Wie Unternehmen Talente erkennen und fördern

Eine Studie der Hochschule und Universität Luzern untersucht, wie schweizerische Organisationen Talente identifizieren, fördern und diese an sich binden. Die zweite Projektphase beleuchtet aktuelle Trends, Herausforderungen und künftige Entwicklungen.

Illustration mit mehreren Personaldossiers auf einem Tisch und einer symbolhaften Lupe auf einem Porträtfoto über einem der Dossiers
(Symbolbild: ©istock.com/drogatnev)

Rascher technologischer Wandel, demografische Veränderungen und zunehmend volatile Märkte erschweren es Unternehmen, diejenigen Fach- und Führungskräfte zu gewinnen und zu halten, die sie für ihren Erfolg benötigen. Wirksames Talent-Management (TM) erfordert jedoch beträchtliche Investitionen, sorgfältig gestaltete Prozesse und ein Austarieren der teils unterschiedlichen Erwartungen von Mitarbeitenden, Vorgesetzten, HR-Fachleuten und Führungskräften.

Auskünfte von 245 Organisationen

Beim Bericht «The Talent Challenge» handelt es sich um die zweite Publikation im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojekts «The Talent Recipe». In der ersten Projektphase wurde eine Typologie von Spannungsfeldern in der Talentidentifikation entwickelt und aufgezeigt, wie Unternehmen mit diesen Herausforderungen umgehen. Aufbauend darauf präsentiert «The Talent Challenge» Ergebnisse einer Befragung von 245 Organisationen in der ganzen Schweiz. Die Studie untersucht, wie sich unterschiedliche TM-Ansätze auf kurz- und langfristige Ergebnisse wie die Stärke der Führungskräftenachfolge, Mitarbeiterbindung und organisatorische Leistungsfähigkeit auswirken.

Die teilnehmenden Organisationen wurden ausgewählt, weil sie formalisierte TM-Prozesse eingeführt haben – etwa die systematische Identifikation kritischer Positionen, die Erkennung von Mitarbeitenden mit hohem Potenzial und/oder die gezielte Entwicklung solcher Talente. Im Fokus stehen TM-Praktiken im Zusammenhang mit als besonders wertvoll erachteten Rollen oder Personen innerhalb der Organisation.

Eigene Hinterfragung der Wirksamkeit

Obwohl viele Unternehmen ihre TM-Prozesse erst in den letzten Jahren eingeführt haben – 50 Prozent innerhalb der vergangenen fünf Jahre –, verfolgen die meisten bereits einen klar strategischen Ansatz. Dennoch sind derzeit weniger als 10 Prozent der Mitarbeitenden Teil formaler Talentpools. Die wichtigsten Ziele der TM-Initiativen umfassen den Aufbau künftiger Führungskräfte (82 Prozent) und die Bindung von Schlüsselpersonen (79 Prozent). Allerdings bewerten nur 27 Prozent der Organisationen ihre TM-Praktiken als sehr wirksam. Studienmitautorin Sarah Kost führt dazu aus: «Das überrascht, zumal TM für CEOs und Linienvorgesetzte oft hohe Priorität hat und beträchtliche Ressourcen investiert werden.»

Ein zentrales Problem bleibt die mangelnde Transparenz. Viele Organisationen halten ihre Prozesse und Ergebnisse – insbesondere gegenüber nicht nominierten Mitarbeitenden – bewusst zurück. Kost betont: «Wie transparent man sein will, ist eine heikle Entscheidung. Die Offenlegung kann Motivation und Engagement der Nominierten stärken, aber zugleich Frustration bei jenen auslösen, die nicht in den Talentpool aufgenommen wurden.»

Auch Entzug des Talent-Status

In der Studie werden mehrere wiederkehrende Spannungsfelder identifiziert: den Ausgleich zwischen Flexibilität und Stabilität, die Gewährleistung von Fairness in der Auswahl sowie das Management der Erwartungen der als Talente identifizierten Mitarbeitenden. Bemerkenswert ist, dass 71 Prozent der Unternehmen den Talentstatus bei nachlassender Leistung wieder entziehen – und 46 Prozent nach einer Beförderung. Das deutet darauf hin, dass «Talent» oft nur eine temporäre Zuschreibung ist.

Mitarbeitende mit hohem Potenzial erhalten im Durchschnitt fast doppelt so viele Weiterbildungstage wie andere (9,6 Tage pro Jahr gegenüber 5,1). Dennoch verfügt rund ein Drittel der Unternehmen über keine regelmässigen Feedbackmechanismen für die Talententwicklung, und weniger als die Hälfte nutzt formale Entwicklungspläne. Kost führt dies auf unklare Zuständigkeiten zurück: «Wenn Rollen und Verantwortlichkeiten nicht eindeutig definiert sind, hängt Feedback stark von der jeweiligen Führungskraft ab – die oft weder über die nötigen Kompetenzen noch über ausreichende Anreize verfügt oder aber operative Aufgaben priorisiert.»

Professionelle Handhabung entscheidend

Die fortschreitende Digitalisierung beginnt, das Talent Management spürbar zu verändern. Tools wie Excel, SAP SuccessFactors oder Workday sind weit verbreitet, doch 17 Prozent der Organisationen arbeiten beim TM noch ohne digitale Unterstützung. Zwar erkennen 74 Prozent die Bedeutung kompetenzbasierter Ansätze an, aber nur 17 Prozent haben eine systematische Klassifikation der Kompetenzen entwickelt, und lediglich 12 Prozent haben Kompetenzanalysen durchgeführt. Die Forschenden kommen zum Schluss, dass künftig inklusivere, transparentere und datenbasierte Ansätze entscheidend sein werden. «Der Erfolg hängt von konsequenter Umsetzung ab», so Kost. «Digitale Tools und klarere Definitionen von Kompetenzen und Potenzial können Unternehmen helfen, die zunehmende Komplexität im Talent-Management zu bewältigen.»

Früherer Artikel zu den Befunden aus der ersten Projektphase
 

Hochschulübergreifendes Forschungsprojekt

Das Projekt «The Talent Recipe: Multi-Actor Perspective of Talent Identification in Organisations» wird von der Hochschule Luzern (Lead) in Zusammenarbeit mit der Universität Luzern durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert. Die Projektleitung obliegt Dr. Anna Sender, Professorin an der «Hochschule Luzern – Wirtschaft» und Mitglied des Center for Human Resource Management (CEHRM) der Universität Luzern. Zum Forschungsteam gehören Sarah Kost, Doktorandin an der Universität Luzern unter der Betreuung von Prof. Dr. Bruno Staffelbach und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern, Marina Pletscher, wissenschaftliche Mitarbeiterin am CEHRM, sowie Dr. Lea Rutishauser, Dozentin am CEHRM. Das Projekt läuft bis Ende Februar 2026.

Weitere Infos und Download der Studienberichte (Englisch)