Das Wort "Tatmacht", die Buchstaben ins Bild eines Tatorts mit Polizeiabsperrung gesetzt. (Bild: istock.com/Alexei Cruglicov)
(Bild: istock.com/Alexei Cruglicov; Bearbeitung: Maurus Bucher)

Dem Wortlaut nach verbieten die meisten Tatbestände des Strafgesetzbuches bestimmte aktive Tätigkeiten. Vergiftet eine Mutter ihr Kind, so ist unschwer erkennbar, dass sie «einen Menschen tötet». Straftaten können aber auch durch Unterlassen begangen werden, wenn jemand trotz einer besonderen Pflicht zum Handeln untätig bleibt. Zu denken ist etwa an eine Mutter, die untätig ihr Kind ertrinken lässt. Untätigkeit kann aber nicht unbesehen der realen Handlungsmöglichkeiten strafbar sein. Von einer Nichtschwimmerin darf nicht verlangt werden, dass sie ihr Kind aus einem reissenden Strom rettet. Hier kommt nun der Begriff der Tatmacht ins Spiel: Er bezeichnet das Erfordernis, dass die beschuldigte Person individuell in der Lage gewesen sein muss, die zur Abwendung des schädigenden Ereignisses gebotene Handlung tatsächlich vorzunehmen.

Nicolas Leu
Wissenschaftlicher Assistent an den Assistenzprofessuren für Strafrecht und Strafprozessrecht von Anna Coninx und Stefan Maeder