Schlaf, Schritte, Puls: Mit Smartwatches und sonstigen Trackern verbundene Apps ermöglichen die Auswertung und Darstellung unzähliger Körperdaten. Dies führt zu einem anderen Blick auf die Gesundheit.

Person, die auf ihre Smartwatch drückt; Naheinstellung auf Hände/Handgelenk/Arme
(Bild: ©iStock.com/Boyloso)

«Nehme ich den Bus oder gehe ich zu Fuss? Was sagt denn meine Uhr? Erst 3000 Schritte … Dann sollte ich wohl effektiv laufen.» Immer mehr Menschen nutzen Gesundheits- und Fitnesstracker im Alltag, um ihre Gesundheit zu kontrollieren, zu optimieren oder zu reflektieren. Digitale Gadgets wie Uhren, Ringe oder Armbänder helfen dabei, persönliche Gesundheitsdaten zu erfassen und in einer Gesundheits-App übersichtlich zusammenzuführen. Dabei kommt es vor, dass Personen ihren Alltag aufgrund der Gesundheits- App umgestalten und sich mehr bewegen, ihre Schlafgewohnheiten verändern oder sich vornehmen, immer zur gleichen Uhrzeit ins Bett zu gehen. Doch gleichzeitig können die Apps in den vielfältigen Lebenswelten der Menschen an Grenzen stossen. Wenn die Smartwatch etwa mitten in einem Meeting am Handgelenk vibriert und daran erinnert aufzustehen, geht dies an der Lebenspraxis vorbei.

Diese Beispiele verdeutlichen die Schwierigkeit, die Komplexität und Vielfalt des Alltags standardisiert zu erfassen und darauf aufbauend passende individuelle Gesundheitsempfehlungen und Handlungsaufforderungen zu geben. Was soll und kann man eigentlich messen, wenn man etwas über die eigene Gesundheit wissen möchte? Was ist digitale Gesundheit überhaupt, und wie beeinflusst sie den persönlichen und gesellschaftlichen Umgang mit Gesundheit? Oder anders ausgedrückt: Wie lässt sich die Vielfalt von Gesundheitskonzepten über eine Gesundheits-App abbilden?

Grosse Freiheiten bei Entwicklung

Cover des von Valeska Cappel mitherausgegebenen Sammelbandes (Springer, Wiesbaden 2022)

Um diese und weitere Fragen geht es in dem von der Autorin mitherausgegebenen, auch open access abrufbaren Sammelband «Gesundheit – Konventionen – Digitalisierung». Die daran Beteiligten vereint die theoretische Perspektive, dass Gesundheit nicht etwas fest Definiertes und problemlos Messbares ist, sondern sich je nach Situation und Anwendungsfeld unterscheiden kann. Beispielsweise stehen Entwicklerinnen und Entwickler von Gesundheits-Apps immer vor der Frage, was genau sie eigentlich messen wollen und warum. Solange eine Gesundheits-App nicht als Medizinprodukt deklariert ist, steht es ihnen dabei grundsätzlich frei, ob sie sich auf medizinisches Fachwissen beziehen, auf Volksweisheiten und Alltagstheorien oder auch ganz einfach nur messen, was technisch möglich ist. Je nachdem, wofür sie sich entscheiden, rechtfertigen sie ihre Programmierungen auch anhand unterschiedlicher moralischer Prinzipien.

Am Ende der Entwicklung stehen dann die Nutzenden, die bestimmte Eigenschaften der App adaptieren oder transformieren müssen, sodass sie zu ihrem Alltag passen. Aus dieser pragmatischen Forschungsperspektive sind dabei weder die Entscheidungen der App-Entwickelnden als richtig oder falsch zu bewerten noch ist es das Ziel, eine nutzerfreundliche Gesundheits-App zu entwickeln. Vielmehr liegt der Fokus darauf zu verstehen, welche Perspektive auf Gesundheit sich in einer spezifischen Situation etablieren und stabilisieren kann und wie dies geschieht. Wie ist es eigentlich möglich, dass Menschen das Messen ihrer Schritte als sinnvolle Gesundheitskategorie verstehen?

Einfluss auf Entscheidungen

Gerade im Zuge der Digitalisierungsprozesse im Gesundheitsfeld ändern sich kontinuierlich die Vorstellungen darüber, was unter Gesundheit verstanden werden kann. Mit meiner Forschung zu präventiven Gesundheits-Apps ist es mir ein Anliegen, systematische Erklärungen anzubieten, wie sich neue Praktiken rund um Gesundheitsvorstellungen und -handlungen etablieren und von den Menschen als «normal» angesehen werden oder auch in die Kritik geraten können. Anhand dessen lässt sich verstehen, welche moralischen Prinzipien Menschen heranziehen, wenn sie Gesundheitsentscheidungen treffen oder in institutionellen Kontexten mit bestimmten Vorstellungen von Gesundheit konfrontiert werden.

Mit Blick auf Gesundheits-Apps, die nicht als Medizinprodukt deklariert sind, lässt sich sagen, dass diese mit einem Gesundheitsverständnis verknüpft werden, bei dem davon ausgegangen wird, dass fast alle Handlungen des Alltags zu einem Teil der eigenen Gesundheit werden können und dass man diese auch messen kann. Mit der Messung des eigenen Schlafs, der Schritte oder wie oft man am Tag aufgestanden ist, wird es so jedoch auch möglich, diese Handlungen zu bewerten und zu kritisieren. Einerseits auf einer institutionellen Ebene, wenn Unternehmen oder Krankenkassen mit diesen Gesundheitsdaten weiterarbeiten, andererseits auf einer privaten Ebene, wenn man sich aufgrund «schlechter» Zahlen unter Druck setzt oder im Alltag rechtfertigen muss, dass man nicht laufen, sondern lieber mit dem Bus nach Hause fahren möchte.

Valeska Cappel

Doktorandin im von Professor Rainer Diaz-Bone geleiteten Nationalfonds-Projekt «Digitale Gesundheitsklassifikationen in Apps»
unilu.ch/valeska-cappel