Als Gassen- und Pfarreiseelsorger begegnet Valentin Beck (40) schweren Schicksalen. Der Theologe und Masterabsolvent in Religionslehre erlebt aber immer wieder auch positive Momente.
Valentin Beck, Sie sind als Seelsorger beim Verein Kirchliche Gassenarbeit und in der Pfarrei St. Paul in Luzern tätig. Was hat Sie dazu motiviert, als Seelsorger für Menschen auf der Strasse zu arbeiten?
Valentin Beck: Ich war schon immer gerne im direkten Kontakt mit Menschen und wollte dies auch zu meiner Arbeit machen. Das genaue Tätigkeitsfeld hat sich aber über mehrere Jahre, «Umwege» und Zufälle herauskristallisiert, wobei ich herausgefunden habe, was mir liegt und was nicht. Ein wichtiger Baustein dabei war sicher meine Aushilfstätigkeit in der Psychiatrieseelsorge, welche mit der Seelsorge bei sucht- und armutsbetroffenen Menschen verwandt ist. Letztere ist mit ihrer niederschwelligen Herangehensweise und ihrer konfessionellen Offenheit ein sehr eigenes und extrem vielfältiges Arbeitsfeld. Dazu kommt mein Interesse an urbanen Subkulturen und an Gerechtigkeitsfragen unserer Gesellschaft. Die Schicksale der Menschen auf der Gasse vermitteln einem eine andere Perspektive auf die Gesellschaft. Ausschlaggebend war letztlich, dass mich eine Arbeitskollegin zufällig auf die Stellenausschreibung aufmerksam gemacht hat. Es brauchte dann aber auch noch eine gewisse Portion Mut, in das kalte und für mich noch unbekannte Wasser zu springen.
Bei Ihrer Arbeit sind Sie vermutlich auch mit schwierigen oder belastenden Emotionen, wie etwa Trauer, konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?
Als «schwierig» empfinde ich eher Emotionen, die untergründig versteckt wirken und nicht aus- und angesprochen werden. Bei Trauer und Betroffenheit versuche ich, diese nicht als Bedrohung wahrzunehmen, sondern als natürlichen Teil der menschlichen Existenz. Sie sind Teil des Lebens, aber machen dieses nie als Ganzes aus. Daneben gibt es immer auch Raum für Freudiges, Schönes und Humorvolles. All diese Emotionen sind Bestandteile der Würde des Menschen.
Welche Botschaften und Werte sind Ihnen bei Ihrer Arbeit wichtig?
Da kann ich gleich anknüpfen: Über allem steht die Würde des Menschen. Sie ist unantastbar und äussert sich nicht in sozioökonomischen, gesundheitlichen oder leistungsbasierten Massstäben. Dazu kommt ein Verständnis von Sucht als psychischer Krankheit und dass der Drogenkonsum meist eine Flucht vor etwas «Unaushaltbaren» ist. Wer Abhängigkeit so versteht, kann auch die auftretenden Symptome besser einordnen: den Selbstbetrug vieler Klientinnen und Klienten, die vielen Rückschläge und Enttäuschungen wie z.B. verpasste Termine, Lügen oder Diebstahl und so weiter. Das alles ist Teil der Krankheit und nicht Ausdruck des individuellen Charakters. Dieser Charakter wird von der Sucht oftmals «überdeckt», aber letztlich nie ganz ausgelöscht. Die wertvollen Seiten eines jeden Charakters und einer jeden Lebensgeschichte herauszuschälen, sehe ich als Bestandteil der Seelsorgearbeit.
Trauer und Betroffenheit sind Teil des Lebens, aber machen dieses nie als Ganzes aus.
Was konnten Sie aus Ihrem Studium für Ihre jetzige Tätigkeit mitnehmen?
Hierbei ist es für mich etwas schwer, zwischen dem Theologiestudium in Fribourg und Berlin und meinem Masterstudium in Religionslehre mit Lehrdiplom, das ich in Luzern absolviert habe, zu unterscheiden. Allgemein gesagt ist etwas, das ich aus dem Studium mitnehmen konnte, eine differenzierte und reflektierte Sicht auf religiöse, spirituelle und weltanschauliche Themen sowie das adressatinnen- und adressatengerechte Formulieren von Fragen und Antwortversuchen in diesen Bereichen. Dazu kommt das bewusste Auseinanderhalten von religiösen Traditionen, eigenen Antworten und das Akzeptieren der Ansichten des Gegenübers. Letzteres ist der Ausgangspunkt jeder seelsorgerischen Begleitung. Ich möchte aber auch bemerken, dass man für das «Grundhandwerk» der Seelsorge an der Universität eher wenig vorbereitet wird. Die entscheidenden Fähigkeiten hierfür eignet man sich in erster Linie durch Beziehungsarbeit und in der Gesprächsführung an.
Sie sind «Alumnus des Jahres 2024» – was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Ich war überrascht, sehe diese aber als Wertschätzung der Uni und der ALUMNI Organisation gegenüber einem sehr praxis- und lebensorientierten Arbeitsfeld und zugleich als Zeichen ihrer sozialen Verantwortung. Interessanterweise liegen die Uni und die einschlägigen Plätze der Luzerner Drogenszene, etwa der Bahnhofplatz, ja nicht weit auseinander.
Was war bisher der prägendste Moment in der Gassenarbeit?
Da gibt es natürlich unzählige. Besonders beeindruckend finde ich aber immer wieder Momente, in denen bei sucht- und armutsbetroffenen Menschen der Stolz aufflackert, wenn sie etwas für die Allgemeinheit oder zum Wohl eines anderen Menschen beitragen können. Das fängt bei kleinen Vorbereitungshilfen bei Abdankungsfeiern in der GasseChuchi an, geht über Musik- und andere Kunstbeiträge bis hin zu «Nachhilfeunterricht» in Deutsch oder Technik. So ist es jeweils wunderbar, wenn eine Besucherin oder ein Besucher in der GasseChuchi mir etwas zeigen oder beibringen kann. Ihre Talente sind sehr vielfältig und manchmal tief versteckt. In diesen Momenten brechen sie aus der Rolle der Hilfsbedürftigkeit und des Opferseins aus. Das sind goldene Momente.
Überblick Studienangebot Theologie im Bachelor und im Master
Fabian Pfaff
Co-Sektionsvorsteher Theologie der ALUMNI Organisation und katholischer Hochschulseelsorger bei «horizonte – Hochschulseelsorge Campus Luzern»