Die verbindenden Elemente zwischen einem historischen Objekt in einem Museum und seiner Aura sind seine Geschichten. Sie erzählen oft von grossen Zusammenhängen und kleinen persönlichen Erlebnissen zugleich.

H89, der erste Computer der Luzerner Verwaltung
Vereinigt verschiedene Geschichten auf sich: H89, der erste Computer der Luzerner Verwaltung. (Bild: Historisches Museum Luzern | Andri Stadler)

Heute steht er mit der Kennzeichnung HMLU 12074 im Historischen Museum Luzern – der erste PC in der Verwaltung des Kantons Luzern. Er zeigt exemplarisch, wie der Computer vom hochspezialisierten Hightech-Gerät zur universell anwendbaren Maschine wurde. Das ist aber nicht das einzig Spannende an diesem Objekt, denn jener Computer ist nicht nur ein Teil einer grossen historischen Entwicklung, sondern auch Teil vieler persönlicher Erlebnisse. So baut sich rund um diesen PC eine Aura auf, die weit über die Funktion des Rechnens hinausgeht. Sie macht aus dem Massenprodukt einen einzigartigen Gegenstand, verändert sich immer wieder und lässt denselben Computer vom Bausatz zum Gebrauchsgegenstand und dann vom Dienstaltersgeschenk schlussendlich zum historisch relevanten Ausstellungsobjekt werden.

Als Bausatz in Übersee gekauft

Die Geschichte nimmt ihren Beginn bei der Luzerner Kantonalbank. Von ihr übernahm 1978 der Kanton Luzern einen alten Grossrechner. Nebstdem, dass sie ihn selber brauchte, liess die Kantonsadministration einen Herrn Bernhard Pfyffer jeweils in der Nacht darauf arbeiten und Programme für wissenschaftliche Untersuchungen seiner Frau schreiben. Pfyffer hatte sich einen gewissen Namen im Umgang mit dem Rechner gemacht, und als seine Frau ein Forschungsstipendium bekam und damit nach Kanada reisen durfte, wurden Pfyffer 20'000 Franken vom Kanton zugesprochen, um in Seattle einen Computer fürs Forstamt zu kaufen.

So reiste Pfyffer von Luzern nach Vancouver und dann nach Seattle. Dort kaufte er im November 1980 einen Bausatz für einen sogenannten Microcomputer, der zum ersten Personal Computer der Verwaltung des Kantons Luzern werden sollte. Das Model der Heath Company wäre auch zusammengebaut erhältlich gewesen, aber wesentlich teurer, weshalb man sich für den Bausatz H89 entschied, den Pfyffer dann auch selber zusammenbaute.

Platz für 2 Sekunden Musik

Der H89 hat mit seinen 12 Zoll einen etwas kleineren Monitor als der erste iMac, unterscheidet sich aber von der Grösse her kaum von ihm. Er ist mit zwei Prozessoren ausgerüstet, die mit 2 MHz (Megahertz) getaktet sind, was im Vergleich zum ersten iPhone ungefähr zwei Hundertstel der Leistung ausmacht. Der Speicher war mit 32 KB (Kilobyte) etwas gar gering, sodass Pfyffer ihn später auf 64 KB erweiterte. Das ist etwa gleich viel wie beim ersten Germaniumdiodenrechner der ETH, der 1,5 Tonnen wog und zugleich etwa zwei Tausendstel des Arbeitsspeichers des ersten iPhones aufwies. Das 1981 dazugekaufte externe Diskettenlaufwerk hatte zweimal 256 KB. Das ist immer noch rund 2700 Mal weniger, als auf einer normalen CD Platz hat. Man könnte damit also kaum 2 Sekunden Musik in normaler CD-Qualität hören.

Obwohl seine Leistungsdaten heute unglaublich klein wirken, reichten sie zu jener Zeit aus, denn an einen Computer zur multimedialen Unterhaltung war bei diesem H89 noch nicht zu denken. Das Betriebssystem CP/M 2.0 funktionierte noch über Kommandozeilen, welche über die Tastatur eingegeben werden mussten.

Nutzung auch für Laien möglich

Als das Ehepaar Pfyffer im September 1981 nach Luzern zurückkehrte, begann Pfyffer den Computer im Forstamt einzusetzen. Er schrieb darauf vor allem Auswertungsprogramme sowie die Betriebsbuchhaltung. Auf ein und demselben Gerät wurden also hochspezifische Auswertungen vorgenommen, während gleichzeitig allgemeine administrative Aufgaben wie die Betriebsbuchhaltung digitalisiert wurden, die in ihrer Art von Betrieb zu Betrieb nicht sehr stark variieren. Diesbezüglich funktioniert dieser H89 als Teil der Entwicklungsgeschichte des Computers im Allgemeinen. Er wird vom Instrument für hochspezialisierte Berechnungen plötzlich auch zu einem Personal Computer, zu einem Computer, an dem die Buchhaltung erledigt werden kann, und das nicht mehr nur von IT-Spezialisten, sondern immer mehr auch von IT-Laien, für die der Computer früher noch eine unverständliche Blackbox war.

Der H89 war nicht sehr lange in Betrieb. 1987 ging er vom Forstamt an die Organisations- und Informatikdienste des Kantons Luzern (OID), wo er – als erster PC der Kantonsverwaltung – als Museumsstück aufbewahrt werden sollte.

Dank Aura zum Geschenk

Im Jahr 2001 feierten die OID ein Jubiläum. Der Mitarbeiter Markus Amrein arbeitete zu diesem Zeitpunkt seit 25 Jahren dort, wofür ein geeignetes Dienstaltersgeschenk hermusste. Der H89 bot sich seiner Symbolik wegen an, und man vermachte Amrein den Computer. Der damals rund zwanzigjährige PC wurde so wieder Teil einer persönlichen Geschichte, bei der seine Funktion als Arbeitsgerät an Bedeutung verlor und seine Aura eines Urgesteins das passende Dienstaltersgeschenk ausmachte.

Amrein erkannte den historischen Wert dieses Computers und seiner Geschichten, weshalb er ihn dem Historischen Museum Luzern vermachte, wo er heute steht. Dabei spielt es keine Rolle, dass er nicht mehr funktioniert. Sein Wert hängt längst nicht mehr an seiner Funktion, sondern in seiner Aura, die mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen ist und sich auch aus der persönlichen Geschichte des Ehepaars Pfyffer speist. Dieses H89-Exemplar vereint in sich viele Geschichten; beispielsweise jene des Computers im Allgemeinen, die von der Entwicklung von der riesigen Rechenmaschine zum PC zeugt. Genauso ist er aber auch Teil der Geschichte der Kantonsverwaltung, die sich in den frühen 1980ern komplett zu digitalisieren beginnt.

Öffentlicher Anlass am 20. September 2018

Die Langfassung dieses Artikels entstand im Seminar «Sachen machen. Dinge als Quellen der Kulturanalyse» bei Marianne Sommer, Professorin für Kulturwissenschaften. In diesem nun zum zweiten Mal stattfindenden Seminar setzen sich Studierende mit Objekten aus dem Historischen Museum Luzern auseinander und publizieren dazu Beiträge auf der Open-Access-Plattform LORY. Einige der Resultate werden wieder an einem öffentlichen, kostenlos besuchbaren Anlass im Museum präsentiert.

Peter Limacher
Masterabschluss in Kulturwissenschaften an der Universität Luzern 2016, arbeitet heute bei der Stiftung Science et Cité im Bereich digitale Wissenschaftskommunikation