Willem C. Vis: Erfahrungsbericht

Anlässlich ihres Erfolgs am 32. Willem C. Vis Moot Court Mitte April 2025 geben die Studierenden Paula Somm und Berkant Kocyigit sowie ihre Coaches, Rechtsanwältin Alina Krebs, Rechtsanwalt Dario Schönbächler sowie MLaw Linus Bättig einen Einblick in den Wettbewerb – ein ausführliches Interview.

Wie muss man sich einen Moot Court wie den Willem C. Vis Moot Court als Wettbewerb vorstellen? Welche konkreten Etappen und Deadlines kann man unterscheiden? Wie lange dauert der ganze Wettbewerb?

Paula Somm: Der Wettbewerb, der sich über ungefähr sieben Monate erstreckt, beginnt im Oktober und besteht aus einer schriftlichen und aus einer mündlichen Phase. In der ersten Phase verfasst man im Team eine Klageschrift. Dazu verbringt man gemeinsam im Büro viele Stunden an der Recherche, der Analyse des Sacherhalts und der schriftlichen Argumentation. Mitte Dezember reicht man die Klageschrift ein. Kurz darauf wechselt man zur Seite der Gegenpartei und verfasst bis Ende Januar eine Klageantwort.

Berkant Kocyigit: Ab Februar beginnt dann die mündliche Phase, in der man Plädoyers für die Verhandlung vorbereitet – und zwar für beide Streitparteien, also Klägerin und Beklagte. In dieser Zeit trainiert man vor allem die mündliche Argumentationsfähigkeit. Und auch das ist Teamarbeit: Man trifft sich mit oder ohne Coaches, trägt sich gegenseitig sein Plädoyer vor und verfeinert die Fähigkeit, Fragen der Schiedsrichter möglichst präzise zu beantworten. In dieser Phase kann man bei Wirtschaftskanzleien gegen andere Schweizer Teams plädieren und an sogenannten «Pre-Moots» im Ausland teilnehmen, um den eigentlichen Wettbewerb in Wien vorzubereiten. Wir sind dieses Jahr für diesen Zweck nach Helsinki, Lissabon und Belgrad gereist und sind dort gegen Teams von der ganzen Welt angetreten.

Das Luzerner Vis-Moot-Team (v.l.): Berkant Kocyigit, Mia Kaufmann, Paula Somm, Jara Scheuber, Vivienne Buzzi, Dorian Trogu.

Wie viele Teams haben an der letzten Ausgabe teilgenommen?

Dario Schönbächler: Es nehmen jedes Jahr Teams von rund 400 Universitäten aus aller Welt teil. Das waren dieses Jahr in Wien rund 2500 Studierende und 1200 Coaches. Zusätzlich waren über 1100 in der Schiedsgerichtsbarkeit tätige Anwälte, Schiedsrichter und Professorinnen und Professoren vor Ort.

Linus Bättig: In der Finalwoche lebt Wien regelrecht vom Vis Moot – ständig läuft man in der Stadt anderen Teilnehmern über den Weg. Es herrscht in der Stadt also immer eine besondere Stimmung. In dieser Zeit trifft man viele junge, gleichgesinnte Leute und knüpft Kontakte und Freundschaften.

Worum ging es im konkreten Fall? Und was waren die besonderen juristischen Knacknüsse dabei?

Paula Somm: Im diesjährigen Fall ging es um ein staatliches Unternehmen, welches damit beauftragt wurde, eine Produktionsanlage für Wasserstoff erbauen zu lassen. Dafür schloss es einen Vertrag mit einem Ingenieur-Unternehmen. Das grosse Projekt entpuppte sich jedoch schnell als eine Quelle von allerlei Problemen, weshalb das staatliche Unternehmen den Vertrag gestützt auf sein nationales Recht kündigte. Um überhaupt beurteilen zu können, ob diese Kündigung rechtmässig war, stellte sich zunächst die Frage, ob das Wiener Kaufrecht – oder doch eher das nationale Recht – anwendbar ist. Auf Seite der Klägerin musste man argumentieren, dass der Vertrag ein Kaufvertrag im Sinne des Wiener Kaufrecht ist, obwohl beispielsweise die Parteien im Vertrag selbst als Auftraggeber und Auftragnehmer bezeichnet sind. Als Vertreterin der Beklagten musste man das Schiedsgericht davon überzeugen, dass es doch eher ein Konstruktionsvertrag mit stark auftragsrechtlichen Verpflichtungen ist, wofür das Wiener Kaufrecht nicht zugeschnitten ist.

Berkant Kocyigit: Zudem stellten sich Fragen im Zusammenhang mit der Schiedsgerichtsbarkeit. Die Parteien haben im Vertrag vereinbart, dass sie im Falle von Streitigkeiten zuerst versuchen, den Streit in einem Mediationsverfahren zu lösen. Erst danach sollte ein Schiedsgericht über den Streit urteilen. Die Klägerseite leitete jedoch unmittelbar ein Schiedsverfahren ein, ohne zuvor ein Mediationsverfahren durchzuführen. Als Vertreterin der Kläger galt es, das Schiedsgericht davon zu überzeugen, dass eine Mediation aus verschiedenen Gründen aussichtslos gewesen wäre und daher der direkte Weg zum Schiedsverfahren zulässig war. Auf Seiten der Beklagten musste hingegen dargelegt werden, dass eine Mediation durchaus zielführend gewesen wäre. Zudem galt es, die Zulässigkeit bestimmter Beweismittel zu klären, wozu die Parteien im Verlauf des Verfahrens ihre Argumente vorbringen mussten.

