Ethnologische Forschung zu Kontaktabbrüchen

Was bedeuten Entfremdung, Scheidung oder Adoption für die betroffenen Familienangehörigen? Prof. Dr. Bettina Beer, Professorin für Ethnologie, geht dieser Frage in einer vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Studie nach.

Grosseltern verabschieden sich von ihrer Familie
(Symbolbild; ©istock.com/South_agency)

In den letzten Jahrzehnten haben sich viele Verwandtschaftsethnologinnen und -ethnologen mit der Entstehung von verwandtschaftlichen Beziehungen befasst. Im Zentrum dieser Untersuchungen stand insbesondere die Frage, anhand welcher Wahlmöglichkeiten und wie kreativ die Beteiligten bestimmen, wer als Teil einer Familie gilt. Als Folge davon wurden Themen wie Familienkonflikte, Ambivalenz gegenüber Verwandten und der Abbruch von verwandtschaftlichen Beziehungen in der Forschung vernachlässigt. Das Projekt am Ethnologischen Seminar soll diese Forschungslücke schliessen. Entstanden ist es während der mehrjährigen Zusammenarbeit im universitären Forschungsschwerpunkt «FaMiGlia»

Internationale Feldforschung

Ziel ist es, Transformationen verwandtschaftlicher Netzwerke zu beleuchten, die aus Kontaktabbrüchen resultieren. Das Team um Prof. Dr. Bettina Beer konzentriert sich dabei auf Entfremdung zwischen Eltern und Kindern, Scheidung und Adoption. Daraus ergeben sich viele Fragen: Auf welche Weise werden diese Abbrüche von den Beteiligten erlebt? Inwiefern ist im jeweiligen Fall ein endgültiger Abbruch der Beziehungen überhaupt möglich? Und kann von einer tatsächlichen ‹Auflösung› von Verwandtschaft gesprochen werden?

Die Studie ist in drei Teile gegliedert: Das erste Teilprojekt befasst sich mit Kontaktabbrüchen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern in der Schweiz. Das zweite Teilprojekt erforscht Scheidungen oder Trennungen von Ehen und Partnerschaften auf den Philippinen. Teilprojekt drei widmet sich den Erfahrungen von Frauen in Russland, die ihre Kinder zur Adoption freigegeben haben. Ein übergeordnetes Ziel besteht darin, die an die jeweiligen Beziehungen geknüpften Erwartungen und die Konsequenzen des Kontaktabbruchs zwischen den verschiedenen Teilprojekten zu vergleichen.

Theoretischer Beitrag zur Verwandtschaftsethnologie

Die Verwandtschaftsethnologie ist ein zentrales Themenfeld der Sozial- und Kulturanthropologie. Das Projekt leistet einen theoretischen Beitrag zu diesem Themenfeld, insbesondere zu der Frage, wie sich familiäre Beziehungen durch Entfremdung, Scheidung oder Adoption wandeln, und wie sie beschrieben und konzeptualisiert werden können. Angesichts steigender Scheidungsraten, der wachsenden Zahl von Patchworkfamilien, aber auch der psychologischen, juristischen und sozialen Unterstützung, die von Kontaktabbrüchen Betroffene unter Umständen benötigen, behandelt das Projekt zudem Themen von sozialer und politischer Tragweite, die über die sozialwissenschaftliche Bedeutung der Forschung hinausgehen.

  • Originaltitel des Projekts und Übertragung ins Deutsche: «De-Kinning and Re-kinning? Estrangement, Divorce, Adoption and the Transformation of Kin Networks» («De-Kinning and Re-kinning? Entfremdung, Scheidung, Adoption und die Transformation von Verwandtschaftsnetzwerken»)
  • Leitung: Prof. Dr. Bettina Beer, Professorin für Ethnologie
  • Projektbeteiligte und Mitarbeitende: Laura Preissler, (zum Zeitpunkt der Durchführung des Projekts) Postdoktorandin am Ethnologischen Seminar; eine Doktorandin oder ein Doktorand (noch zu bestimmen)
  • Projektdauer: 48 Monate
  • Bewilligte Fördersumme des Schweizerischen Nationalfonds (SNF): CHF 877'000 (gerundet)