Bereits zum zwölften Mal zeigt der «Schweizer HR-Barometer» auf, wie Angestellte in der Schweiz ihre Arbeitssituation erleben. Basierend auf einer repräsentativen Stichprobe des Bundesamtes für Statistik, wurden über zweitausend Angestellte befragt.

Dr. Anja Feierabend (r.), Oberassistentin und Projektleiterin des «Schweizer HR-Barometer», und Delia Meyer, Doktorandin und Mitautorin, beide am «Center für Human Resource Management» (CEHRM) (Bild: Silvan Bucher)

Anja Feierabend und Delia Meyer, der Fokus des jüngsten «HR-Barometer» liegt auf «Innovation und Scheitern» – wie hängt das miteinander zusammen?

Anja Feierabend: Auch wenn Scheitern oft weniger im Vordergrund steht als Innovation, sind beides wichtige Themen in der Arbeitswelt. Unsere Annahme war: Herrscht ein gutes Arbeitsklima, kann Scheitern auch eine Quelle für das Lernen sein und daraus Innovation entstehen. Wenn das Arbeitsklima hingegen schlecht ist, bleibt Innovation aus. Entsprechend haben uns Möglichkeiten und ideale Arbeitsbedingungen interessiert, die es ermöglichen, dass aus Fehlern gelernt wird und neue Ideen entstehen können. Bei allen Ausgaben des «HR-Barometer» beleuchten wir jeweils zwei Seiten der Medaille: diesmal auf der einen Seite das Scheitern – das Verfehlen von bestimmten Zielen – und auf der anderen Seite die Innovation – die Umsetzung nützlicher Ideen.

Dürfen denn die Angestellten in der Schweiz überhaupt Fehler machen?

Delia Meyer: Zwei Drittel haben angegeben, dass sie im Unternehmen einen positiven Umgang mit Fehlern wahrnehmen. Das bedeutet, dass die Beschäftigten in dem Moment, in dem ein Fehler auftritt, wissen, wie sie damit umgehen können. Ausserdem gehört dazu, dass kommuniziert und reflektiert wird, warum ein Fehler passiert ist. Gleichwohl hat ungefähr ein Drittel angegeben, dass Fehler als belastend erlebt oder verborgen werden. Es hat sich gezeigt, dass tendenziell bei kleineren Unternehmen Fehler eher kommuniziert und weniger als belastend wahrgenommen werden. Je grösser das Unternehmen ist, desto eher werden Fehler verborgen und als belastend empfunden. 

Feierabend: Insbesondere bei sogenannten High-Risk-Organisationen können Fehler, wenn sie passieren, enorm belastend sein. Ein Beispiel ist die Aviatik: Wenn ein Flugzeug abstürzt, ist das der «Worst Case», den es schlicht zu vermeiden gilt. Solche Organisationen legen viel Wert auf eine gute Fehlerkultur, damit mögliche Fehler frühzeitig angesprochen und behoben werden können.

Wenn Fehler dennoch passieren, wie kommt es danach zur Innovation?

Meyer: Wichtig ist, dass Fehler kommuniziert werden. Wenn ich niemandem von meinem Fehler erzähle, kann auch niemand daraus lernen und es entsteht kein gemeinsames Wissen. Fehler können wieder auftreten und die Folgen sich verschlimmern. 

Feierabend: Einen wichtigen Grundstein legt hier die sogenannte psychologische Sicherheit. Letztere ist ein Konstrukt aus der Psychologie, das auch in der Arbeitswelt erforscht wird. Dabei geht es um die Arbeitsatmosphäre: Ob Vertrauen da ist, ob man offen über Probleme diskutiert und nicht einfach jemanden verurteilt, wenn ein Fehler passiert. Ist diese Sicherheit hoch, ist das eine gute Basis für Innovation. 

Als Studienautorinnen haben Sie den Fragebogen erstellt und die 2088 Antworten ausgewertet. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse? 

Meyer: Entgegen unserer Annahme hat sich herausgestellt, dass auch der negative Umgang mit Fehlern zu Innovation führen kann. Die Analyse hat zwar gezeigt, dass das Verbergen von Fehlern keine Innovation bewirkt, weil durch die fehlende Kommunikation eben kein gemeinsames Wissen entstehen kann. Belastende Fehler können gemäss der Umfrage aber dennoch Innovation anstossen, weil die Fehler womöglich trotzdem kommuniziert werden.

Eine Unternehmenskultur, die Lernen aus Fehlern fördert, hat positive Auswirkungen.
Delia Meyer, Doktorandin und Mitautorin

Feierabend: Wir haben ausserdem festgestellt, dass ältere Angestellte und solche, die schon länger in einem Betrieb arbeiten, Fehler weniger als Chance sehen. Wie bereits beim «HR-Barometer» von 2020 gesehen, scheint das auch ein Generationen-Thema zu sein. Ältere Angestellte sind oft mit Altersstereotypen konfrontiert à la: «Je älter Angestellte sind, desto mehr Fehler passieren oder desto langsamer können sich diese in ein neues Thema eindenken.» Möglicherweise möchten ältere Angestellte Fehler eher vermeiden, um diese Vorurteile nicht auch noch zu befeuern.

