Diese Woche diskutieren Forscherinnen und Forscher aus aller Welt über Themen aus der Rechts- und Sozialphilosophie. OK-Mitglied Klaus Mathis erklärt im Interview, warum sich der IVR-Weltkongress so grosser Beliebtheit erfreut – und welche Folgen der grosse Gästeansturm auf die Organisation hat.

Eröffnungsvortrag von Cathrine A. MacKinnon
Die US-Rechtsprofessorin Cathrine A. MacKinnon eröffnete am Montag im KKL Luzern die Serie von elf Plenarvorträgen. (Bild: Lorenz Pachmann)

Klaus Mathis, diese Woche begrüsst die Universität Luzern zahlreiche Forschende aus aller Welt. Gemeinsam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Organisationskommitee arbeiteten Sie seit rund fünf Jahren auf den Event hin. Nervös?

Klaus Mathis: Nein, ich bin eigentlich ziemlich gelassen. Wir sind sehr gut vorbereitet und freuen uns auf eine spannende und attraktive Veranstaltung.

An der Startveranstaltung vom Montag wurden mehr als 1300 Besucherinnen und Besucher begrüsst. Kann dieser Andrang ohne Probleme bewältigt werden?

Tatsächlich sind dies viel mehr Teilnehmende, als wir zu Beginn erwartet hatten. Ursprünglich rechneten wir mit 800 bis 900 Teilnehmenden. Da es nun viel mehr sind, müssen wir da und dort etwas Flexibilität beweisen.

Wo zum Beispiel?

Die Mensa im Uni-Gebäude ist zu klein, um alle Gäste zu verpflegen – deshalb fand zum Beispiel das erste Mittagessen am Montag im KKL statt. Teilweise werden wir zudem auf Lunch-Säckli ausweichen müssen. Auch beim Programm und bei der Raumbelegung mussten wir leichte Anpassungen vornehmen: So finden manche Workshops parallel zu den Plenarvorträgen statt. Das ist nicht ganz optimal, lässt sich aufgrund des dichten Programms aber nicht anders lösen.

Dass wir so viele Gäste begrüssen dürfen, liegt sicherlich am interessanten Programm – und natürlich am attraktiven Austragungsort.
Rechtsprofessor Klaus Mathis

Worin liegen die Gründe für den Besucherandrang?

Dass wir so viele Gäste begrüssen dürfen, liegt sicherlich am interessanten Programm – und natürlich am attraktiven Austragungsort. Gerade für die Besucher aus fernen Ländern ist die Schweiz, und ganz besonders Luzern, eine attraktive Destination. Gäste aus den USA äussern zum Beispiel immer wieder ihre Begeisterung für unsere schöne Region.

Was bedeutet es für die Universität Luzern, einen solch grossen internationalen Anlass ausrichten zu dürfen?

Das ist die grösste Tagung, die wir an der Universität Luzern je durchführen durften. Man kann durchaus von einem Meilenstein sprechen. Eine Veranstaltung wie der IVR-Weltkongress ist zweifellos eine grosse Chance für unsere noch junge Universität.

Wie gelang es, die Veranstaltung nach Luzern zu holen?

Dies verdanken wir vor allem Professor Paolo Becchi, der früher in Luzern Rechts- und Staatsphilosophie lehrte. Als vom internationalen Verband die Anfrage an die Schweizerische Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (SVRSP) kam, sass Becchi für die Universität Luzern im Vorstand der schweizerischen Sektion. Ihm verdanken wir es, dass Luzern letztlich den Zuschlag erhielt – und das trotz Bewerbungen anderer Universitäten. Entscheidend war schliesslich auch, dass der damalige Rektor Paul Richli von Anfang an voll und ganz hinter dem Projekt stand.

Ein Plenarreferat am IVR-Weltkongress bedeutet für die meisten Forscherinnen und Forscher eine grosse Ehre.
Klaus Mathis

In den kommenden Tagen sind internationale Wissenschafts-Koryphäen in Luzern zu sehen und zu hören. Wie schwierig war es, an die prominenten Referentinnen und Referenten heranzukommen?

Das war gar nicht so schwierig, wie man vielleicht meinen könnte. Im Gegenteil: Ein Plenarreferat am IVR-Weltkongress bedeutet für die meisten Forscherinnen und Forscher eine grosse Ehre. Wir mussten niemandem nachrennen und hätten problemlos noch weitere Referierende für die Plenarveranstaltungen finden können.

Bei dem Kongress dreht sich alles um Themen der Rechts- und Sozialphilosophie. Was muss ich mir als Laie darunter vorstellen?

Diese und weitere im Bereich der juristischen Grundlagen angesiedelten Fächer blicken hinter die Fassade des jeweils geltenden Rechts. Dies mit dem Ziel, eine kritische Reflexion über das Recht zu ermöglichen. Bei der Rechts- und Sozialphilosophie geht es darum, den Studierenden ein tiefes, vernetztes und kritisches Verständnis von Rechtswissenschaft zu ermöglichen. Ein Verständnis, das über die bloss technisch-dogmatische Anwendung von Rechtsnormen hinausgeht.

