Hans-Werner Sinn: staatliche Corona-Unterstützung problematisch hoch

In einem Video-Interview im Rahmen der Reichmuth & Co Lectures äussert sich der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn pointiert zur aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte rund um die Corona-Krise, dem Brexit sowie zum Rahmenabkommen EU-Schweiz.

Die Frage nach dem Umfang staatlicher Corona-Unterstützungsbeiträge und dem Umgang mit der damit verbundenen Belastung der öffentlichen Finanzen gehört derzeit zu den prägenden Themen der wirtschaftspolitischen Debatte. Professor Hans-Werner Sinn spricht sich in dem am 16. Juni 2020 aufgezeichneten Video klar für Rettungsstrategien und Unterstützungsmassnahmen für gesunde und funktionierende Betriebe aus. Problematisch ist laut dem Ökonomen jedoch die Höhe der Unterstützungsbeiträge, die sich in Deutschland zusammen mit dem beschlossenen Konjunkturpaket in einer Grössenordnung von 600 Milliarden Euro bewegen, was ungefähr 20% des Bruttoinlandprodukts ausmacht. Belastungen der öffentlichen Finanzen in dieser Höhe kommen für Sinn einem Erdrutsch gleich.

Einen grossen Vorteil in der Bekämpfung des Coronavirus sieht Hans-Werner Sinn in den föderalistischen Strukturen, wie wir sie in Deutschland und in der Schweiz vorfinden. Die dadurch vorhandenen lokalen Einrichtungen und Zuständigkeitsbereiche vereinfachten es, dort stärkere Massnahmen umzusetzen, wo das Virus verstärkt auftritt. Wenn sich die Massnahmen für ein gesamtes Land an denjenigen Gebieten orientieren, welche am meisten betroffen sind, könne dies für die Wirtschaft fatale Folgen haben. Für die Volkswirtschaften sei es von grosser Wichtigkeit, dass in denjenigen Gebieten mit niedrigen Fallzahlen weiterhin signifikante wirtschaftliche Wertschöpfung stattfinden kann.

In Bezug auf das geplante Rahmenabkommen mit der EU rät Sinn der Schweiz erstmal abzuwarten, wie sich der Brexit entwickelt, da dies die Verhandlungsposition der Schweiz stärken kann. Dass der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bei den Verhandlungen im Streitfall als Schiedsinstanz zum Zug kommen soll, sieht Hans-Werner Sinn kritisch - er würde dies im Fall der Schweiz keinesfalls akzeptieren. Betreffend Brexit betont der Ökonom die Wichtigkeit eines neu aufgesetzten Handelsabkommens der EU mit Grossbritannien, da die deutsche und die EU-Wirtschaft eng mit der britischen verzahnt sind. Damit ein solches Abkommen realisiert werden kann, brauche es jedoch ein substanzielles Entgegenkommen der EU.

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Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn ist ehemaliger Präsident des Ifo Instituts München und ständiger Gastprofessor an der Universität Luzern.