Meyer: Unter dem Strich bleibt aber eine wichtige Erkenntnis: Eine Unternehmenskultur, die Lernen aus Fehlern fördert, hat positive Auswirkungen. Nicht nur bezogen auf Innovation, sondern generell auch auf Arbeitseinstellungen. Angestellte sind zufriedener, bauen eine Verbindung zum Unternehmen auf und zeigen geringere Kündigungsabsichten.

Sind Aussagen zu Entwicklungen im Erleben der Arbeitssituation seit 2006, dem erstmaligen Erscheinen des «HR-Barometer», möglich?

Feierabend: Ja, etwa hinsichtlich der Häufigkeit verschiedener Arbeitszufriedenheitstypen, die wir seit Beginn erheben. 2022 ging der Anteil an resignativ Zufriedenen zurück, also solchen, die ihre Arbeitssituation resigniert hinnehmen. Gleichzeitig hat der Anteil progressiv Zufriedener zugenommen. Es gibt somit mehr Leute, die anpacken und etwas verändern wollen, damit sich ihre Arbeitssituation verbessert. Solche Angestellten, die aus dem Negativen etwas Positives machen möchten, wünscht man sich eigentlich. 

Was könnten Gründe für diese Veränderung sein?

Feierabend: Womöglich eine Kombination vieler Faktoren. Im Moment ist es wohl der Fachkräftemangel, der zu veränderten Arbeitseinstellungen und Verhaltensabsichten bei den Beschäftigten in der Schweiz führt. Die Arbeitnehmenden haben zunehmend mehr Auswahlmöglichkeiten. Arbeitgebende müssen ihr Angebot verbessern, um attraktiv bleiben zu können. Während es zuvor vielleicht noch schwieriger war, die Stelle zu wechseln, gab es 2022 häufiger den Fall, dass Arbeitnehmende aufgrund der günstigen Arbeitsmarktlage aktiv einen Stellenwechsel angingen.

Im «HR-Barometer» kristallisieren sich auch «Sorgenkinder» heraus.

Meyer: Ja, unter anderem hat sich der Trend zu weniger Weiterbildungstagen noch verstärkt. Pandemiebedingt könnte es aus Kostengründen einen Rückgang gegeben haben. Wir haben uns aber auch gefragt, inwiefern Weiterbildung heute noch als solche wahrgenommen wird. Es gibt inzwischen z.B. vermehrt einstündige Weiterbildungen, die Unternehmen selber zur Verfügung stellen und denen Angestellte zeitunabhängig nachgehen können. Solche Angebote werden vielleicht anders wahrgenommen als eine Weiterbildung, die mehrere Monate oder Jahre dauert. Denkbar ist, dass hier also eine Diskrepanz besteht, zwischen dem, was Unternehmen als Weiterbildung ansehen und der diesbezüglichen Wahrnehmung von Arbeitnehmenden. 

Es geht weniger um den absoluten Lohn, sondern mehr ums faire Entlohnen.
Dr. Anja Feierabend, Oberassistentin und Projektleiterin

Feierabend: Ausserdem zeigt sich beim Thema angemessene Entlohnung eine grosse Diskrepanz: Die Erwartungen der Arbeitnehmenden sind viel höher als das wahrgenommene Angebot. Es geht weniger um den absoluten Lohn, sondern mehr ums faire Entlohnen. Hier spielt die sogenannte prozedurale Lohntransparenz eine wichtige Rolle: dass man also den Prozess offenlegt, wie der Lohn zustande kommt und die Beschäftigten nachvollziehen können, dass der Prozess für alle gleich ist. Hier können Arbeitgebende ansetzen, um den steigenden Erwartungen an eine faire Entlohnung zu begegnen. 

Gibt es weitere Bedingungen, die sich positiv auf die Arbeitseinstellung auswirken? 

Feierabend: Wenn der psychologische Vertrag – also die gegenseitigen Erwartungen und Angebote in der Beziehung zwischen Arbeitgebenden und Beschäftigten – als «Päckli» stimmt, hat das einen positiven Einfluss auf die Arbeitseinstellungen. Es geht im Grunde nicht darum, einen riesigen Lohn zu zahlen oder perfekte Weiterbildungs-Packages anzubieten, sondern darum, realistische Versprechen zu machen. Also nur das zu versprechen, was man auch halten kann.

Beim «Schweizer Human-Relations-Barometer», so der vollständige Name, handelt es sich um ein Kooperationsprojekt der Universitäten Luzern und Zürich und der ETH Zürich. Das Projekt wird seit 2012 mit einem Forschungsinfrastrukturen-Beitrag des Schweizerischen Nationalfonds gefördert; es steht unter der Co-Leitung von Professor Bruno Staffelbach. Die nächste Ausgabe erscheint 2024.

Enya Wolf ist Praktikantin bei der Universitätskommunikation. Das Interview ist im Jahresbericht 2022 der Universität Luzern erschienen.