgeführten Projekten ist dies nun das erste Mal, dass dieser Teil der Kirchengeschichte aus subjektiver Perspektive der Mitglieder der Orden beleuchtet wird. Wie wichtig ist denn das Individuum in einer solchen Gemeinschaft?

Nach dem Eintritt in den Orden gibt man sich als irdische Person gewissermassen auf, man löst sich von allen weltlichen Beziehungen und persönlichen Gegenständen, um das Leben fortan im Hinblick auf das Jenseits zu verbringen. Trotzdem bleibt aber die eigene Individualität bestehen. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ab 1965 wurde das Individuum wieder stärker gewichtet, was innerhalb der Orden zuweilen zu Generationenkonflikten führte, weil die jungen Schwestern nun plötzlich eigene Wünsche und Ziele anbrachten.

Welche Rolle spielt das Gehorsamsgelübde im Klosteralltag? Und gibt es dabei Unterschiede zwischen den Männern und Frauen?

Ivo Berther: Das Regelwerk ist grundsätzlich das gleiche für Männer- und Frauenklöster. Natürlich war der Gehorsam ein Mittel zur Disziplinierung und Festigung der Hierarchien innerhalb der Orden. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, dessen Ziel die Öffnung der Kirche war, wurden die Hierarchien flacher. Dass man den Mönchen beispielsweise vorschrieb, was sie studieren sollten, gab es ab da immer weniger und würde heutzutage auch nicht mehr akzeptiert werden.

Esther Vorburger-Bossart: Das Gehorsamsgelübde spielt die zentrale Rolle im Ordensleben, ohne dieses wäre der Frauenorden vor dem Konzil undenkbar gewesen, sowohl in sozialer wie auch ökonomischer Hinsicht. Weil es in den Frauenorden weniger Bildungsinstitutionen gab als in den Männerorden, spielte bei den Frauen die körperliche Arbeit eine viel wichtigere Rolle, um die Finanzierung des Klosters zu gewährleisten. Dazu war der disziplinierende Gehorsam notwendig.

Warum eignet sich der Benediktinerorden besonders für einen Geschlechtervergleich? Was macht ihn ausserdem für die Forschung interessant?

Die benediktinischen Föderationen eignen sich aufgrund der historischen Gründungsstruktur der Doppelklöster zur Erhebung von Daten zu beiden Geschlechtern. So gibt es bis heute rechtliche Verbindungen zwischen Frauen- und Männerklöstern, zum Beispiel in den Klöstern Engelberg und Sarnen. Das Verhältnis von Religion und Geschlecht in katholischen Ordensgemeinschaften ist bis jetzt kaum erforscht, dasselbe gilt für den Fokus auf Einzelpersonen. Der Benediktinerorden ist ausserdem interessant, weil es sich um den ältesten Orden handelt, der heute in dieser Breite in der Deutschschweiz noch vorhanden ist.

Auch das Kloster Hermetschwil wird in der Studie miteinbezogen. Es handelt sich um eine an der Reuss liegende Benediktinerinnen-Abtei in Bremgarten AG. (Bild: Wikimedia Commons/Ark001)

Sie haben sich intensiv mit den Biografien von Benediktinerinnen und Benediktinern auseinandergesetzt. Sie arbeiten unter anderem mittels Oral History; insgesamt werden rund 70 Interviews in 21 Klöstern durchgeführt. Was hat Sie dabei bis jetzt am meisten überrascht?

Es war kaum die Rede von Religion oder Frömmigkeit. Offenbar wird der spirituelle Tagesablauf als selbstverständlich vorausgesetzt, weil er das tägliche Leben so stark prägt. Bei den Frauenorden hätte ich ausserdem nicht mit der selbstbewussten Darstellung der eigenen Leistungen gerechnet. Alle Frauen stellten ihren Lebenslauf positiv dar, auch wenn sie harte Schicksalsschläge verkraften mussten. Und trotz den Entbehrungen gaben alle ausnahmslos an, dass sie diesen Weg wieder wählen würden.

Und Sie vermuten, dass das nicht nur mit einer möglichen Selbstzensur der Benediktinerinnen zu tun hat, sondern dass sie das wirklich so empfinden?

Ja. Natürlich besteht die Tendenz, bei einem solchen Interview mit einer externen Person den eigenen Orden möglichst positiv darzustellen. Aber in den teilweise bis zu drei Stunden dauernden Gesprächen wurde dennoch offensichtlich, dass diese positiven Aussagen authentisch sind. Schilderungen von Krisen gab es durchaus, aber sie wurden insofern nicht als schlimm dargestellt, als dass sie als eine Art spirituelle Prüfung angesehen wurden.

Und die Benediktiner?

