Weshalb treten Menschen in ein Kloster ein? Was bewegt Mönche und Nonnen in ihrem Leben? Eine neue Studie zum Leben und zur Identität von Benediktinerinnen und Benediktinern gibt Einblick in die Veränderungen klösterlichen Lebens seit 1950.

«Ledig bleiben», «heiraten» und «ins Kloster eintreten» – so präsentierten sich die Lebensperspektiven für eine Schülerin einer katholischen Schule Mitte des 20. Jahrhunderts. Was damals noch eine verbreitete Option darstellte, ist heute in der Schweiz zu einer Seltenheit geworden: das Ordensleben. Heute leben in Schweizer Benediktinerklöstern noch etwa 200 Mönche und Nonnen. Vor 20 Jahren waren es noch doppelt so viele. Trotz dieser Abnahme: Die monastische Lebensform hat eine lange Tradition und reicht in unseren Breitengraden bis ins frühe Mittelalter zurück. Zu allen Zeiten war klösterliches Leben von gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Trends beeinflusst, was sich auch auf die Grösse der Gemeinschaften ausgewirkt hat.
Im 20. Jahrhundert waren dies die fortschreitende Entkonfessionalisierung der Gesellschaft, die Auflösung des katholischen Milieus und das Zweite Vatikanische Konzil. Wie haben diese Umbrüche die Gefühle der Personen in den Gemeinschaften beeinflusst? Darüber wird kaum geredet und geschrieben. Ein gross angelegtes Forschungsprojekt unter der Leitung von des mittlerweile emeritierten Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte, hat dies geändert. Die Ergebnisse liegen nun vor.
In 65 Interviews haben die Historikerin Esther Vorburger-Bossart und der Historiker Ivo Berther Nonnen und Mönche aus 21 Klöstern, die zur Schweizer Benediktinerkongregation oder zur Schweizerischen Benediktinerinnenföderation gehören, zu ihrer Lebensgeschichte befragt. Entstanden sind zwei Bücher: «Wann ist ein Mönch ein Mönch?», die 2024 publizierte Dissertation von Ivo Berther, und – soeben neu erschienen – «Ein gehorsames Leben» von Esther Vorburger-Bossart (beide im Chronos Verlag, Zürich).
Bislang wurde die Geschichte von Ordensgemeinschaften vor allem als Institutionengeschichte dargestellt. Nur wenige Arbeiten haben sich mit den individuellen Lebensgeschichten von Mönchen und Nonnen im zeitgeschichtlichen Kontext befasst. Esther Vorburger-Bossart ist diese Forschungslücke schon vor vielen Jahren bei den Recherchen zu ihrer Doktorarbeit aufgefallen. «In den Klosterarchiven lagern nur wenige Materialien zur Alltags- und Mentalitätsgeschichte von Nonnen, und in Gesprächen mit Ordensschwestern entdeckte ich, wie wertvoll diese Erfahrungen und Erinnerungen sind.» Ohne Gespräche und Aufzeichnungen wäre dieser Erinnerungsschatz einer Generation von Nonnen und Mönchen kaum fassbar geworden, zumal das Ordensleben in dieser Form ein verschwindendes Lebensmodell darstellt. Von 2019 bis 2023 lief am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Universität Luzern das Projekt «Lebensgeschichten von Benediktinerinnen und Benediktinern», finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds. Dieses fand nun mit der Vernissage der beiden Bücher am 22. Oktober 2025 im Kloster Muri seinen Abschluss (Newsmeldung).
Warum ins Kloster?
Viele der Befragten, vor allem die Nonnen, wuchsen in religiös geprägten Familien in ländlichen Regionen auf. Sie folgten ihrem Wunsch, ein religiöses Leben zu führen. Doch spielten auch die materiellen Voraussetzungen der Herkunftsfamilie eine Rolle. Bei Männern reizte zudem die Aussicht auf höhere Bildung und eine «Karriere» im Kloster.
