«Wie geht’s?» – «Gut, und dir?» – «Danke, auch.» Statt zu erzählen, wie es wirklich geht, bleibt es meist bei nichtssagenden Antworten. Die Frage ist ja sowieso nur eine Floskel. Schade, findet Campus-Blogger Valerio Moreno.

"Geh.fühle!" steht mit Kreide auf dem Boden geschrieben, darunter sind zwei Füsse von oben fotografiert.
(Bild: © David-W-/photocase.de)

In einem Philosophieseminar lasen wir einen Text, der dafür plädiert, Gefühlen einen Platz im «guten Denken» zu geben. Gefühle sollen als ebenso starke Argumente wie Kohärenz gelten. Wenn also etwa eine Geschichte erzählt wird und alle ihre Teile kohärent sind, also den anerkannten Fakten entsprechen, aber das Gefühl einem sagt, dass etwas nicht stimmt, dann sollte man diesem Gefühl nachgehen. Dafür müssen das Erkennen von und der Umgang mit Gefühlen gelernt werden, analog dem Lernen von kohärentem Denken.

Die Autorin bezieht sich zwar auf nichtkomplexe Gefühle wie spontane Aversion oder Attraktion, aber die Thematik stimmte mich trotzdem nachdenklich. Wissen wir überhaupt, wie es uns geht, wenn uns jemand fragt? Im Grunde schon, doch oft bringen wir diese Gefühle nicht zur Sprache. Wir fertigen andere und letztlich auch uns selbst rasch ab, indem wir meist behaupten, es ginge uns gut. Aber was heisst das überhaupt, es geht mir «gut»?

«Gut»

Im Vergleich zu Personen in anderen Ländern, wo Krieg und Not herrschen, geht es den meisten von uns, gerade im privilegierten Umfeld einer Uni, natürlich sehr gut. Trotzdem haben auch wir Probleme: Simone leidet unter Rückenschmerzen, bei Patrick streiten die Nachbarn bis spätabends, Milena verspürt bei nichts mehr Freude, und bei Sandro beginnen nach zwei Seiten Lesen die Gedanken zu kreisen. Fragt man die vier beim Begrüssen nach ihrem Befinden, werden wohl alle «gut» sagen. Die einen vielleicht überzeugter als die anderen. Das ist verständlich, man möchte ja nicht jammern und hat eh meistens keine Zeit, die ganze Geschichte zu erzählen. Auch kennt man viele Leute, auch an einer kleinen Universität wie der Uni Luzern, zu wenig gut, um gleich persönlich zu werden. Dabei wären kleine Dinge einfach gesagt. Zum Beispiel, dass Simone ständig fehlt, weil sie Termine im Spital hat. Und Patricks Mate-Kaffee-Kombo und die miese Laune vor dem 8-Uhr-Seminar leuchten auch ein, wenn man von seinen Nachbarn weiss.

Dabei wären kleine Dinge einfach gesagt.
Valerio Moreno

Bei Milena und Sandro wird es aber etwas schwieriger. Doch wenn sie die Frage ehrlich beantworten, ist schon viel geholfen. Nicht nur ihnen selbst, sondern auch der fragenden Person. Denn ihr geht es meistens auch nicht einfach «gut». Das braucht aber auch ein gewisses Gespür, denn nicht alle möchten hören, wie es denn tatsächlich geht. Dennoch versuche ich, ehrlich zu antworten, wenn man mich nach meinem Gemütszustand fragt. Nicht immer, aus den oben genannten Gründen. Doch wenn Zeit da ist und ich die Person ein Stück weit kenne und ihr vertraue, dann erzähle ich, wie ich mich fühle: Dass ich gerade wieder viel zu müde bin, weil ich bis um drei Uhr nachts der morgendlichen Deadline entgegentippte. Dass ich dadurch wieder in einen Teufelskreis von Müdigkeit, Stress und Ablenkung gerate, in dem ich mich regelmässig wiederfinde. So erzählt mir denn auch Milena, dass sie eine Leere verspürt, dass sie zwar super Noten schreibt, jedoch keine schöne Zukunft vor Augen hat. Und Sandro erzählt mir, dass er genauso Mühe beim Erledigen von Aufgaben hat wie ich. Elena im Gegenzug berichtet uns, dass sie keinerlei Mühe damit hat, wissenschaftliche Texte zu lesen. Und Jordan, der lieber nicht erzählt, wie es ihm geht, hört trotzdem, dass er mit seinen Sorgen nicht allein ist.

Weg vom Stigma

Es muss natürlich niemand erzählen, der nicht will. Doch durch all diese Gespräche, die aus der Floskel eine ehrliche Frage machen, habe ich zwei Dinge gelernt. Erstens: Den meisten Personen geht es nicht uneingeschränkt «gut». Zweitens: Hilfe holen hingegen ist ganz gut. Die Universität Luzern bietet zum Beispiel zusammen mit den Hochschulen psychologische Beratungen an.

Während vor ein paar Jahren noch ein starkes Stigma rund um psychische Probleme herrschte, scheint dieses langsam zu verschwinden. Vermutlich, weil wir endlich offener darüber reden. Und doch ist ein gewisses Unbehagen da, wenn mal jemand erzählt, dass es ihm nicht gut geht. Was entgegnet man Milena, wenn sie erzählt, dass sie permanent unglücklich ist? Wie soll man Sandro erklären, dass er doch einfach stillsitzen und den Text lesen soll? Oftmals übersteigt es unsere Kompetenzen, und wir können nur auf dem aufbauen, was wir selbst erlebt haben und was unsere Mitmenschen uns erzählen. Vor allem aber können wir zuhören. Und darauf hinweisen, dass Hilfeholen etwas Gutes ist. Etwas richtig Gutes.

Valerio Moreno

Bachelorstudent der Kulturwissenschaften mit Hauptfach Soziologie