Kleider, Lebensmittel, Plastik – viele wertvolle Produkte werden weggeworfen. Die Nachfrage nach Gütern steigt, die Nutzungszeit sinkt. Mit welchen rechtlichen Instrumenten kann Gegensteuer gegeben werden hin zu einer Kreislaufwirtschaft?

(Bild: ©ffwd!/photocase.de)

Sebastian Heselhaus, Sie untersuchen rechtliche Aspekte der Kreislaufwirtschaft (siehe Box unten). Lassen Sie uns mit einem Beispiel beginnen: Beim Onlineversand werden Kleider häufig zurückgeschickt und landen dann teils ungeöffnet im Abfall – geht bei Textilien der Trend Richtung Kreislaufwirtschaft?

Sebastian Heselhaus: Ganz und gar nicht, leider. Die Nachfrage nach Kleidern hat sich in den letzten zwanzig Jahren weltweit verdoppelt, gleichzeitig ist die Gebrauchsdauer auf die Hälfte gesunken. Die Haltbarkeit hat stark abgenommen. Im Online-Handel ist die Arbeitszeit für eine Reinigung von zurückgesandten Textilien regelmässig teurer als der Austausch eines Kleidungsstücks.

Könnte, müsste da nicht reguliert werden, damit dieser Trend gestoppt wird?

Aus marktwirtschaftlicher Sicht läuft es ja gut: Mehr Produktion führt zu mehr Gewinn und zu Wachstum. Nur kommen wir heute mit der wachsenden Weltbevölkerung und wachsendem Konsum immer näher an die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Ökosystems Erde. Aus Sicht der Wirtschaft könnte man sagen, dass es die Kundinnen und Kunden selbst in der Hand haben, was sie kaufen. Die Frage ist aber, ob eine Wahl tatsächlich noch möglich ist. Die Haltbarkeit von Textilien, aber auch von elektrischen Geräten wie Waschmaschinen, hat flächendeckend abgenommen. In Bezug auf Haltbarkeit gibt es kaum noch Wettbewerb im Markt. Wirtschaftswissenschaftlich spricht man von Marktversagen, wenn die Nachfrage das Angebot – hier qualitativ – nicht mehr beeinflussen kann.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Besonderes deutlich wurde das beim sogenannten Glühbirnen-Kartell von 1925. Damals begrenzten die Hersteller die Lebensdauer einer Glühbirne auf tausend Betriebsstunden, am Markt gab es danach kein Angebot besserer Glühbirnen mehr. Heutzutage bedarf es für eine Abstimmung am Markt kaum noch Absprachen. Die Informationen sind für die Hersteller am Produkt der «Konkurrenz» ablesbar. Mindere Qualität in Bezug auf die Haltbarkeit setzt sich oft durch, sodass wir gar keine Wahlmöglichkeit mehr haben.

Mit welchen rechtlichen Instrumenten kann die Langlebigkeit solcher Konsumgüter gefördert werden? Oder anders gefragt: Welchen Rechtsrahmen bräuchte es für eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft?

Hier gibt es schon eine Vielzahl von Entwicklungen. Längst geht man über das Abfallrecht hinaus und versucht auf die Hersteller von Produkten Einfluss zu nehmen. Die EU kennt Pflichten für das sogenannte Ökodesign von Produkten. Dabei werden immer mehr auch Kriterien wie Langlebigkeit und Reparierbarkeit berücksichtigt. In der Schweiz übernehmen wir diese Regeln faktisch, damit wir unsere Produkte ungehindert im Binnenmarkt mit der EU anbieten können. Allerding besteht zurzeit nur ein politischer Konsens in Richtung Ressourceneffizienz. Es geht um die Frage: Wie kann ich genauso viel mit weniger Rohstoffen beziehungsweise Energie herstellen? Bei bestimmten Rohstoffen – wie seltenen Erden – sind die Vorräte aber so begrenzt, dass wir punktuell zu einer Ressourcenschonung kommen werden, das heisst zu einer Reduktion des Verbrauchs.

Sebastian Heselhaus, Professor für Europarecht, Völkerrecht, Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung; Geschäftsleiter des Zentrums für Recht und Nachhaltigkeit (CLS). (Bild: Bruno Rubatscher)

Bei einzelnen Materialien besteht bereits eine Kreislaufwirtschaft, etwa beim PET. Hingegen gibt es für Plastik noch immer keine flächendeckende Wiederverwertung. Weshalb ist das so schwierig?

