Seit 20 Jahren spiegelt der «Schweizer Human-Relations-Barometer» die Stimmung, das Klima und personalpolitische Praktikenin der Schweizer Arbeitswelt wider. Nun startet eine neue Untersuchungsreihe – unter anderem mit künstlicher Intelligenz im Blick.

Vor etwa 90 000 Jahren, sagt die Anthropologie, erkannten die Mitglieder der damaligen Menschenrudel, dass es besser ist, sich untereinander abzusprechen, wer jagen und wer sammeln soll, anstatt dass jede und jeder jagt und sammelt. So entstand eine Arbeitsteilung, die es je nach persönlicher Eignung und Neigung zu koordinieren galt. Mit der Industrialisierung wurde die menschliche Arbeit noch weiter spezialisiert. Damit wuchs aber auch die Arbeitsteilung, was zum Verlust des Überblicks über Gesamtzusammenhänge und zur Entstehung einfacher, repetitiver und monotoner Arbeitsplätze führte – eine Entwicklung, die Charlie Chaplin in seinem Film «Modern Times» (1936) persiflierte. Wie werden heute Sinn und Unsinn in der Arbeit erfahren? Welche Bedeutung haben Entfremdung und Langeweile, was sind die Bedingungen für bedeutsame Arbeit? Um solche Fragen ging es in der Untersuchung des Schweizer HR-Barometers von 2024.
Mit 55plus wachsende Bedeutung
Ein Grossteil der Beschäftigten in der Schweiz empfindet ihre Arbeit als wichtig und sinnvoll. Ab 55 Jahren nimmt die Bedeutung der Arbeit zu. Fast die Hälfte der Befragten fühlt sich jedoch zumindest teilweise von der Arbeit entfremdet. Dabei wird die Arbeit als Bürde empfunden, die Beschäftigten sind desillusioniert und distanzieren sich von ihrer Tätigkeit und ihrem Arbeitsumfeld. Fast ein Viertel der Beschäftigten langweilt sich bei der Arbeit, während es vor zehn Jahren nur 12 Prozent waren. Dies sind ausgewählte Befunde aus dem hundertseitigen Forschungsbericht des Barometers 2024. Herausgegeben wird die Reihe von Gudela Grote, Ordinaria für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich, und Bruno Staffelbach, Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Leiter des Centers für Human Resource Management (CEHRM) an der Universität Luzern. Gudela Grote und Bruno Staffelbach gründeten den Schweizer HR-Barometer 2005. Projektleiterin ist Anja Feierabend von der Universität Luzern, und bei der Ausgabe 2024 haben Delia Meyer von der Universität Luzern und Lena Schneider und Matteo Gasser von der ETH entscheidend mitgewirkt. Untersuchungsgrundlage bildete eine Befragung von 2032 Beschäftigten in der Schweiz, basierend auf dem Stichprobenregister des Bundesamtes für Statistik.
Der Barometer 2024 ist seit 2006 der dreizehnte «Druck- und Temperaturbericht» darüber, wie die Beschäftigten in der Schweiz ihre Arbeitssituation erleben. Mit den regelmässigen Untersuchungen kann die Entwicklung von relevanten Parametern im Zeitablauf verfolgt werden. Untersucht werden dabei unter anderem Themen wie wechselseitige Erwartungen und Angebote von Beschäftigten und Arbeitgebenden als Bestandteil der Arbeitsbeziehung (psychologischer Vertrag), Praktiken des Human-Resource-Managements wie Arbeitsgestaltung und Personalentwicklung sowie -führung, Arbeitszufriedenheit, Arbeitsmarktfähigkeit und Karriereorientierung. Darüber hinaus konzentriert sich jeder Bericht auf ein Schwerpunktthema. Zwischen 2006 und heute waren dies «Psychologischer Vertrag und Karriereorientierungen», «Psychologischer Vertrag und Arbeitsplatz(un)sicherheit», «Lohnzufriedenheit und psychologischer Vertrag», «Mobilität und Arbeitgeberattraktivität», «Arbeitsflexibilität und Familie», «Unsicherheit und Vertrauen», «Fehlverhalten und Courage», «Arbeitserleben und Job Crafting», «Loyalität und Zynismus», «Integration und Diskriminierung», «Digitalisierung und Generationen», «Innovation und Scheitern» sowie 2024 «Sinn und Unsinn in der Arbeit». Mit den Querschnittdaten lassen sich Trends erkennen und personale sowie organisationale Bedingungen und Zusammenhänge analysieren.
