Gisela Michel, Professorin für Gesundheits- und Sozialverhalten, antwortet.

(Bild: Silvan Bucher)

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, sein Verhalten zu ändern fällt ihm oft schwer. Verschiedene Verhaltenstheorien haben versucht zu erklären, wieso sich Menschen ungesund verhalten, auch wenn dies langfristig mit negativen Konsequenzen verbunden ist. Wieso essen wir ein weiteres Stück Torte, wenn wir wissen, dass mit jedem Kilogramm Körpergewicht das Risiko für Diabetes zunimmt? Wieso bleiben wir lieber auf dem Sofa sitzen, obwohl wir uns mit ein bisschen Bewegung vor Herzkreislauferkrankungen schützen könnten? Und wieso rauchen viele Menschen weiter, auch wenn sie bereits an Raucherhusten leiden und sich mit jeder Zigarette das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöht?

Ein wichtiger Aspekt dieser Verhaltensmuster und der menschlichen Resistenz, sie zu ändern, sind die zukünftigen und unsicheren Folgen. So besteht zwar ein erhöhtes Risiko, dass sie eintreffen, aber keine absolute Sicherheit. Der Mensch versteht sich oft als resistent gegenüber solchen Risiken; alle glauben, es betreffe die anderen und unterschätzen dabei das eigene Risiko. Kurz: Sie unterliegen damit einer optimistischen Verzerrung der Realität.

Ebenso wichtig ist das Problem des Präventionsparadoxes. Wenn wir uns gesund verhalten, passiert – nun: nichts. Wir bleiben gesund, fit, belastbar. Und da sich unsere Gesundheit auch bei ungesundem Verhalten nur langsam verschlechtert, dauert es oft lange, bis wir die Nachteile bewusst bemerken. Und zu diesem Zeitpunkt, also dem Zeitpunkt der Erkrankung, kommt bereits die tertiäre Prävention oder eben die Rehabilitation zum Zug.

Rehabilitation beinhaltet die Wiederherstellung von Funktionen, die durch einen Unfall oder eine Erkrankung beeinträchtigt wurden. In vielen Fällen beinhaltet Rehabilitation eine Verhaltensänderung. Im Gegensatz zur primären Prävention, bei der die Erkrankung verhindert werden soll, sind nun die Verhaltenskonsequenzen, also die Erkrankung, bereits sichtbar: Es entsteht ein Leidensdruck. Diese neue Situation kann als Hinweisreiz (Cue to action) verstanden werden, der die Verhaltensänderung erleichtert. Durch eine Verhaltensänderung kann eine Verbesserung der erlebten Situation erreicht werden. Das ist ein klarer positiver Anreiz. Die Zielerreichung ist also nicht mehr, dass sich nichts verändert, sondern dass sich etwas verbessern soll, damit die eigene Situation und das eigene Erleben angenehmer werden.

Auch in der Rehabilitation spielen Verhaltenstheorien eine wichtige Rolle. Neue Handlungspläne und neue Bewältigungspläne müssen angeeignet werden. Wie soll ich mich verhalten? Was muss ich tun? Wann und wo soll ich das Verhalten annehmen? Aber auch: Wie gehe ich damit um, wenn es nicht auf Anhieb klappt? Muss ich ein anderes, neues Verhalten lernen? Wer unterstützt mich dabei? Und vielleicht auch: Wie sehe ich mich selbst? Kann ich diese neue Person werden und sein – also etwa Nichtraucherin oder Sportler?

Die Psychologie mit den unterschiedlichen Verhaltenstheorien und deren Anwendung kann uns helfen, den Menschen und sein gesundheitsrelevantes Verhalten zu verstehen: wenn er gesund ist, und negative Konsequenzen verhindert werden sollen, aber auch, wenn er krank ist, und eine Verbesserung des Erlebens und Verhaltens das Ziel ist.

Es handelt sich um die Beantwortung der im Rahmen des Jahresberichts 2021 der Universität Luzern gestellten Frage.

Gisela Michel

Professorin für Gesundheits- und Sozialverhalten
unilu.ch/gisela-michel