Wie kann mit öffentlich-rechtlichen Instrumenten sichergestellt werden, dass am Ende des Lebens für die Patientinnen und Patienten bestmögliche Entscheidungen getroffen werden? Damit befasst sich Daniel Hürlimann in seiner Habilitationsschrift.

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Seit mehr als fünf Jahren forscht Daniel Hürlimann zu verschiedenen juristischen Aspekten zum Thema Lebensende. Zunächst war er in einem von Bernhard Rütsche, Ordinarius für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Luzern, co-geleiteten Projekt im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 67 «Lebensende» angestellt. Danach wirkte er bei einem darauf aufbauenden Nationalfonds-Forschungsprojekt mit, das Ende April abgeschlossen wurde. Als vorläufiger End- und Höhepunkt dieser Forschungsaktivitäten verfasst Daniel Hürlimann, der seit 2015 an der Universität St. Gallen eine Assistenzprofessur für Informationsrecht innehat, an der Universität Luzern seine Habilitationsarbeit.

Daniel Hürlimann, welches sind die Schwerpunkte Ihrer Forschung?

Daniel Hürlimann: In meiner Habilitation geht es im ersten Teil um die Menschenrechte am Lebensende, eine eher theoretische Arbeit. Zudem wurden Interviews in Heimen und Spitälern geführt und nach problematischen Situationen bei Menschen am Lebensende gefragt. Dabei haben sich vier hauptsächliche Problemkonstellationen ergeben.

Eine davon betrifft Suizidhilfeorganisationen. Um was geht es da?

Daniel Hürlimann
Daniel Hürlimann, Habilitand an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät

Rund 1000 Personen gibt es pro Jahr in der Schweiz, die sich mit Unterstützung einer Suizidhilfeorganisation das Leben nehmen. Da dies aber nur selten in Institutionen geschieht, sind diese Fälle zahlenmässig weit weniger relevant als etwa die Frage, wann man eine Behandlung abbricht oder gar nicht erst aufnimmt. Suizidhilfe ist in der Schweiz nur strafbar, wenn «selbstsüchtige Beweggründe» vorliegen. Allerdings ist unklar, was das genau bedeutet, etwa, wenn Geld für die Suizidhilfe verlangt wird. In der Schweiz ist es üblich, dass Suizidhilfeorganisationen für die Begleitung eines Suizids mehr oder weniger hohe Beträge verlangen. Um herauszufinden, bis zu welcher Höhe solche Zahlungen zulässig sind, müssen einzelne Fälle vor ein Gericht gebracht werden. Es ist absehbar, dass es in diesem Bereich bald zu einem Urteil kommen wird.*

Sie haben zudem herausgefunden, dass Patientenwünsche am Lebensende häufig nicht oder zu wenig bekannt sind. Wie kommen Sie darauf?

Das Problem ist vielschichtig. Der einfachste Fall: Die Patientin, der Patient hat sich das nie überlegt oder aber für sich behalten. Andere haben es mit dem Umfeld diskutiert – etwa, ob in gewissen Situationen eine Reanimation gemacht werden soll. Im Notfall sind diese Personen aber dann nicht vor Ort. Auch mit Patientenverfügungen ist es nicht einfach. Im entscheidenden Moment sind diese oft nicht auffindbar.

Was schlagen Sie vor, um diese Situation zu verbessern?

Die gesetzliche Vorgabe und deren Umsetzung klaffen weit auseinander. Eigentlich wird im Schweizerischen Zivilgesetzbuch verlangt, dass der Hinterlegungsort der Patientenverfügung auf der Krankenversicherungskarte eingetragen werden kann. Aber in der Praxis macht das niemand. Man könnte solche Vorgaben in kantonale Gesetze aufnehmen. Nun wurde diese Idee von der Realität überholt: Im elektronischen Patientendossier kann jeder diese Verfügung selber eintragen. Das entsprechende Gesetz ist 2017 in Kraft getreten. Patientinnen und Patienten können wählen, ob sie auf ein elektronisches Patientendossier umsteigen wollen oder nicht. Für diejenigen, welche nicht umsteigen möchten, bleibt die Frage nach der Verfügbarkeit einer physischen Patientenverfügung aktuell.

Offenbar gibt es Patientinnen und Patienten, die überbehandelt werden. Wie ist das möglich?

Es kommt relativ häufig vor, dass Angehörige von Schwerkranken Behandlungen verlangen, die medizinisch sinnlos sind. Schwierig ist das etwa bei dementen Patienten, die nicht mehr selber urteilsfähig sind. Die Ärztinnen und Ärzte werden unter Druck gesetzt und willigen je nachdem in eine Behandlung ein, die nicht sinnvoll ist für den Patienten. Die Angehörigen können, auch wenn sie im Unrecht sind, juristisch gegen die Ärzte vorgehen. Eine Patientin, ein Patient mit einer fortgeschrittenen Demenz kann das nicht mehr.

Gibt es Vorschläge, um das zu ändern?

Es sollte mehr in die rechtliche Ausbildung des Gesundheitspersonals investiert werden. Wenn dieses die Rechtslage genau kennt, kann es sich auch besser für das Patientenrecht einsetzen. Ich arbeite zurzeit daran, konkrete Regulierungsvorschläge zu formulieren, welche gewährleisten, dass Patientenwünsche mehr beachtet werden.

Auch das Gegenteil von Überbehandlung kommt vor …

Genau, damit kommen wir zu einem wichtigen Punkt: der medizinischen Versorgung in Heimen. In den Interviews stellten wir fest, dass die Tendenz besteht, Heimbewohnerinnen und -bewohner trotz lebensbedrohlichen Situationen nicht ins Spital zu verlegen. Dahinter steckt vielleicht die unterschwellige Devise «Ihr seid doch zum Sterben hier, warum also noch ins Spital». Es geht auch um finanzielle Fehlanreize: Die Heime verdienen weniger, wenn ihre Bewohner im Spital liegen.

Steckt dahinter nicht auch eine Form von Diskriminierung?

Ja, auch diesen Aspekt haben wir untersucht. Eine aussichtsreiche Operation nicht durchzuführen, weil der ansonsten fitte Patient 80 Jahre alt ist, ist eine unzulässige Altersdiskriminierung. Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters steht seit 18 Jahren in der Bundesverfassung. In der juristischen Literatur und in der Rechtsprechung wird Altersdiskriminierung aber fast ausschliesslich im Zusammenhang mit arbeitsrechtlichen Fragen oder mit Altersgrenzen für politische Ämter thematisiert. In der Schweiz hat sich bisher kaum jemand dafür interessiert, unter welchen Voraussetzungen solche Ungleichbehandlungen im Gesundheitswesen zulässig sind.

Was kann gemacht werden, damit etwa in Heimen keine solchen Diskriminierungen mehr stattfinden?

Sicher muss die Heimaufsicht genauer hinschauen, auch der Staat muss seine Kontrollfunktion wahrnehmen. Heimbewohner sollten unter gewissen Voraussetzungen ähnliche Rechtsbehelfe haben wie Menschen in fürsorgerischer Unterbringung.

* Anmerkung d. Red.: Das Bezirksgericht Uster hat mit Urteil vom 1. Juni 2018 den Generalsekretär einer Sterbehilfeorganisation vom Vorwurf der Beihilfe zum Suizid (Art. 115 StGB) freigesprochen. Dabei hat es das Vorliegen selbstsüchtiger Beweggründe nicht eindeutig verneint, sondern lediglich festgehalten, dass diese überwiegen müssten, was im beurteilten Fall offenbar nicht gegeben war.