Da alle Ergebnisse veröffentlicht werden, können Unternehmen ihre eigenen Befragungsergebnisse mit den gesamtschweizerischen Resultaten vergleichen. Die festgestellten Veränderungen und Konstanten stellen die personalpolitische Praxis in einen grösseren Zusammenhang und ermöglichen eine empirische Begründung von Qualitäten im Management von Humanressourcen. Die repräsentativen Untersuchungen füllen eine zentrale Lücke in den öffentlich verfügbaren sozialwissenschaftlichen Daten über die Arbeitssituation der Beschäftigten in der Schweiz. Sie unterstützen damit arbeitsmarkt-, bildungs- und personalpolitische Entscheidungstragende in Politik, Wirtschaft und Verwaltung, ergänzen makroökonomische Beschäftigungs- und Konjunkturdaten um Informationen zur Beschäftigungssituation aus mikroökonomischer Perspektive und ermöglichen es, die besonderen Merkmale der Arbeitsbeziehungen in Schweizer Betrieben zu erkennen, was angesichts der wachsenden Internationalisierung der Arbeitsmärkte von besonderer Bedeutung ist.
Kombination von Datenreihen
Im laufenden Jahr erfolgt die Planung für die nächsten vier Jahre. Die Fokusthemen sind noch nicht endgültig fixiert, im Vordergrund stehen aber «Neue Führungsformen », die «Bedeutung von künstlicher Intelligenz», der «Umgang mit alternden Belegschaften» und/oder die «Bedeutung von ausserberuflichen Kompetenzen». In der Forschung und Lehre des Centers für Human Resource Management (CEHRM) haben die Daten des Schweizer HR-Barometers zu den Einstellungen und dem Verhalten von Beschäftigten in der Schweiz grosses Gewicht. Sie sind Grundlage für Dissertationen, Studienarbeiten und Kooperationen mit der personalwirtschaftlichen Praxis. Herausragende Bedeutung erlangen die Daten aber mit der Option, sie mit Datenreihen von zwei anderen Forschungsprojekten des Centers zu verknüpfen. Das eine ist CRANET (The Cranfield Network on International Human Resource Management), ein Forschungsnetzwerk von mehr als 40 Universitäten und Wirtschaftshochschulen weltweit, worin das CEHRM seit 2013 die Schweiz vertritt. Im Zentrum steht dabei der internationale Vergleich von Strukturen, Prozessen und Inhalten des Human-Resource-Managements. Und das andere ist GLOBE (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness), ein Netzwerk von mehr als 420 Forschenden aus über 140 Ländern, worin die Schweiz seit 2019 auch durch das CEHRM (in Zusammenarbeit mit Professor Jürgen Weibler von der Fernuniversität Hagen) vertreten wird. Inhaltlich geht es bei GLOBE um das Führungsverhalten in verschiedenen Kulturkreisen der Welt. Die Kombination von GLOBE und CRANET bei der gleichen Professur bzw. an der gleichen Universität kommt unseres Wissens nur noch in Finnland vor. Die Verbindung von Daten aus dem Schweizer HR-Barometer mit denen von GLOBE und CRANET eröffnet Forschungschancen, worum uns Forschende weltweit beneiden.
Der Schweizer Human-Relations-Barometer® wird vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Instruments «Forschungsinfrastrukturen» gefördert. Es handelt sich um ein Kooperationsprojekt der Universitäten Luzern und Zürich sowie von der ETH Zürich.
Mehr Inforamtionen zum Schweizer Human-Relations-Barometer: hrbarometer.ch
Der Beitrag ist im Jahresbericht 2024 der Universität Luzern erschienen.