Was genau die Menschenwürde ist, ist eine der grossen Fragen, über die am IVR-Weltkongress diskutiert wird.
Klaus Mathis

Das Oberthema der Konferenz lautet «Menschenwürde, Demokratie, Vielfalt». Warum fiel die Wahl auf gerade diese Begriffe?

Das sind allesamt bedeutende Themen, die darüber hinaus gut zum Austragungsort Schweiz passen. Bei der «Menschenwürde» zum Beispiel handelt es sich ursprünglich um einen philosophischen Begriff. Seit geraumer Zeit hat dieser Begriff jedoch auch ins Recht Eingang gefunden. So heisst es beispielsweise in Artikel 7 der schweizerischen Bundesverfassung: «Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.»

Was genau ist die Menschenwürde?

Genau das ist eine der grossen Fragen, über die am IVR-Weltkongress diskutiert wird. Die Erwähnung in der Verfassung führt dazu, dass die Gerichte den Begriff konkretisieren müssen. Dabei gibt es aber ganz unterschiedliche Auffassungen über die Definition des Begriffs. In diesem Zusammenhang habe ich gemeinsam mit Paolo Becchi das «Handbook of Human Dignity in Europe» herausgegeben. Dieses sollte just zu Beginn des Kongresses erscheinen.

Ein Schwerpunkt der Konferenz ist die Förderung des akademischen Nachwuchses. Warum?

Für den akademischen Nachwuchs ist der Kongress eine tolle Gelegenheit, seine Forschungen zu präsentieren, sich mit anderen Wissenschaftlern auszutauschen – und sich aktiv in den Workshops einzubringen. Die Doktorandin Eilidh Beaton, die mit dem «IVR Young Scholar Prize» ausgezeichnet wird, erhält sogar die Chance, an einer Plenarveranstaltung zu sprechen.

Foto Klaus Mathis
Klaus Mathis, Ordinarius für Öffentliches Recht, Recht der nachhaltigen Wirtschaft und Rechtsphilosophie. Er ist Mitglied des siebenköpfigen Organisationskommitees des IVR-Weltkongresses.

Wird am Kongress nur gearbeitet oder haben die Gäste auch Zeit, den Austragungsort kennenzulernen?

Am Mittwoch führen wir für alle interessierten Gäste einen Exkursionstag durch. Die Reisen führen – ja nach Gusto der Teilnehmenden – auf den Pilatus, aufs Stanserhorn, ins Bundeshaus, in die Glasi Hergiswil, nach Engelberg oder auf den Vierwaldstättersee.

Und welches sind Ihre persönlichen Highlights der Konferenz?

Besonders freue ich mich auf die vier Workshops, die ich selber auf die Beine stellen konnte. In diesen wird in kleinen Gruppen intensiv über spezifische Themen diskutiert. Ich durfte bei anderen IVR-Weltkongressen schon solche Workshops erleben und bin sehr gespannt, was mich diese Woche erwarten wird. Darüber hinaus freue ich mich sehr auf den persönlichen Kontakt zu den Forscherinnen und Forschern aus aller Welt. 

Gutes Stichwort: Warum macht man solche «analogen» Zusammenkünfte eigentlich noch in der ja zunehmend digitalisierten Welt?

Ich finde das sogar fast das Wichtigste. Obwohl mir viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekannt sind, kenne ich die Leute vor allem aus der Literatur. Man liest voneinander, zitiert einander – hatte vielleicht schon mal Mailkontakt. An Zusammenkünften wie dem IVR-Weltkongress gibt es die seltene Gelegenheit, sich endlich persönlich kennenzulernen und auszutauschen – und bleibende Verbindungen aufzubauen.

Menschenwürde, Demokratie und Vielfalt als Leitthemen

Mit dem IVR 2019, dem 29. Weltkongress der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie, findet vom 7. bis 12. Juli der bislang grösste akademische Anlass in der Geschichte der Universität Luzern statt. Organisiert wird er vom universitären Institut für Juristische Grundlagen – lucernaiuris in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (SVRSP). Die Leitthemen Menschenwürde, Demokratie und Vielfalt bieten einen offenen Rahmen für Diskussionen und kritische Reflexionen über Menschenrechtsanliegen, gegenwärtige Herausforderungen der Demokratie, politische Autonomie und aktuelle Fragen des kulturellen Pluralismus, der Bürgerrechte und Staatsbürgerschaft sowie der Integration. Für die Plenarvorträge konnten international führende Vertreterinnen und Vertreter der Rechts- und Sozialphilosophie verpflichtet werden. Daneben gibt es als Kernstück des Anlasses mit rund 1300 Teilnehmenden zahlreiche Workshops und Arbeitsgruppen, die einen unmittelbaren Austausch zu konkreten Themen und wissenschaftlichen Fragestellungen ermöglichen. Für die breite Öffentlichkeit findet zudem am 9. Juli die Podiumsveranstaltung «Demokratie in der Krise? Herausforderungen der direkten Demokratie im 21. Jahrhundert» statt. Newsbeitrag zum Thema | Kongress-Website