Mit dem «Kommentar zum Waldgesetz» liegt erstmals seit Erlassung des Bundesgesetzes über den Wald 1991 eine vertiefte Kommentierung vor. Mitherausgeber Roland Norer über aktuelle und künftige Herausforderungen in der Waldpolitik – und die Herausforderungen, die das rechtswissenschaftliche Kommentieren mit sich bringt.

Roland Norer, was gilt rechtlich gesehen eigentlich genau als «Wald»?

Roland Norer: Grundsätzlich gilt jede Fläche als Wald, die mit Waldbäumen oder Waldsträuchern bestockt ist und Waldfunktionen erfüllen kann. Die rechtliche Definition weicht jedoch im Detail von der Lebenserfahrung ab, insofern etwa mit Bäumen bestandene Flächen trotzdem nicht Wald im Rechtssinne sein können (z.B. Parkanlagen, Christbaumkulturen) und vice versa (z.B. Waldstrassen, Blössen). Entscheidend ist der sogenannte qualitative Waldbegriff, zu dem subsidiär der quantitative Waldbegriff hinzutritt. Dass die Sache nicht immer einfach ist, beweist schon allein die Existenz der Waldfeststellung mittels Verfügung.

Welches sind die Herausforderungen, mit denen sich die Schweizer Waldpolitik aktuell konfrontiert sieht?

Roland Norer, Ordinarius für Öffentliches Recht und Recht des ländlichen Raums

Zentral ist sicherlich die Anpassung des Waldes an den Klimawandel. Dabei stellt sich die Frage, wie eine zukunftsfähige Waldverjüngung aussehen soll, insbesondere die Baumartenwahl betreffend. Damit verbunden ist die Frage nach dem Umgang mit den klimasensitiven Waldbeständen sowie vermehrten Klimaereignissen. Aber auch die zunehmenden Waldschadorganismen und gebietsfremden invasiven Arten bereiten Sorge, ebenso Gefahren, die vom Wald selbst ausgehen können (wie Waldbrand, flächig absterbende dürre Wälder und damit verbundene Haftungsfragen).

Inwiefern haben Waldeigentümerinnen und -eigentümer einen schweren Stand? Wo besteht Nachbesserungsbedarf?

Für die Waldeigentümer kann die geforderte nachhaltige Waldbewirtschaftung zugunsten der Klima-, Energie- und Umweltpolitik eine grosse Herausforderung darstellen. Angesichts der volatilen Holzpreise ist das ökonomische Umfeld nach wie vor schwierig. Bewirtschaftungsziele neben der Nutzungsfunktion wie Wald als CO2-Speicher, aktive Waldbewirtschaftung für die Biodiversität (lichte Wälder, Waldrand, Sonderwaldreservate etc.) und Holzenergie werden erwartet, sind aber meist mit nicht internalisierten Kosten verbunden.

Es ist jetzt rund 30 Jahre her seit dem Erlass des Waldgesetzes. Das scheint eine lange Zeit – was hatte das für Folgen für die Kommentierung?

Die Kommentierung greift natürlich alle Revisionen auf, die seit Ersterlassung stattgefunden haben, und damit zwangsweise auch die vielen aktuellen neueren Themen. Das sind neben den bereits genannten Klimawandel, Neophyten, Borkenkäfer und Biodiversität auch Themen wie Sturmschäden, Krise der Holzmärkte, Naturgefahrenschutz, Nutzungsdruck wie Mountainbiking im Wald, Unternutzung, Naturwaldreservate usw.

Ganz basal gefragt: Wie muss man sich das «Kommentieren» vorstellen, wie ist da das Vorgehen, was umfassen die Kommentare?