Die Herausforderung des Vis Moot Courts ist ein Unikum während der Studienzeit. In nur sieben Monaten habe ich meine juristische Argumentation, Teamfähigkeit, Belastbarkeit und vieles mehr so vertieft, dass ich mich für das spätere Berufsleben viel besser gewappnet fühle.
Paula Somm
Teilnehmerin

Wie habt ihr Euch konkret auf die einzelnen Etappen vorbereitet? Was waren Eure Erwartungen?

Berkant Kocyigit: Wenn man zum ersten Mal die rund 55 Seiten umfassenden Materialien in den Händen hält, steht man plötzlich vor der Frage: Wie gehen wir am besten vor? Mit Mindmaps, Timelines, PowerPoint-Präsentationen oder doch kurzen Zusammenfassungen? Am Ende zeigt sich: Der Schlüssel zum Erfolg liegt im gemeinsamen, strukturierten Arbeiten im Team.

Paula Somm: Rückblickend ist meine Erfahrung, dass man sich nicht gross vorbereiten kann. Aber das ist es genau, was sich vom Alltag im Studium unterscheidet und den Moot Court so besonders macht. Man wird ins kalte Wasser geworfen und muss schnell lernen, wie man mit der neuen Herausforderung umgeht. Dabei lernt man sehr viel.

Und worin besteht jeweils Eure Aufgabe als Coaches, ihr macht das ja nicht zum ersten Mal?

Dario Schönbächler: Wir begleiten und unterstützen die Studierenden in allen Phasen. Bereits über den Sommer üben wir mit dem Team das überzeugende Schreiben an einer kurzen Klageschrift bzw. Klageanwort. Die «Mooties» nehmen zudem an der Swiss Moot School teil, wo sie sich das notwendige Wissen zur Schiedsgerichtsbarkeit und zum Wiener Kaufrecht aneignen können. Da es sich beim Willem C. Vis Moot Court um eine Lehrveranstaltung handelt, ist es zentral, dass die Studierenden einen Lernprozess durchlaufen. Mit diesem Ziel vor Augen geben wir den Teammitgliedern regelmässig Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge. In der schriftlichen Phase betrifft das etwa den Textstil und die Strukturierung von Klageschrift und Klageantwort, in der mündlichen Phase den Auftritt und die Ausdrucksweise in Englisch.

Alina Krebs: Und natürlich besprechen wir mit den Studierenden die verschiedene Argumente zum Fall, diskutieren darüber, wie man sie verbessern kann oder ob man sie auch ganz weglässt, um am Ende wirklich nur die stärksten Argumente überzeugend darstellen zu können. Ausserdem sind wir auch erste Anlaufstelle für die Studierenden bei fachlichen oder auch persönlichen Problemen.

Gibt es Bereiche oder Skills, die ihr in einem neuen Moot-Team besonders fördern oder worauf ihr besonders achten müsst, weil die Studierenden in ihrem bisherigen Studium zu wenig darin gefördert wurden?

Alina Krebs: Es zeigt sich regelmässig, dass es für Studierende schwierig ist, vom eher neutralen und teils komplizierten akademischen Schreibstil, den man in einer juristischen Arbeit oder Falllösung verwendet, wegzukommen. Beim Verfassen von Klageschrift und Klageantwort geht es hingegen darum, die Interessen der Klienten zu vertreten und die für sie beste Position möglichst überzeugend darzustellen. Aus diesem Grund ist es wichtig, eine möglichst einfache und verständliche Sprache zu verwenden. Auch jemand ohne juristische Kenntnisse oder vertiefte Kenntnisse des Falls sollte die Argumente verstehen können. Das ist teilweise eine Herausforderung, da man sich während des juristischen Studiums gerne an die verschachtelten Sätze gewöhnt, die man in Lehrbüchern oft antrifft.

Linus Bättig: Eine weitere Fähigkeit, die wir den Studierenden mit auf den Weg geben wollen, ist die Teamfähigkeit. Während des Studiums gibt es nur wenige Möglichkeiten, um innerhalb eines Teams über eine längere Zeit intensiv zu arbeiten. Später im Berufsleben gehört es dann aber zum Alltag. Für den Moot Court müssen die Studierenden über Monate gemeinsam an juristischen Problemen arbeiten, sich koordinieren und als Team Entscheidungen treffen. Dabei erlernen sie wertvolle Fähigkeiten für ihr späteres Berufsleben.
Ganz wichtig im Hinblick auf die mündliche Phase ist zudem die Präsentationsfähigkeit: Von Juristen und Anwälten wird erwartet, dass sie sich überzeugend mündlich ausdrücken können. Es gibt wohl keine andere Lehrveranstaltung, in welcher die Studierenden diese Fähigkeit derart intensiv trainieren – über Monate hinweg üben sie fast täglich, wie sie ihren Auftritt verbessern können und vor Schiedsrichtern überzeugend plädieren können. Dabei begleiten wir die Studierenden intensiv. Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, welchen Fortschritt die Studierenden in wenigen Wochen machen können. Der Vis Moot hat schon aus so manch zurückhaltenden Studierenden schlagfertige und selbstbewusst auftretende Rhetorikerinnen und Rhetoriker gemacht.