Ivo Berther: Die waren auf jeden Fall kritischer. Unter ihnen gab es solche, die angaben, dass sie heute auf keinen Fall mehr ins Kloster eintreten würden. Wie bei den Frauen wird auch bei den Männern das Thema Religion nur implizit erwähnt. Viele sind progressiv und durchaus kritisch gegenüber der Kirche und dem eigenen Orden eingestellt. Die grosse Mehrheit der interviewten Benediktiner befürwortet die Abschaffung des Zölibats für Weltpriester respektive wünscht sich, dass es freiwillig wird. Auch gegenüber dem Frauenpriestertum sind die Mönche aufgeschlossen. Die Klöster wurden von ihnen nicht als heile Welt dargestellt. Eine relativ hohe Zahl erzählte von psychischen Krankheiten, oftmals ausgelöst durch die hohe Arbeitsbelastung, die durch den Mitgliederschwund immer grösser wird. Das hat eine gewisse Ironie – viele Menschen gehen ins Kloster, um sich eine Auszeit zu gönnen und ihr Burn-out auszukurieren, während die sie betreuenden Mönche selber daran leiden.

Die Entkonfessionalisierung schreitet voran, der Nachwuchs in den Klöstern fehlt zunehmend. Aktuell gibt es in Schweizer Klöstern noch rund 230 Benediktinerinnen und Benediktiner. Wie sieht die Zukunft aus?

Mittelfristig werden einige Klöster sicherlich geschlossen oder fusioniert werden müssen. Bei den Männern gibt es eher noch junge Kandidaten, zum Beispiel in Einsiedeln, die sich für dieses Leben entscheiden. Aber auch hier können die Anzahl Neueintritte die Verkleinerung der Konvente nicht aufhalten. Ein Lösungsansatz ist, dass man die Klöster vermehrt auch für Laien, sogenannte Oblaten, öffnet und die gemeinsame Spiritualität und Religiosität im Sinne Benedikts in einer alternativen Form leben kann.

Esther Vorburger-Bossart: Ja, und die Altersgrenze für Eintretende wird heraufgesetzt. Ausserdem gibt es den Trend zum «Kloster auf Zeit», der dem nicht-bindungsfreudigen Zeitgeist gerecht wird. Die Finanzierung wird zunehmend durch Stiftungen, externe Partner oder innovative Seminarangebote gestemmt, wobei auch da oftmals die Benediktinerinnen fehlen, die dies anbieten können.

Klöster: Frauen- und Geschlechterforschung

«Lebensgeschichten von Benediktinerinnen und Benediktinern» (siehe Interview) wird mit rund 605'000 Franken vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert. Die auf vier Jahre angelegte Studie läuft bis im Frühling 2023. Ziel ist die Erschliessung alltags-, geschlechter- und religionsgeschichtlicher Daten und die Sicherung von Informationen, die aufgrund der Altersstruktur der Gemeinschaften andernfalls bald der Vergessenheit anheimfallen würden. Berücksichtigt werden 21 Klöster in der Deutschschweiz und in benachbarten Gebieten. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen unter anderem auch für das Geschichtsprojekt «Kloster Muri 1027–2027» fruchtbar gemacht werden. Das Projekt baut auf den ebenfalls von Professor Markus Ries geleiteten Studien «Diakonissen und Ordensschwestern im 20. Jahrhundert in der Schweiz» (2015–2018) und «Religiöse Frauengemeinschaften in der Ostschweiz im 20. Jahrhundert» (2011–2014) auf; bei beiden war Esther Vorburger-Bossart bereits involviert, Ivo Berther ist für die aktuelle Studie neu zum Team gestossen. Die zwei früheren Projekte erhielten auch eine Förderung durch den SNF; insgesamt 760'000 Franken. Die Forschungsergebnisse wurden unter anderem in zwei Monografien publiziert, die «open access» abrufbar sind: «Diakonissen in der Ostschweiz im 20. Jahrhundert» von Regula Schär und «Ordensschwestern in der Ostschweiz im 20. Jahrhundert» von Esther Vorburger-Bossart.

An der Universität Luzern wird in vielfältiger Weise zu frauen- und geschlechterspezifischen Themen geforscht und gelehrt. So vergibt etwa – um nur einige Beispiele zu nennen – die Theologische Fakultät regelmässig einen Lehrauftrag «Gender Studies». Im vergangenen Herbstsemester ging es in der Vorlesung «Law and Society in a Global Context» von Professor Vagias Karavas unter anderem um das Thema Leihmutterschaft. In diesem Frühjahrssemester war am Institut für Jüdisch-Christliche Forschung (IJCF) Professorin Elisa Klapheck (Paderborn, DE) zu Gast, die sich emanzipierten Frauen aus der jüdischen Religions- und Kulturgeschichte widmete. In diversen Disziplinen der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät werden Gender und Geschlecht immer wieder zum Thema, auch gibt es verschiedenste Abschluss- und auch Dissertationsprojekte in diesem Bereich, etwa von den Historikerinnen Sahra Lobina (Magazin-Artikel) und Rachel Huber (Magazin-Artikel). (ds.)

Anina Kamm

Verantwortliche Wissenstransfer und Öffentlichkeitsarbeit an der Theologischen Fakultät (bis Ende Juni)