Plastik kann erst ab einer bestimmten Qualität für Recycling gesammelt werden. Zudem ist Plastik ein guter Brennstoff. Die Verbrennungsanlagen haben darum kein Interesse, dass Plastik separat gesammelt wird. Sie sind froh um den Brennstoff, insbesondere wenn sie an Fernwärmenetze angeschlossen sind und Wärme erzeugen müssen. Zudem kam eine Studie von 2017 (KuRVe) zum Schluss, dass sich Plastikrecycling wirtschaftlich nicht lohne. Es folgte ein Stillstand auf Ebene der Rechtsetzung. So werden aber keine Innovationen angestossen, die ein Recycling wirtschaftlich attraktiver machen können. In der EU setzt man stärker auf Plastikvermeidung, und es wurden Recyclingquoten festgeschrieben. Es wurden beispielsweise dünne Plastiktüten und Strohhalme verboten. Diese Trends schwappen nun auch auf die Schweiz über.

Welchen Einfluss hat das Recht auf solche Entwicklungen? Welche Möglichkeiten gibt es?

Es gibt grundsätzlich drei Mittel. Das härteste ist das Verbot, wie es die EU bei den Plastiktüten getan hat. Etwas weniger hart ist die Regulierung, indem man etwa für eine Plastiktüte etwas bezahlen muss. Hier bekommt die Konsumentin, der Konsument ein Preissignal, das ihr respektive sein Verhalten beeinflussen soll. Schliesslich gibt es die weiche Steuerung über die Information der Konsumenten. Zum Beispiel könnte, wie bald in Frankreich, auf der Verpackung stehen, wie das Produkt zu reparieren ist, damit es nicht weggeworfen wird, wenn es einen Defekt hat, sondern geflickt werden kann. Die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sind vielfältig. Es geht im Übrigen nicht darum, einen Stoff wie Plastik völlig zu verbieten, da es ein sehr wichtiger Kunststoff mit besonderen Eigenschaften ist, der etwa in der Medizin unersetzlich ist. Aber es gibt Bereiche, wo er nicht notwendig ist. Und da kann das Recht steuern, indem es sowohl auf Konsumenten- als auch auf Industrieseite Einfluss nimmt.

Kreislaufwirtschaft ist das Gebot der Stunde – nichts wird weggeworfen, alles wird so verwertet, dass es weiter genutzt werden kann. Könnte man das nicht einfach per Gesetz verordnen?

Wenn es so einfach wäre. Hinter dem Recht steht immer ein Konsens in der Gesellschaft und Politik. Erst wenn eine Mehrheit etwas will, kann es auch rechtlich verankert werden. Bezüglich Kreislaufwirtschaft hinken wir eigentlich der Entwicklung immer etwas hinterher. Erst wenn etwas nicht mehr funktioniert, das heisst, wenn konkrete Engpässe auftreten, schaut die Politik hin und überlegt sich, was man ändern könnte. Wir lösen uns in der Wirtschaft erst langsam von einem linearen Denken: Ein Produkt wird hergestellt, verkauft, konsumiert und entsorgt. Seit Jahren arbeiten wir rechtlich daran, eine Kreislaufwirtschaft zu entwickeln, um Ressourcen zu schonen und Teile eines Produkts wiederzuverwenden. In Deutschland hat man dazu vor Jahren ein Ressourcenschutzgesetz entworfen. Dieses hat vorausschauend Instrumente für eine Ressourcenschonung, nicht nur Ressourceneffizienz, vorgesehen. Politisch war es aber nicht durchsetzbar, und der Entwurf ist wieder in der Schublade verschwunden.

Lösungen sind politisch eher durchsetzbar, wenn sie das marktwirtschaftliche Gewinnkalkül nicht in Frage stellen.
Sebastian Heselhaus

Ist Kreislaufwirtschaft per se auch klimafreundlich?

Nicht unbedingt. Kreislaufwirtschaft kann mit dem Klimaschutz in einen Konflikt geraten. Ein gutes Beispiel ist der Kühlschrank. Aus Sicht des Klimaschutzes lohnt es sich, einen neuen, effizienteren zu kaufen. Aus Sicht der Ressourcen allerdings müsste man den alten behalten und länger nutzen. Um beides zu vergleichen, bräuchte es eine Lebenszyklenanalyse, die sowohl den Verbrauch an Ressourcen als auch den Energieverbrauch beziehungsweise CO2-Ausstoss berücksichtigt. Ansätze dazu sind in der Wissenschaft bereits vorhanden, werden in der Praxis aber noch zu wenig eingesetzt. Ein Beispiel sind Autos. Zwei Szenarien: Soll ich über Jahrzehnte mein altes Auto fahren oder es immer wieder erneuern, wenn es ein neues, energieschonenderes Modell gibt? Die Ressourcenbilanz wäre im ersten Fall besser. Die Energiebilanz ist im zweiten Fall für den täglichen Gebrauch besser. Aber eigentlich müsste man wissen, wie viel Energie für die immer neue Herstellung zusätzlich verbraucht worden ist. Auch hier geraten Energiebilanz und Ressourcenschutz in einen Konflikt.  Wo soll die rechtliche Regulierung hingehen? Lösungen sind politisch eher durchsetzbar, wenn sie das marktwirtschaftliche Gewinnkalkül nicht in Frage stellen. Daher wird der Kauf neuer energieeffizienter Fahrzeuge gefördert. Das heizt auch den Konsum an. Marktwirtschaftlich ist das zu begrüssen. Aus Sicht des Ressourcenschutzes ist das zweifelhaft.

