Martin Baumann wird Ende Januar 2026 emeritiert. Der Professor für Religionswissenschaft hat mit seinen Arbeiten zu Religion und Migration sowie dem Langzeitprojekt zur Religionsvielfalt im Kanton Luzern zentrale Impulse gesetzt.

Vereinspräsident Nadarasalingam Sathasivam (rechts) und ein Priester (Mitte) geben Martin Baumann Gelegenheit für ein Grusswort an die Festgemeinde, bevor sie ihm als Ehrengast ein blaues Tuch um die Schultern legen. Das Foto entstand im September 2019 anlässlich der Einweihung des Eingangsturmes (Gopuram) des Hindutempels in Trimbach SO. (Bild: Andreas Tunger-Zanetti/ZRF)

«Geboren 1960 in Swakopmund», hiess es lange in Martin Baumanns Lebenslauf auf der Webseite der Universität Luzern. Weil in Europa kaum jemand den exotisch klingenden Ortsnamen Swakopmund lokalisieren kann, hatte der dort Geborene freundlicherweise hinzugesetzt: «Namibia». Als Mitarbeiter erfährt man dann irgendwann, dass die Arbeitsstelle des Vaters Martin Baumanns Eltern für etliche Jahre dorthin geführt hatte. Nun fügt sich vieles zueinander: der selbstverständliche Umgang mit anderen Kulturen und Sprachen, mit Menschen unterschiedlichsten Hintergrunds. Inhaltlich gilt Martin Baumanns Interesse der Religion – als Beobachter und als einer, der verstehen will.

Also studiert er Religionswissenschaft, Philosophie und Anglistik. Der akademische Weg beginnt im hessischen Marburg und setzt sich fort in London, Berlin, Hannover, Leipzig und Bremen. Immer klarer kristallisiert sich sein lebenslanges Forschungsinteresse heraus: Wie verändert sich Religion, wenn Menschen sie durch Migration in eine neue Umgebung mitnehmen? Was passiert, wenn Religion fern vom Entstehungskontext neue Gläubige findet? Diesen Fragen geht Martin Baumann fortan nach, in seiner Dissertation am Beispiel «Deutsche Buddhisten», in seiner Habilitation «Alte Götter in neuer Heimat» am Beispiel von Hindus auf Trinidad. 

Immer wieder neue Forschungsfragen

Ein neues Forschungsfeld für diese Fragen eröffnet sich ihm, als er 2001 die Professur für Religionswissenschaft an der Universität Luzern übernimmt. Das Fachgebiet war 1993 aus der Theologie ausgegliedert worden und gehörte zu den Gründungsdisziplinen der Fakultät für Geisteswissenschaften, der späteren Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Schon 2002 startet Martin Baumann das Projekt «Religionsvielfalt im Kanton Luzern», das bis heute alle religiösen Gemeinschaften im Kanton dokumentiert. (Vor wenigen Wochen nun wurde diese Langzeitunternehmung mit dem universitären «Open Science Award» ausgezeichnet.) Die früheren Leitfragen führen zu neuen: Was macht die zweite, dritte, vierte Generation aus der religiösen Praxis ihrer übergesiedelten Eltern und Grosseltern? Wie konstituieren sich Gemeinschaften in einem völlig neuen Umfeld? Wie gehen sie mit den Gegebenheiten in Recht, Politik und Medien um? Wie verändern sich ihre Perspektiven auf die Gesellschaft und auf die eigene Rolle darin? Welche Glaubensinhalte und Erfahrungen fliessen dabei ein? 

Immer wieder schickt Martin Baumann Studierende im Rahmen von Lehrveranstaltungen oder schriftlichen Arbeiten zu bekannten und unbekannten Gemeinschaften, leitet Exkursionen für Interessierte und widmet sich selbst der Feldforschung bei zahllosen Besuchen in Pagoden und Tempeln, Kirchen und Moscheen. Der Ertrag: Beschreibungen, die gerade durch ständiges Aktualisieren Entwicklungen erst sichtbar machen und tiefergehende Analysen wie etwa im Einführungswerk «Religion und Migration» erlauben.

