Der Hofnarr, die Hofnärrin ist eine widersprüchliche Figur und genau deshalb gut geeignet, um mit Widersprüchlichkeiten in organisatorischen Kontexten umzugehen. Inwieweit kann diese Figur auch das moderne Personalmanagement inspirieren?

Bild Hofnarr zeigt CEO den Spiegel
Die historische Figur des Hofnarren bietet eine reiche Quelle der Inspiration, um eine Kultur zu fördern, die offen für Kritik und Widersprüchlichkeiten ist. (Illustration: Sarah Furrer)

Mitglieder der Geschäftsleitung leiden nicht selten unter Selbstüberschätzung und treffen dadurch falsche unternehmerische Entscheidungen. Diesen Verdacht nähren zumindest Schlagzeilen aus der Wirtschaftspresse über gescheiterte Fusionen und Firmenübernahmen. In der Managementforschung wird gezeigt, wie CEOs in Unternehmen die Bodenhaftung verlieren und im Zuge dieser Hybris Fehlentscheidungen treffen. So stellte man in einer Reihe von Studien beispielsweise fest, dass CEOs übermütig werden, sobald einmal ein Zusammenschluss geglückt ist, und dass anschliessend überdurchschnittlich oft weitere Übernahmen angestrebt werden, die sich dann aber als Desaster erweisen.

Statt falsche oder schlechte Entscheidungen in Organisationskontexten psychologisch mit der Hybris oder dem Narzissmus von Individuen zu begründen, bietet sich ein Rückgriff auf die mittelalterliche Figur des Hofnarren an, um das Problem aus einer organisationstheoretisch informierten Perspektive zu untersuchen und eine mögliche Lösung zu entwickeln. Denn schlechtes und falsches Entscheidungsverhalten von Führungskräften wird verstärkt durch unterstellte Mitarbeitende, die aus Angst um ihre eigene Karriere nur Teilwahrheiten und «passende» Informationen weitergeben. Die Institutionalisierung der Rolle von Hofnärrinnen und Hofnarren im Kontext moderner Organisationen könnte hier Abhilfe schaffen.

Soziale Institution zulässiger Kritik

Das Entscheidungsverhalten im Kontext von Organisationen lässt sich nicht auf ein einzelnes Individuum, sondern auf ein bestimmtes Setting und eine spezifische Rollenkonstellation zurückführen. Das gilt heutzutage mindestens genauso wie zu Zeiten absolutistischer Herrschaft. Damals zählten Hofnarren – und Hofnärrinnen, solche sind historisch bezeugt – zu den wenigen Personen, die dem König die Wahrheit sagen durften und die Herrschenden unverblümt über das Geschehen am Hof aufklärten. Das Risiko, als Verräter geköpft zu werden, war geringer als für andere Hofleute, denn schliesslich stellte der Hofnarr keine Königin dar: Meinungen und Mitteilungen, die ungefällig waren, konnten als «närrisch» abgetan werden – und trotzdem zum Nachdenken anregen.

Die Kompetenzen von Hofnarren scheinen heutzutage in Organisationen notwendiger denn je zu sein
Anna Sender und Hannah Mormann

Die Stärke dieser historischen Figur rührt daher, dass Hofnärrinnen und -narren weise Individuen waren und zugleich gegen aussen hin einen törichten Eindruck machen konnten. Ihre Kompetenzen scheinen heutzutage in Organisationen notwendiger denn je zu sein. Auch in modernen Organisationen geht es darum, das Management durch kritisches und paradoxes Denken herauszufordern, die Grenzen des Sagbaren beispielsweise über den Einsatz von Humor zu verschieben. Um eine Kultur in Organisationen zu fördern, die sich offen für Kritik und Widersprüchlichkeiten zeigt, bietet die historische Figur des Hofnarren mit seinen spielerischen und auch unterhaltsamen Interaktionen mit König und Hofstaat eine reiche Quelle der Inspiration.

Personalfachleute «zwischen den Stühlen»

Wie und wo können Hofnarren im Kontext moderner Organisationen zum Leben erweckt werden? Um dies zu beantworten, wurden Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem Management unterschiedlicher Organisationen, aber auch mit einem Kabarettisten und externen Beratern und Beraterinnen geführt. Dabei kam heraus, dass ein modernes Personalmanagement für die Institutionalisierung des Hofnarrentums in Organisationen eine besondere Rolle spielen könnte. Schliesslich sind Personalfachleute es gewohnt, «zwischen den Stühlen zu sitzen» und mit Widersprüchlichkeiten umzugehen; sie sind mit dem Organisationsgeschehen vertraut, haben ein offenes Ohr für Anliegen von Mitarbeitenden und können sich Zugang zu Entscheiderinnen und Entscheidern verschaffen.

Doch um die Rolle der Hofnärrin, des Hofnarren dauerhaft als Institution zulässiger Kritik zu etablieren und eine entsprechende Kultur zu fördern, braucht es Kompetenzen, die mitunter im Widerspruch zu professioneller Personalarbeit zu stehen scheinen. Dazu gehört, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen und die Einsicht, dass Möglichkeiten des direkten Einflusses gering sind und trotzdem Gelegenheiten wahrgenommen werden können, Dinge zur Sprache zu bringen, die sich sonst niemand auszusprechen wagt. Traut sich das Personalmanagement zu, die Hofnarren-Rolle zu übernehmen und so als eine Institution zulässiger Kritik innerhalb der Organisation zu wirken, gewinnt es an Bedeutung für die Gesamtorganisation. Dabei ist der Einsatz von Humor essenziell; dies stellt für Vertreterinnen und Vertreter aus dem Personalmanagement wahrscheinlich die grösste Herausforderung dar. Die Kunst besteht in der richtigen Dosierung von Humor. Diese Dosis macht den Unterschied zwischen einem modernen Hofnarren, der Aufmerksamkeiten auf subtile Weise zu lenken vermag und Entscheidungen im Management intelligent unterstützt, und dem zwar unterhaltsamen, aber nicht ernstzunehmenden Clown.

Anna Sender

Oberassistentin und Geschäftsführerin am Center für Human Resource Management; Co-Projektleiterin
unilu.ch/anna-sender

Hannah Mormann

Oberassistentin am Soziologischen Seminar; Co-Projektleiterin
unilu.ch/hannah-mormann

Förderung mittels «Spark»

Das Projekt «It Takes a Fool to Remain Sane. Integrating the Court Jester Figure within the HR Professional Role» wird von Dr. Anna Sender und Dr. Hannah Mormann geleitet und gemeinsam mit Boris Previšić, SNF-Förderprofessor für Literatur- und Kulturwissenschaften, und seinem Wissenschaftlichen Mitarbeiter Sreten Ugričić durchgeführt. Es hat seitens des  Nationalfonds (SNF) eine Unterstützung im Rahmen von «Spark» erhalten, einem Instrument zur Förderung unkonventioneller Forschung.