Wie ist das Dilemma zwischen Energiebilanz und Ressourcenschutz zu lösen?

Es wird unterschieden zwischen Ressourceneffizienz und -schonung. Bei Ersterem schränke ich nicht ein, wie viel verbraucht wird, aber ich stelle mit der gleichen Menge mehr her, also etwa dünnere T-Shirts. Bei der Ressourcenschonung setze ich eine Grenze für die Menge des verwendeten Rohstoffs. Bei der Problematik des Ressourcenschutzes und der Regulierung hinkt die Politik noch hinterher, im Moment kann man sich nur auf Ressourceneffizienz- Regulierungen einigen. Der Schutz kommt punktuell da, wo es um limitierte Rohstoffe wie seltene Erden geht. Aber es braucht beides. Mit steigenden Bevölkerungszahlen kommen wir an Grenzen, und da werden rechtliche Fragen der Kontingentierung unweigerlich kommen. Selbst die Hersteller von SUVs haben erkannt, dass sie an Grenzen beim Verkauf kommen, wenn immer mehr Menschen Wohnraum brauchen und gleichzeitig viele Menschen mit einem grossen SUV in der Stadt parkieren wollen. Hier müssen wir Antworten auf Fragen der Kontingentierung finden. Und dabei kommt das Recht ins Spiel.

Sie haben auch rechtsvergleichende Untersuchungen durchgeführt im Bereich Förderung der Reparatur von Gütern. Die meisten Produkte, die wir kaufen, werden weggeworfen, wenn sie defekt sind. Wie kann da Gegensteuer gegeben werden?

Wichtig zu sagen ist, dass es bereits erfolgreiche Regulierungen gibt. So muss ein Autohersteller beispielsweise Batterien so einbauen, dass sie leicht ausgewechselt werden können. Oder es gibt Vorgaben für Gefahrstoffe, die in Produkten enthalten sind, damit diese bei einer Demontage und dem Recycling nicht freigesetzt werden. Aber in anderen Bereichen besteht Handlungsbedarf, etwa bei Waschmaschinen. Früher betrug die Lebensdauer 10 bis 15 Jahre, heute hat sich diese stark reduziert. Alle Anbieter haben das gemacht, die Kundinnen und Kunden können diesbezüglich nicht wirklich wählen – das angesprochene Marktversagen. Diese Einsicht kann Konsens darüber erzeugen, dass es hier sinnvoll wäre, den Markt zu regulieren.

Interessant ist ein Ansatz aus Frankreich, wo die Reparatur mit einem Index gefördert wird.

Es geht um die sogenannte «geplante Obsoleszenz» – der Hersteller baut das Produkt absichtlich so, dass es relativ rasch kaputt geht, etwa bei Akkus von Handys. Ist das nicht stossend?

Hier fehlt es an einer klaren Regulierung. Frankreich verbietet eine planmässige Verschlechterung eines Produktes. Aber wie sieht es aus, wenn eine unterschiedliche Lebensdauer der Kundin beim Kauf bewusst ist? Bietet beispielsweise ein Kaffeemaschinenhersteller ein Modell für 200, ein anderes für 500 Franken an, dann wird das teurere so gebaut, dass es länger hält als das billige. Da haben wir einen Widerspruch zwischen wirtschaftlichem Denken und dem Nachhaltigkeitsgedanken. Interessant ist ein Ansatz aus Frankreich, wo die Reparatur mit einem Index gefördert wird. Zum Beispiel sollen die Produkte mit normalem Werkzeug reparierbar sein und der Kunde soll nicht Gefahr laufen, den Garantieanspruch zu verlieren, wenn er selbst herumwerkelt.

Wie kann das gefördert werden?

Indem wir Transparenz und entsprechende Labels schaffen: Bei Leuchtmitteln hat die neue LED-Technik auch zu ganz neuen Designs geführt. Aber wenn das Leuchtmittel nicht mehr funktioniert, kann es nicht mehr wir eine LED-Birne einfach herausgeschraubt werden. Hier müsste auf dem Label bei «Reparatur» eigentlich «null Punkte» stehen. Für mich ist klar, dass wir hier Marktentwicklungen korrigieren müssen.