Wichtig war Martin Baumann dabei stets, die Erkenntnisse auch ausserhalb der akademischen Zunft zu teilen: mit Fachleuten aus Schulen oder sozialen Berufen ebenso wie mit der breiteren Öffentlichkeit. Dies erreicht er bereits 2004 durch die Religionslandkarte (im Druck und schon damals im Internet) und Ausstellungen, immer wieder aber auch durch Ringvorlesungen, Medieninterviews und kleine Publikationen. 2007 gibt er zusammen mit seinem Lausanner Kollegen Jörg Stolz den Band «Eine Schweiz – viele Religionen. Risiken und Chancen des Zusammenlebens» heraus, der zu einem Referenzwerk geworden ist. Später folgen Auftragsstudien, mit denen er als Leiter eines Projektteams die Religionsvielfalt anderer Kantone erschliesst und zuhanden von Politik und Verwaltung Perspektiven eines sinnvollen behördlichen Umgangs damit aufzeigt.

Geduldig legt Martin Baumann stets aufs Neue dar, dass sein Fach eben gerade religiös ungebunden an den Gegenstand herangehe.

Religionswissenschaft? Martin Baumann ist es gewohnt, sein Fach erklären zu müssen. Nein, das ist nicht Theologie. Geduldig legt er stets aufs Neue dar, dass sein Fach eben gerade religiös ungebunden an den Gegenstand herangehe, eine persönliche religiöse Überzeugung – sofern vorhanden – auf jeden Fall so weit als möglich draussen bleiben müsse. Dass man die verschiedensten religiösen Traditionen in den Blick nehmen solle, in Vergangenheit und Gegenwart. Dass man, um Kurzschlüsse zu vermeiden, den Kontext beachten müsse, insbesondere den sozialen und politischen. Diesen Grundsätzen lebt er nach in seinen Publikationen zu den verschiedensten Aspekten des Buddhismus und der Hindu-Traditionen – Dutzende von Aufsätzen, Handbuchkapiteln usw. zeugen davon, ebenso die Gründung und Herausgabe des «Journal of Global Buddhism» unter seiner Leitung.

Aus all dem ergibt sich eine weitere Überzeugung Martin Baumanns: Eine so verstandene Religionswissenschaft hat auch zu aktuellen Trends und bisweilen zur Tagespolitik etwas zu sagen. Gewachsen war diese Überzeugung während seinen Jahren an deutschen Universitäten, als sich sein Lehrer Hubert Seiwert in der «Sektendebatte» für eine differenzierte Betrachtung auch kleiner, vermeintlich abwegiger Gruppierungen exponiert hatte. Konkret hatte diese Debatte Martin Baumann und sechs weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter im März 1989 veranlasst, in Marburg den Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienst e. V. (REMID) zu gründen, bis heute eine unverzichtbare unparteiische Adresse.

Zuerst Dekan, dann Prorektor

Auch in der universitären Selbstverwaltung war auf Martin Baumann Verlass: 2007 bis 2009 als Dekan der Fakultät, 2010 bis 2018 als Prorektor für Forschung und Mitglied des Stiftungsrates des Schweizerischen Nationalfonds, wiederholt als engagierter Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Religionswissenschaft.

Darüber, wie er so konstant produktiv akademisch arbeiten und dabei umgänglich bleiben konnte, spricht Martin Baumann selten. Es ist wohl eine Mischung aus intellektueller Neugier, Genauigkeit, täglichen Spaziergängen mit dem Familienhund und einer Gelassenheit und inneren Unabhängigkeit, für die der Buddhismus das Wort Anupadana kennt: nicht anhaften. Mit dieser Haltung wird ihm auch der Übergang in die Pensionierung gelingen. Als Lehr- und Forschungsbeauftragter bleibt Martin Baumann der Universität übrigens noch in einem reduzierten Pensum bis Ende März 2027 erhalten. Er wird in dieser Zeit noch die verschiedenen von ihm geleiteten Forschungsprojekte zu Ende führen.
 

Am 10. Dezember hält Martin Baumann gemeinsam mit Andreas Tunger-Zanetti die öffentliche Abschiedsvorlesung «Zur Relevanz von Religion und ihrer Erforschung: Religionswissenschaftliche Expertise in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen». Dies im Rahmen der Ringvorlesung «Ist Religion (noch) relevant? Rückgang, Wandel und neue Formen von Religion in der Gegenwart» des Religionswissenschaftlichen Seminars und des Zentrums Religionsforschung. Mehr Infos
 

Foto Andreas Tunger

Andreas Tunger-Zanetti

Forschungsmitarbeiter am Religionswissenschaftlichen Seminar und Geschäftsführer des Zentrums Religionsforschung; Dr.

www.unilu.ch/andreas-tunger