Drei Fragen an Nadja El Kassar

„Irren ist menschlich, Unwissenheit auch.“ Zu diesem Thema hält Nadja El Kassar, Professorin für Philosophie mit Schwerpunkt theoretische Philosophie, am 28. November ihre Antrittsvorlesung. Im Interview gibt sie uns einen kleinen Vorgeschmack.

Prof. D. Nadja El Kassar

Nadja El Kassar, Sie forschen aktuell zum Thema Unwissenheit. Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Unwissenheit gab und gibt es überall. Aus philosophischer Perspektive ist es jedoch keineswegs klar, was Unwissenheit genau ist und wie wir mit Unwissenheit umgehen sollten. Ist Unwissenheit lediglich das Fehlen von Wissen? Das tut meiner Ansicht nach der Unwissenheit und den unwissenden Personen Unrecht, denn Unwissenheit ist facettenreich und komplex. Auch wie wir mit Unwissenheit umgehen, ist nicht leicht zu bestimmen, denn manchmal ist Unwissenheit kritikwürdig. Wir sprechen in solchen Fällen von Ignoranz.

Viele Fälle von Unwissenheit sind aber ganz unproblematisch und liegen sogar in der Beschaffenheit von menschlicher Erkenntnis. Ein Beispiel ist unsere Unwissenheit über das, was morgen in unseren Leben passieren wird. Wir können gut begründete Vermutungen über den nächsten Tag aufstellen, aber so richtig wissen wir nicht, was passieren wird. Und wenn eine Person sagt, dass sie nicht weiss, was morgen in ihrem Leben passieren wird, würden wir ihr niemals vorwerfen, dass sie ignorant sei. Unwissenheit ist in gewisser Hinsicht also ein ganz natürlicher Zustand von Menschen und gleichzeitig doch auch facettenreich und komplex.

Wissen ist leichter zugänglich als je zuvor. Wie kommt es, dass Tatsachen wie beispielsweise die Erderwärmung trotzdem geleugnet werden oder Verschwörungstheorien oft viele Anhänger:innen finden?
Das ist eine wichtige Frage, aber es ist keine Frage, die Philosophinnen und Philosophen beantworten können. Das wäre eine Aufgabe für Disziplinen wie die Soziologie und Psychologie, deren empirischen Befunde für die Philosophie relevant sind und in die philosophische Argumentation einfliessen sollten. Als Philosophin kann ich aber versuchen zu erklären, warum die Leugnung der Erderwärmung eine unvernünftige oder unbegründete erkenntnistheoretische Haltung ist. Etwa, weil man eine Behauptung für wahr hält, die nicht durch gute Gründe gestützt ist und relevanter Kritik nicht standhält. Dann können wir allgemeiner gesprochen beispielsweise sagen: Man soll nur das behaupten und für wahr halten, was durch gute Gründe unterstützt ist und Gegenargumente entkräften kann.

Gibt es überraschenden Aspekte in der Forschung zum Thema Unwissenheit, die Sie mit dem Publikum Ihrer Antrittsvorlesung teilen werden?
Ich weiss nicht, welche Annahmen das Publikum über Unwissenheit hat und ich weiss deshalb auch nicht, welche Aspekte der Unwissenheit überraschen werden. Überraschung setzt ja auch Unwissenheit voraus. Eine Überraschungsparty, von der das Geburtstagskind vorher erfährt, ist ja keine Überraschung mehr. Insofern kann ich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht ist es überraschend, dass Unwissenheit und Irrtümer sehr viel mit Wissen zu tun haben? Aber da lasse ich mich auch gerne davon überraschen, was das Publikum überraschen wird.

Nadja El Kassar hält am Dienstag, 28. November 2023 um 18.15 Uhr im Hörsaal 5 (Universität Luzern, Frohburgstrasse 3) ihre Antrittsvorlesung über «Irren ist menschlich, Unwissenheit auch. Philosophische Überlegungen.» Weitere Informationen finden Sie in der Agenda der Universität Luzern.

Hier gelangen Sie direkt zur Anmeldung: www.unilu.ch/elkassar

Weitere Einblicke zu ihrer Forschung und Lehre finden Sie im News-Beitrag «Ich möchte das Unsichtbare sichtbar machen».

Dieses Interview wurde von Toni Rasic, Masterstudent in Philosophie und Ethik, realisiert.