In der Finalwoche lebt Wien regelrecht vom Vis Moot – ständig läuft man in der Stadt anderen Teilnehmern über den Weg
Linus Bättig
Coach

Was nehmt ihr aus der Teilnahme am Moot Court mit? Fachlich, aber auch persönlich.

Berkant Kocyigit: Fachlich habe ich vor allem wertvolle Einblicke in das Wiener Kaufrecht und die internationale Schiedsgerichtsbarkeit gewonnen. Besonders deutlich wurde für mich, welche zentrale Rolle die Schiedsgerichtsbarkeit im internationalen Wirtschaftsverkehr spielt. Persönlich habe ich mich in den vergangenen sieben Monaten enorm weiterentwickelt, so habe ich etwa gelernt, auch unter Zeitdruck präzise zu arbeiten und stressige Situationen souveräner zu meistern. Am wertvollsten bleiben jedoch die zahlreichen Freundschaften, die während dieser intensiven Zeit entstanden sind. Nicht zu Unrecht heisst es deshalb: «Once a Mootie, always a Mootie».

Dinner und Finalrunde am 32. Willem C. Vis Moot Court im Austria Center in Wien (Foto: Michael Seirer).

Paula Somm: Ich kann Berkant nur zustimmen. Die Herausforderung, die der Vis Moot mit sich bringt, ist ein Unikum während der Studienzeit. Innerhalb von nur sieben Monaten habe ich meine juristische Argumentation, Teamfähigkeit, Belastbarkeit und vieles mehr dermassen vertieft, dass ich mich für das spätere Berufsleben viel besser gewappnet fühle, als wenn ich am Vis Moot nie teilgenommen hätte.

Ihr Coaches seid mittlerweile ja selbst Anwälte oder im Anwaltspraktikum in der Praxis tätig. Konntet Ihr die Skills, die ihr im Vis Moot erlernt habt. bereits in der Praxis anwenden?

Dario Schönbächler: Wir Coaches haben in unserer Studienzeit alle selbst am Vis Moot teilgenommen. In meiner bisherigen Berufstätigkeit konnte ich das Erlernte bereits anwenden, etwa beim Aufbau und Strukturieren einer Klageschrift. Auch bei der mündlichen Anwaltsprüfung hat mir die Moot-Erfahrung geholfen, als eine für mich unerwartete Frage kam, worauf ich viel souveräner reagieren konnte. Zudem konnten wir bisher auch jedes Jahr dazulernen und vom Wissen und Erfahrungsschatz unserer beiden Head-Coaches Prof. Daniel Girsberger und Rechtsanwältin Roxane Schmidgall profitieren.

Linus Bättig: Ich würde behaupten, dass mir die Teilnahme am Vis Moot in meinem heutigen Berufsleben jeden Tag zugutekommt, insbesondere beim Schreiben. Meine Rechtsschriften würden ganz sicher anders aussehen, hätte ich den Vis Moot nicht besucht. Ebenfalls profitiere bis heute von den erlernten Englischkenntnissen, denn im Vis Moot Court läuft von den Schriftsätzen bis zu den mündlichen Plädoyers alles auf Englisch.

Wem könnt ihr eine Teilnahme am Moot empfehlen? Und weshalb?

Berkant Kocyigit: Ich empfehle die Teilnahme am Vis Moot allen Studierenden, die erste praktische Erfahrungen im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit oder allgemein im juristischen Arbeiten sammeln möchten. Besonders hervorzuheben ist, dass in unserem Studiengang die praktische Anwendung des Gelernten oft zu kurz kommt – der Vis Moot bietet hier eine ideale und zugleich einzigartige Ergänzung. Zudem besteht die Möglichkeit, die intensive Ausarbeitung von Klageschrift und Klageerwiderung als Masterarbeit anerkennen zu lassen, was einen zusätzlichen Anreiz darstellen kann.

Linus Bättig: Den Vis Moot können wir allen Studierenden empfehlen, die motiviert sind, in einem Team intensiv an ihren praktischen juristischen Fähigkeiten zu arbeiten. Er ist sicher zeitintensiv, gerade verglichen mit anderen Lehrveranstaltungen. Von den Studierenden wird daher eine gewisse Einsatzbereitschaft erwartet. Dieser Einsatz zahlt sich aber allemal aus: der Vis Moot bietet den Studierenden eine einmalige Gelegenheit, sich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln.

→ Siehe auch Newsmeldung zur erfolgreichen Teilnahme am 32. Willlem C. Vis Moot Court.