Bei Kommentaren handelt es sich um eine gebräuchliche Form juristischer Literatur. Es finden sich zu allen zentralen Gesetzen in der Regel mehrere Kommentare (ZGB, OR, StGB, VwVG etc.). Ich selbst habe mit dem «Kommentar zum Waldgesetz» zum Schweizer Recht bisher drei Kommentare (mit-)herausgegeben («Gewässerschutzgesetz und Wasserbaugesetz», «Landwirtschaftsgesetz») sowie zum EU-Recht als Autor am «Frankfurter Kommentar» mitgewirkt. Dabei werden Gesetze erläutert (Entstehung, Materialien, Rechtsprechung, Literatur, Auslegung), und zwar in allgemeinen Einleitungen (hier internationales und europäisches Waldrecht, verfassungsrechtliche Grundlagen, Rechtsquellen im Bundesrecht und kantonalen Recht) und dann Artikel für Artikel.

Wenn die Gesetzestexte allein ausreichen würden, bräuchte man ja keine Rechtswissenschaft, keine Juristinnen und Juristen und kein Jus-Studium.
Roland Norer

Worin liegen die Herausforderungen?

Gerade was die Organisation betrifft, steigen die Herausforderungen mit der Länge des zu kommentierenden Gesetzes, des Einbezugs der auf diesem Gesetz beruhenden Verordnungen und der Anzahl an Autorinnen und Autoren. Einheitlichkeit und Querverweise sind bei einem über tausendseitigen Kommentar wie dem vorliegenden eine grosse Herausforderung, noch dazu, wenn dieser mehrsprachig verfasst ist. Der «Kommentar zum Waldgesetz» enthält deutsche oder französische Kommentierungen, ein Abstract in der jeweils anderen Sprache und immer auch in Italienisch sowie ein dreisprachiges Glossar der Fachausdrücke. Aber auch alle Verzeichnis (Materialien, Abkürzungen etc.) sind zweisprachig. Das ist viel Arbeit, die den Einbezug von Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern zwingend voraussetzt.

Was leistet eine solche Kommentierung bzw. generell die Kommentierung von Gesetzen; warum reichen die Gesetzestexte – wie man sich vielleicht naiv fragen könnte – allein nicht aus?

Die Kommentare werden von Anwaltschaft, Verwaltung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft in konkreten Rechtsfragen konsultiert und zitiert. Wenn die Gesetzestexte allein ausreichen würden, bräuchte man ja keine Rechtswissenschaft, keine Juristinnen und Juristen und kein Jus-Studium. Den Gesetzeswortlaut im Internet lesen, dazu braucht es keine Ausbildung. Dann gäbe es nicht einmal Rechtsstreitigkeiten, und wir bräuchten keine Gerichte, keine Anwältinnen und Anwälte.


Hinweis: Bei den ersten drei Fragen und Antworten des Interviews handelt es sich um eine mit freundlicher Genehmigung erfolgte Zweitpublikation nach der Erstveröffentlichung auf der Website der der Schulthess Juristische Medien AG, wo der «Kommentar zum Waldgesetz» erschienen ist.

Im Auftrag des Bundes realisiert

Cover des mehr als tausend Seiten starken «Kommentars zum Waldgesetz»

Der «Kommentar zum Waldgesetz (WaG)» beleuchtet den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Rahmen sowie das internationale und europäische Recht. Das Kernstück des Werks bilden die Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des WaG.

Es handelt sich dabei um eine Auftragsarbeit des Bundesamts für Umwelt (BAFU); der Band entstand in rund vierjähriger Arbeit, finanziert mit Mitteln des Bundes und der Kantone. Dies unter anderem, um Anstellungen der verschiedenen beteiligten wissenschaftlichen Assistentinnen und Assistenten – von Luzerner Seite Andreas Schib, Raphael Arnet, Donika Gnägi und Stefanie Hug – zu ermöglichen. Das Projekt wurde in diesem Sommer mit einer Tagung und Vernissage im Beisein vieler Vertreterinnen und Vertreter aus der nationalen Waldpolitik und -verwaltung abgeschlossen.

Thomas Abt / Roland Norer / Florian Wild / Nicolas Wisard (Hrsg.)
WaG / LFo. Kommentar zum Waldgesetz / Commentaire de la loi sur les forêts
Schulthess, Zürich 2022

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