Studie beleuchtet Trends in der Integrationspolitik

Die rechtliche Gleichstellung von Eingewanderten in westlichen Demokratien ist während des vergangenen Jahrzehnts insgesamt leicht verstärkt worden, so auch in der Schweiz. Es gibt aber wichtige Ausnahmen, wie eine Studie unter Mitarbeit von Samuel D. Schmid vom Politikwissenschaftlichen Seminar zeigt.

Swiss passport
Die Schweiz ist bei der Einbürgerung im internationalen Vergleich restriktiv. (Bild: ©istock.com/Andreas Haas)

Wenn es um Migrationspolitik geht, wird oft angenommen, dass es in westlichen Aufnahmeländern während des letzten Jahrzehnts im Zuge der Fluchtbewegungen und dem Aufstieg rechtspopulistischer Parteien zu einer Gegenreaktion gekommen ist. Dies schliesst die Integrationspolitik mit ein: man geht in der Öffentlichkeit und in der wissenschaftlichen Literatur davon aus, dass Eingewanderten immer weniger Rechte zugestanden werden.

Leicht verstärkte Gleichstellung auch in der Schweiz

Samuel D. Schmid vom Politikwissenschaftlichen Seminar und seine Mitautoren Giacomo Solano und Marc Helbling zeigen in einer neuen Studie, dass diese Annahme einer genaueren Analyse nicht standhält. Sie benutzen dafür die neuen Daten des Migrant Integration Policy Index (MIPEX). Der Index übersetzt die rechtliche Gleichstellung in 36 EU- und OECD-Länder von 2010 bis 2019 in Zahlenwerte und macht diese damit vergleichbar: je höher der Wert, desto stärker die Gleichstellung.

Insgesamt zeigt sich, dass westliche Demokratien die Gleichstellung leicht intensiviert haben. Die Schweiz ist exemplarisch für diese subtile Verschiebung. Auf dem Gesamtindex, der von 0 bis 100 reicht, verzeichnet das Land einen kleinen Zuwachs von 45 auf 46 Punkte. Verantwortlich dafür ist eine leichte Liberalisierung der Einbürgerungspolitik. Menschen mit Migrationshintergrund müssen nun nur noch zehn statt zwölf Jahre in der Schweiz wohnhaft sein, um sich für die ordentliche Einbürgerung zu qualifizieren.

Bestimmte Eigenheiten nicht erfasst

An diesem Beispiel zeigen sich jedoch auch die Schwächen einer quantitativen Analyse, bei der die Zahl der Indikatoren notwendigerweise beschränkt ist, erklärt Samuel D. Schmid. Die Messung erfasse beispielsweise nicht, dass seit der Einbürgerungsreform im Jahr 2018 auch eine Niederlassungsbewilligung nötig ist, um sich für den roten Pass zu bewerben.

So wirke das restriktive Schweizerische Einbürgerungssystem insgesamt offener, als es wirklich ist, führt der Migrationsforscher weiter aus. Denn auch die kantonalen und kommunalen Zusatzbedingungen mitsamt der Willkür, welche Einbürgerungswillige in manchen Gemeinden zu spüren bekommen, könne dieser Vergleich nationaler Rechtsetzung nicht in den Blick nehmen. Im Gesamtranking sei die Schweiz mit 46 Punkten im unteren Mittelfeld platziert – der Medianwert der untersuchten 36 Länder lag im Jahr 2019 bei rund 53 Punkten.

Keine umfassende Gegenreaktion

Andere westeuropäische Länder haben gemäss der Studie die rechtliche Gleichstellung in der Integrationspolitik auch nur leicht und meist in einzelnen Politikbereichen verstärkt. In Osteuropa allerdings war die Liberalisierung von einem tieferen Niveau ausgehend deutlich stärker und oft in mehreren Bereichen spürbar. Osteuropa und Westeuropa sind damit ähnlicher geworden, wenn es um die Gleichstellung von Eingewanderten geht.

Ausserhalb von Europa und in den Bereichen Familiennachzug und beim Zugang zur Niederlassungsbewilligung stellt die Studie auch in Europa restriktive Trends fest. Während also Rechte wie der Zugang zum Arbeitsmarkt, zur Bildung oder zur politischen Mitbestimmung ausgebaut wurden, wurde das Recht auf Niederlassung mitsamt der Familie eingeschränkt. Einzig die Einbürgerung – welche auch als ein Aspekt der gesicherten Niederlassung gesehen werden kann – wurde leicht liberalisiert.

Insgesamt zeigen die Autoren in der Studie, dass die westlichen Demokratien weit entfernt sind von der umfassenden restriktiven Gegenreaktion in der Migrations- und Integrationspolitik, die gemeinhin für das letzte Jahrzehnt erwartet wurde.

 

Giacomo Solano (Radboud University, Nijmegen), Samuel D. Schmid (Universität Luzern) und Marc Helbling (Universität Mannheim & Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung)
Extending Migrants’ Rights but Limiting Long-Term Settlement: Migrant Integration Policy Trends in EU and OECD Countries Between 2010 and 2019
International Migration Review, 2023
Open-Access-Abruf der Studie