Als Tessinerin tauchte Tecla Cassina mit ihrem Jus-Studium in Luzern nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich in eine neue Welt ein. Heute lebt und arbeitet sie glücklich in der Deutschschweiz.

Tecla Cassina an ihrem Arbeitsplatz in Zürich. (Bild: Flurin Bertschinger)

Tecla Cassina, wie gut war Ihr Deutsch vor Studienstart?

Tecla Cassina: Nicht sehr gut, ich mache ein Beispiel: Im Staatsrecht waren 40 Seiten bis zur nächsten Vorlesung vorzubereiten. Als ich nach dem Unterricht zu lesen begann, war ich um Mitternacht erst auf Seite 6 angelangt …

Den Wechsel vom Gymnasium an die Uni erscheint schwierig genug. Was braucht es, um die zusätzliche Sprachhürde zu meistern?

Ich habe mich ganz bewusst für ein Studium in der Deutschschweiz und gegen die einfachere Variante in der Romandie entschieden. Somit war mein Ziel klar. Dieses erreichte ich unter anderem durch viele Kontakte zu Mitstudierenden. Zu meinem Glück besteht an der Luzerner Jus-Fakultät die Möglichkeit, die Einführungsprüfung nach dem ersten Semester auf Italienisch zu absolvieren. Das war fachlich und emotional ein sehr hilfreicher Einstieg.

Sind Absolvierende aus dem Tessin in der Deutschschweiz denn gefragt?

Die Praktikumssuche beginnt allgemein sehr früh, noch während des Studiums. Das gilt aber nicht nur für die Tessiner Absolvierenden, sondern für alle. So hatte ich rasch einen Praktikumsplatz in Luzern gesichert.

Sie haben das Tessiner Anwaltspatent abgelegt. Warum arbeiten Sie heute in Zürich?

Ich wollte nach dem Studium quasi als «Erwachsene» unbedingt einmal in meiner Heimat leben und arbeiten. Für die Prüfung im Kanton Tessin musste ich viele Fachbegriffe sowie den Schreibstil im Italienischen dazulernen. Das war herausfordernd und gewinnbringend. Danach folgte ich insbesondere der Liebe in die Deutschschweiz …

Erhielten Sie in Zürich auf Anhieb die gewünschte Stelle?

Nach einiger Zeit auf Reisen in Asien erwartete ich eine längere Phase der Jobsuche. Doch alles ging wider Erwarten sehr schnell. Ich war wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zudem erwies es sich bestimmt nicht als Nachteil, nebst dem Fachlichen mehrere Sprachen zu beherrschen.

Wie wichtig ist ein gutes Netzwerk? Besteht Ihr heutiges Netzwerk auch aus Studienkontakten?

Bei meiner Jobsuche konnte ich nicht direkt auf Studienkontakte zurückgreifen. Die meisten waren ja in einer ähnlichen Situation wie ich. Für meinen jetzigen Arbeitgeber spielte keine Rolle, ob ich einen Zürcher Studienabschluss habe. Die Uni Luzern ist mittlerweile etabliert und anerkannt. An der letzten Alumni Vereinsversammlung zeigte sich allerdings, wie hilfreich gute Kontakte sein können. Ich sah zahlreiche bekannte Gesichter und konnte mich super austauschen. Im Übrigen wurde erst kürzlich ein Luzerner Absolvent Partner in «meiner» Kanzlei.

Können Sie den Studierenden einige Tipps für Studium und Jobsuche geben?

Ich habe im Studium gelernt, strukturiert zu denken und komplexe Aufgaben logisch anzugehen. Nun bin ich in der Lage, mit dem notwendigen Abstand Probleme zu analysieren und zu lösen. Das ist nicht nur beruflich und privat von Vorteil, sondern bestätigte mir auch meine Haltung, Überraschungen zuzulassen und nicht alles zu planen. Es braucht eine gesunde Portion Gelassenheit, um beruflich bestehen zu können und seine Ziele zu erreichen. Vieles passiert unerwartet und erfordert spontane Reaktionen. Darauf kann man sich persönlich vorbereiten, wozu für mich ganz klar auch mein Erasmus-Semester in London zählte.

Zur Person

Tecla Cassina erhielt 2015 den Master der Rechtswissenschaft an der Universität Luzern. Nach Anwaltspraktika in Luzern und im Tessin sowie einem Gerichtspraktikum in Lugano ist sie seit 2017 zugelassene Rechtsanwältin. Im April 2018 startete sie bei der Barandun AG, einer Wirtschaftsanwalts- und Steuerberatungskanzlei mit Büros in Zürich und Zug. (ma.)

Matthias Angst
Präsident der ALUMNI Organisation der Universität Luzern, arbeitet als Rektor der Kantonsschule Wohlen AG