Der 10. Oktober ist der internationale Tag der psychischen Gesundheit. Ein aktuelles Forschungsprojekt an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften und Medizin zeigt auf, wie effektive Therapie von Depressionen im Globalen Süden aussehen kann.

Im Durchschnitt ist in ressourcenarmen Ländern eine Fachärztin oder ein Facharzt für 2 Millionen Einwohner zuständig, in Industriestaaten hingegen für 11'500 Einwohnerinnen und Einwohner. Somit kann eine Lösung nicht einzig in der Erhöhung der Ausbildungsplätze für Fachpersonal gesucht werden, denn bis diese bereitgestellt werden können, vergehen Jahrzehnte. Behandlung muss deshalb unter adäquate Supervision delegiert werden.

Der «Friendship Bench» in Zimbabwe illustriert dies beispielhaft. «Community Grandmothers» bieten lösungsorientierte Kurztherapien für Betroffene von Depression an. Angelehnt an die afrikanische Kultur, in der wichtige Dinge auf Bänken an einem zentralen Ort besprochen werden, findet die Therapie auf Bänken auf dem Areal der Grundversorgungszentren statt. Diese werden von Pflegefachfrauen mit einer dreijährigen Grundausbildung ohne psychiatrische Zusatzausbildung geführt. Die Behandlung wird also zu den Betroffenen gebracht und an Laientherapeutinnen delegiert. Die Resultate sprechen für sich: eine relevante Verbesserung von Depression und Lebensqualität der Betroffenen.

Zugang durch Ausbildung erhöhen

Monika Müller, Assistenzprofessorin für Psychiatrie und Public Mental Health, untersucht eine Kombinationstherapie aus dem «Friendship Bench» und medikamentöser Therapie für schwere Depression.  «Wir folgen in unserem Forschungsprojekt ganz der Logik des ‹Friendship Bench› und bilden das Pflegepersonal der Gesundheitszentren in der Verschreibung von Antidepressiva aus.» Neben dem Vorteil, dass so der Zugang zu fachgerechter Behandlung erhöht werde, sei dieses Versorgungsmodell kostengünstig. Dies spiele für dessen nachhaltige Implementierung durch die Regierung eine wichtige Rolle. «In Zimbabwe gibt die öffentliche Hand nur rund 0.25 US-Dollar pro Person und Jahr für alle psychischen Erkrankungen aus», so Müller. «Dies entspreche 1 Prozent der gesamten staatlichen Gesundheitsausgaben. «Allein diese Zahlen zeigen: Die Entwicklung hochspezialisierter und teurer Versorgungsmodelle wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt.»

«Wir bilden das Pflegepersonal der Gesundheitszentren vor Ort in der Verschreibung von Antidepressiva aus.»
Monika Müller
Assistenzprofessorin für Psychiatrie und Public Mental Health

Armut hat aber nicht nur eine strukturelle, sondern auch eine individuelle Dimension, denn Armut und psychische Gesundheit sind eng miteinander verknüpft. Weltweit leben rund 740 Millionen Menschen in extremer Armut, zwei Drittel davon im sogenannten Globalen Süden. Für die Lebensrealität der von Armut Betroffenen bedeutet dies unsichere Arbeitsplätze im informellen Sektor, unvorhersehbares und stark fluktuierendes Einkommen, ständige Sorge um die Deckung der Grundbedürfnisse, beengte und wenig geschützte Wohnverhältnisse sowie oftmals ungenügende Ernährung. Diese Stressoren begünstigen psychische Erkrankungen wie Depression. Umgekehrt bringen psychische Erkrankungen Menschen häufig in finanzielle Notlage, da im Globalen Süden die finanzielle Absicherung durch ein Sozialversicherungsnetz fehlt. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bedeutet somit für die Betroffenen und ihre Familien fehlendes Einkommen und oftmals sogar den Verlust des Arbeitsplatzes.

Faktor Armut im Blick

Der Teufelskreis von Armut und Depression muss man bei der Konzeptionalisierung von entsprechenden Versorgungsmodellen ebenfalls berücksichtigen. Werden die sozioökonomischen Lebensbedingungen der Betroffenen nicht mitgedacht, ist die Gefahr gross, dass zu einem späteren Zeitpunkt erneut eine Depression entwickelt wird. Das Forschungsteam von Prof. Dr. Monika Müller sucht auch hier innovative Lösungen; dies im Rahmen eines «SNSF Starting Grant»-Projekts (siehe frühere Newsmeldung). «In der Studie mit fast 700 Betroffenen mit schwerer Depression untersuchen wir in Indien ein sogenanntes ‹Cash Plus Programme›.» Dabei werde eine dem ‹Friendship Bench› ähnliche Kurztherapie mit einem bedingungslosen Grundeinkommen kombiniert. «Wir behandeln somit die Depression direkt und indirekt, indem wir gleichzeitig Armut als wichtigen Risikofaktor der Depression bekämpfen», so Müller. Ein weiterer Vorteil dieses Versorgungsmodelles sei, dass es nicht ausschliesslich über den Gesundheitssektor, sondern auch über den Sozialhilfesektor implementiert werden kann. «Dadurch können wir den Zugang zu fachgerechter Behandlung auch ausserhalb des ohnehin angeschlagenen Gesundheitswesens erhöhen.»

Die Beispiele aus Zimbabwe und Indien sollen zeigen, dass innovative und kulturangepasste Versorgungsmodelle den Zugang zu Behandlung auch unter extrem schwierigen Bedingungen verbessern können. Entscheidend ist dabei, psychische Gesundheit nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenspiel mit Armut, sozialer Absicherung und Alltagsrealitäten. Nur so lassen sich nachhaltige Verbesserungen erreichen.
 

HINWEIS

Infos zum World Mental Health Day sowie allgemein zur Thematik mentale Gesundheit und dem Zusammenhang mit den Sustainable Development Goals: WHOLancet Commission on Global Mental Health and Sustainable Development
 

Praxis, Forschung und Engagement

Ass.-Prof. Dr. med. Dr. phil. nat. Monika Müller ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Assistenzprofessorin (SNF Starting Grant) für Psychiatrie und Public Mental Health an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften und Medizin. Parallel dazu arbeitet sie als leitende Ärztin in der Luzerner Psychiatrie (lups). Sie gründete den Verein Delta – develop life through action mit dem Ziel, fachgerechte Versorgung für psychisch kranke Menschen im Globalen Süden zu verbessern. Deltas Härtefallfonds unterstützt armutsbetroffene, psychisch erkrankte Menschen in Indien. Durch die Übernahme von Behandlungskosten, die Abgabe von Grundnahrungsmitteln und Haushaltsartikeln, das Einrichten von Sozialhilfegeld und die Deckung der Ausbildungskosten von Kindern psychisch erkrankter Eltern erfahren die Betroffenen und ihre Familie umfassende, direkte Hilfe.