In den Sommermonaten treten viele Heiratswillige wieder vor den Traualtar. Doch aufgepasst: Gerade bei Doppelverdiener-Ehepaaren kommt die «Heiratsstrafe» unweigerlich zum Tragen. Abhilfe würde die Individualbesteuerung schaffen.

Das heutige System setzt negative Erwerbsanreize für verheiratete Mütter: Steueraufwand und die Auslagen für eine ausserfamiliäre Betreuung können das zusätzliche Einkommen nahezu konsumieren. (Symbolbild; ©istock.com/urbazon)

Ehegatten bilden eine steuerliche Veranlagungsgemeinschaft, ihre Einkommen und Vermögen werden addiert und sind in einer gemeinsamen Steuererklärung zu deklarieren. Das führt zu einem Progressionseffekt. Für das Ausmass dieser «Heiratsstrafe» spielt die Einkommensaufteilung zwischen den Eheleuten eine bedeutende Rolle: Je gleichmässiger sie ausfällt, desto eher resultiert eine steuerliche Benachteiligung gegenüber einem Konkubinatspaar mit gleichem Gesamteinkommen. Zudem nimmt die Ungleichbehandlung mit steigender Einkommenshöhe zu. Dieses System hat nicht nur zur Folge, dass Ehepaare gegenüber Konkubinatspaaren benachteiligt werden, jedenfalls wenn sie sich nicht für eine traditionelle Rollenverteilung (Alleinverdienermodell) entscheiden. Es führt auch dazu, dass Zweitverdienende steuerlich bestraft werden, insbesondere wenn sie deutlich weniger als der Ehepartner verdienen. Das ist in aller Regel immer noch die Frau.

Die Heiratsstrafe ist zugleich eine «Zweitverdienerinnenstrafe».

Das heutige System setzt folglich negative Erwerbsanreize für verheiratete Mütter mit guter Ausbildung und damit für jene weiblichen Fachkräfte, die auf dem Arbeitsmarkt derzeit fehlen. Bei verheirateten Frauen, die ihre Kinder fremdbetreuen lassen, können der Steueraufwand und die Auslagen für eine ausserfamiliäre Betreuung das zusätzliche Einkommen nahezu konsumieren. Und nicht selten ist es finanziell attraktiver, wenn Zweitverdienende in einem kleinen statt hohen Pensum arbeiten. Die Heiratsstrafe ist somit zugleich eine «Zweitverdienerinnenstrafe». Dass das Steuerrecht die wirtschaftliche Eigenständigkeit von verheirateten Frauen untergräbt, ist auch vor dem Hintergrund der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichts in Unterhaltssachen bedenklich: Frauen können sich auch nach langer Ehe mit Kindern nicht mehr darauf verlassen, nach einer Scheidung finanziell abgesichert zu sein.

Verschiedene Modelle

Im Gegensatz zum Bund haben die Kantone Massnahmen zur Beseitigung der steuerlichen Benachteiligung von Ehepaaren ergriffen: Einige Kantone sehen Doppeltarife vor, die Mehrheit hat sich für das sogenannte «Splittingsystem» entschieden. Hier werden die addierten Einkünfte der Ehegatten für die Bestimmung des Steuersatzes durch 2 oder einen anderen Divisor geteilt. Die Kantone Obwalden und Uri kennen proportionale Tarife, womit ein Progressionseffekt bei Eheschluss ausbleibt.

Um den Unzulänglichkeiten der Familienbesteuerung beizukommen, werden derzeit verschiedene Reformansätze diskutiert, die auf Bundesebene und je nachdem auch auf kantonaler Ebene umzusetzen sind. Das bereits erwähnte Splittingmodell hat der Bundesrat vor Kurzem verworfen. Er begründet dies damit, dass dieses nicht nur teuer, sondern in der Tendenz auch auf das Alleinernährermodell ausgerichtet sei und nicht ausreichend positive Erwerbsanreize für Zweitverdienende setzen würde. Letzteres beruht auf dem Umstand, dass für Zweitverdienende die Steuerprogression nicht bei null beginnt, sondern auf dem Niveau des Erstverdienenden.

Mit einer Individualbesteuerung liesse sich ein modernes, zivilstands- und genderneutrales Besteuerungsmodell umsetzen.

Ein weiterer Reformvorschlag besteht in der Einführung der alternativen Steuerberechnung auf Stufe Bund, bei welcher es  zwar bei der gemeinsamen Veranlagung bleibt, aber parallel eine alternative Berechnung durchgeführt wird, wie wenn die Ehepartner separat besteuert würden. Geschuldet ist der tiefere Steuerbetrag. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis fällt hier zwar günstiger aus als beim Vollsplitting, insgesamt handelt es sich aber immer noch um einen teuren Ansatz, der zudem – da die alternative Berechnung nur bei Ehepaaren erfolgt – nicht zivilstandsneutral ist.

Volksinitiative lanciert

Aus gleichstellungsrechtlicher Perspektive erscheint die Individualbesteuerung (jede Person wird unabhängig von ihrem Zivilstand besteuert und individuell veranlagt) den anderen Reformideen überlegen. Auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis fällt neusten Berechnungen zufolge im Vergleich zu den anderen Vorschlägen positiver aus. In der Literatur und Politik (siehe dazu die im März lancierte Volksinitiative) wird daher der Ruf nach einem Wechsel zur Individualbesteuerung immer lauter, auch wenn der Bundesrat aufgrund des hohen Umsetzungsaufwands für Steuerpflichtige und Kantone davon abrät. Das System der Familienbesteuerung zuverbessern, ist dem Gesetzgeber verfassungs- und völkerrechtlich aufgetragen – das nicht erst seit gestern, sondern schon seit gut 40 Jahren. Dass der Zivilstand einen Einfluss auf die Besteuerung hat, erscheint auch aus dem Blickwinkel der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verfehlt. Es fragt sich, ob die Zeit nicht langsam reif für einen konsequenten Schritt hin zur Individualbesteuerung wäre. Damit liesse sich ein modernes, zivilstands- und genderneutrales Besteuerungsmodell umsetzen. Solange der Befreiungsschlag aber nicht gelingt, sei Frau aus steuerlicher Warte vor allem eines geraten: Drum prüfe ewig, wer sich bindet!

Zusammenfassung des Beitrags zum Thema von Andrea Opel in der «Steuer Revue» 3/2021, deren Chefredaktorin sie ist; Sonderausgabe anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums des Frauenstimmrechts

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Andrea Opel

Professorin für Steuerrecht
unilu.ch/andrea-opel

Marianne von Orelli

Wissenschaftliche Oberassistentin
unilu.ch/marianne-vonorelli