Ein grosses Problem ist die Verschwendung von Lebensmitteln. Wie kann das nachhaltiger gestaltet werden, mit welchen Mitteln?

Es gibt viele Ansätze in der Praxis, zum Beispiel ablaufende Lebensmittel rechtzeitig zu sammeln und an Bedürftige zu verteilen. Hier stellen sich viele Detailprobleme: Wer haftet für die gesundheitliche Verträglichkeit? Gibt das Haltbarkeitsdatum genügend Auskunft darüber, ob man das Erzeugnis auch später – nach eigener Prüfung – noch essen kann?

Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus Ihrer Forschung, wie kommen wir der Kreislaufwirtschaft generell näher?

Grundsätzlich ist es so, dass wir, auch wenn wir unserem Wirtschaftssystem positiv gegenüberstehen, negative Auswirkungen auf Umwelt und Nachhaltigkeit erkennen und entsprechend eingreifen müssen. Es gibt aber auch Beispiele, wo Wirtschaft und Nachhaltigkeit in die gleiche Richtung gehen, etwa bei der Förderung erneuerbarer Energien. Aber dort, wo dies nicht der Fall ist, brauchen wir demokratische Mehrheiten, die bereit sind, das zu ändern. Etwas bedauerlich ist, dass wir es aus meiner Sicht seit über 20 Jahren immer wieder verpassen, kleine Schritte zu machen, die «low hanging fruits» zu pflücken. Warum schreiben wir nicht schon längst bei jedem Produkt an, wie es repariert werden kann? Da haben wir leider immer wieder gute Chancen vertan.

Nachhaltigkeit: rechtliche Dimensionen

«Lebensmittelverschwendung bekämpfen und Reparatur fördern»: Dieses Forschungsprojekt führt Sebastian Heselhaus, Professor für Europarecht, Völkerrecht, Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung, bis im Spätsommer 2022 durch (siehe Interview). Vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert und im Nationalen Forschungsprogramm 73 «Nachhaltige Wirtschaft» verortet, realisieren Iva Stamenkovic und Philippe Stawiski in diesem Rahmen ihre Doktorarbeiten. Heselhaus ist zudem Vorsitzender Geschäftsleiter des Zentrums für Recht und Nachhaltigkeit (CLS) an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Dieses besteht seit zehn Jahren und hat zum Ziel, Forschung in diesem Bereich innerhalb der Fakultät stärker zu vernetzen und nach aussen sichtbar zu machen. Als Co-Geschäftsleiter des CLS amten Klaus Mathis und Roland Norer; beide sind mit je spezifischen juristischen Forschungen auf dem Feld der Nachhaltigkeit aktiv.

Klaus Mathis, Professor für Öffentliches Recht, Recht der nachhaltigen Wirtschaft und Rechtsphilosophie, verfasste seine rund 700-seitige Habilitationsschrift zum Thema «Nachhaltige Entwicklung und Generationengerechtigkeit. Eine interdisziplinäre Studie aus rechtlicher, ökonomischer und philosophischer Sicht» (Mohr Siebeck, Tübingen, 2017). In dieser wird angesichts der globalen Tragweite des Themas nicht nur die schweizerische, sondern auch die internationale Debatte abgebildet. Besonderes Augenmerk erfährt dabei die mannigfaltige rechtliche Verankerung der nachhaltigen Entwicklung in der schweizerischen Bundesverfassung und ihre Umsetzung in der Gesetzgebung und Rechtsanwendung. Die Erkenntnisse dieser Forschung werden auch den Studierenden vermittelt. So bietet Mathis zusammen mit Charlotte Sieber-Gasser die Master-Vorlesung «Law of Sustainable Development» an. Als ein Ergebnis dieser Veranstaltung erschienen in diesem Herbst verschiedene Beiträge von Studierenden im Blog des Thinktanks foraus.

Roland Norer, Professor für Öffentliches Recht und Recht des ländlichen Raums, beleuchtet mit seiner fortlaufenden öffentlichen Ringvorlesung «Recht der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen» (RNR) die verschiedenen Facetten der Thematik. Es geht dabei um einen ganzheitlichen Blick auf die meist sektoriell betrachteten Rechtsmaterien, die sich mit Schutz und Nutzung der natürlichen Ressourcen Kulturland, Wald, Wasser und Naturraum (Fauna und Flora) beschäftigen. Aktuelle Projekte von Roland Norer sind unter anderem den Themen Naturgefahren, Klima und Landwirtschaft, Koexistenz Wolf/Weidehaltung sowie der Allmende als zukunftsweisendem «Natural Resources»-Nutzungsmodell gewidmet.