Wenn die Gemeinschaften kleiner werden, verteilt sich die Arbeit auf immer weniger Personen. Diese hohe Arbeitsbelastung führte in Männerklöstern auch zu Problemen: «Jeder vierte der befragten Mönche hat schon ein Burnout oder eine Depression erlitten», sagt Berther. Seine Interpretation: Das Männlichkeitsbild, Stärke zu zeigen und sich über den Beruf zu definieren, gilt nicht nur für weltliche Männer. Eine Abgrenzung bei Überforderung fällt auch Mönchen schwer. «Jüngere Mönche, die primär aus religiösen Gründen eingetreten sind und das geistliche Leben in den Vordergrund stellen wollten, nehmen dies vielfach nicht mehr hin und fordern eine Balance zwischen Gebet und Arbeit.»
Von der elterlichen in die klösterliche Obhut: Viele Frauen kamen von einem Autoritätsverhältnis in das nächste.
Was von Männern an Ausbildung erwartet wurde, war bei Frauen praktisch ausgeschlossen. Höhere Bildung war im klösterlichen Leben der Nonnen ursprünglich nicht vorgesehen. Viele von ihnen traten jung ein: Kaum 20 Jahre alt, wechselten sie von der elterlichen in die klösterliche Obhut. «Viele Frauen kamen so von einem Autoritätsverhältnis in das nächste, ohne Bewusstsein für die eigenen Rechte», sagt Vorburger-Bossart. Die Frauen lebten lange abgeschlossen von der Aussenwelt in der Klausur, mit beschränktem Zugang zu Tageszeitungen und Nachrichten. Der Informationsfluss wurde von den Klosteroberen bestimmt.
Noch stärker als bei den Mönchen stand bei den Nonnen das Gehorsamsgebot und die ständige Kontrolle im Zentrum. «Die Bildungsungleichheit verhinderte in den Frauenklöstern eine Wissensvernetzung und eine Veränderung der Strukturen», sagt Vorburger-Bossart. Diese Veränderungen sichern heute oft das Überleben von Gemeinschaften. Neue Wege geht beispielsweise das Benediktinerinnenkloster Fahr, wo aus der ehemaligen Bäuerinnenschule das ökumenische Generationenwohnprojekt namens «erfahrbar» entstand, das im Austausch mit den Benediktinerinnen steht.
Weitere Forschung notwendig
Während Autorinnen und Autoren der «Neuen Klostergeschichte Muri» die Archive und Literatur für ihre Arbeiten durchkämmen, standen für das Nationalfondsprojekt von Vorburger-Bossart und Berther kaum schriftliche Quellen zur Verfügung, weshalb vor allem die Methode der Oral History angewandt wurde. In Klöstern Interviews zu führen ist keine einfache Aufgabe. Es braucht aufseiten der Forschenden Feinfühligkeit und Beziehungsarbeit, um in den Gemeinschaften Vertrauen herzustellen. Die Ergebnisse aus dieser Studie sind für künftige Forschungsarbeiten wegweisend, keine Arbeit zu den Benediktinerklöstern in der Schweiz hat sich bisher systematisch mit der benediktinischen «Identität» befasst.
Nach Vorburger-Bossart gibt es aber gerade zur neusten Geschichte der religiösen Frauengemeinschaften weiteren Forschungsbedarf. Einerseits gilt dies für die gelebte Spiritualität in den Gemeinschaften, die bislang kaum untersucht wurde. Andererseits fehlen grundlegende Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte. Wie stellten die Gemeinschaften ihre finanzielle Basis sicher? Wie waren die Arbeitsbedingungen bei arbeitenden Gemeinschaften, wenn für eine arbeitende Schwester später bis zu drei weltliche Personen für dieselbe Arbeit angestellt werden mussten? Vorburger-Bossart ist überzeugt: «Es gibt noch viel zu tun.»
Es handelt sich hierbei um die Zweitveröffentlichung eines Beitrags auf der Website des Projekts «Geschichte Kloster Muri» – Publikation mit freundlicher Genehmigung. Bei den Autorinnen Annina Sandmeier-Walt und Ruth Wiederkehr handelt es sich um die Kommunikationsbeauftragten dieses Projekts.
Früheres Interview mit Esther Vorburger-Bossart und Ivo Berter
