Gesellschaftliche Herausforderungen, politische Konflikte und ökonomische Transformationen: Der Schweizer Finanzplatz durchlebte turbulente 1970er- und 1980er-Jahre.

Sinnbild für den Finanzplatz Schweiz – und in der schweizerischen Version des Brettspiels Monopoly nicht ohne Grund das teuerste Feld: der von den Niederlassungen der Grossbanken UBS und Credit Suisse geprägte Zürcher Paradeplatz. (Bild: Wikimedia Commons/SISHION)

Der Schweizer Finanzplatz ist fester Bestandteil der öffentlichen Erinnerungskultur – dies sowohl in der Schweiz als auch im Ausland. Kaum ein James-Bond-Bösewicht kommt ohne Nummernkonto in der Schweiz aus, Geheimagent Jason Bourne verfügte über ein Notfall-Bankschliessfach in Zürich und sogar die Comic-Gallier Asterix und Obelix haben sich schon einmal in einem Schweizer Banktresor versteckt. Diese Aufnahme in die Populärkultur beruhte einerseits auf gewissen Eigenheiten des Schweizer Bankensystems – insbesondere dem 1934 etablierten Bankgeheimnis –, anderseits jedoch vor allem auf einer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierten, negativ konnotierten Wahrnehmung der Schweizer Banken. Diese Wahrnehmung stand in starkem Kontrast zum wirtschaftlichen Erfolg und der Expansion des Finanzplatzes im selben Zeitraum.

Blick in den Tresorraum der UBS (undatierte Aufnahme): Cover von Lukas Toblers publizierter Dissertation; sie ist open access verfügbar (siehe Link unten).

Die aus diesem Kontrast resultierenden politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Debatten stehen im Fokus der Publikation «Banken im Sturm. Die Politisierung des Schweizer Finanzplatzes in den 1970er- und 80er-Jahren». Das Buch beruht auf der gleichnamigen Dissertation des Verfassers des vorliegende Artikels. Die Doktorarbeit war von Daniel Speich Chassé, Professor für Globalgeschichte, betreut und im vergangenen Jahr erfolgreich abgeschlossen worden. Im Zuge der Untersuchung wurden unveröffentlichte Quellen der Schweizerischen Bankiervereinigung, der Farner Consulting AG und des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (heute Economiesuisse) ausgewertet.

Ermöglichung von Steuerhinterziehung angeprangert

1976 hatte der Genfer Soziologe und SPS-Nationalrat Jean Ziegler die Schweiz und insbesondere den Finanzplatz in Aufregung versetzt. In seinem Buch «Eine Schweiz – über jeden Verdacht erhaben» bezichtige er die Schweizer Banken der «Hehlerei» und warf dem Finanzplatz vor, eine tragende Rolle in der internationalen Steuerflucht und -hinterziehung einzunehmen. Das Buch von Ziegler war der vorläufige publizistische Höhepunkt einer sich seit dem Ende der 1960er-Jahre intensivierenden Kritik am Schweizer Finanzplatz von linken und entwicklungspolitischen Kreisen. Diese innenpolitische Skandalisierung beruhte ideologisch auf der internationalen Kritik am Finanzplatz, insbesondere am Schweizer Bankgeheimnis und dessen Bedeutung für die internationale Steuerflucht.

Bis in die zweite Hälfte der 1970er-Jahre stand vor allem die internationale Geschäftstätigkeit der Banken im Fokus der Kritik. Dann die Wende: Im Frühjahr 1977 musste die Schweizerische Kreditanstalt SKA (die heutige Credit Suisse) schwerwiegende Unregelmässigkeiten ihrer Filiale in Chiasso öffentlich einräumen. Im Verlauf der eingeleiteten Strafuntersuchung stellte sich heraus, dass die Filialleitung in Chiasso über Jahre hinweg Schwarzgeld, vor allem aus Italien, am Fiskus vorbeigeschleust hatte. Der Chiasso-Skandal sorgte für einen Wandel im Umgang mit dem Finanzplatz. Die Kritik an den Banken rückte in die politische und gesellschaftliche Mitte und führte zu einer Politisierung des Schweizer Finanzplatzes. Als direkte Folge lancierte die SPS eine Volksinitiative, um die staatliche Aufsicht über den Schweizer Finanzplatz nachhaltig zu verstärken. Gleichzeitig prägte der Chiasso-Skandal praktisch alle bankpolitischen Themen wie zum Beispiel das neue Rechtshilfegesetz oder die Revision der rechtlichen Grundlagen der Banken.

Lancierung grossangelegter Kampagnen

Die Banken reagierten auf diese politischen Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen. Politisch aktivierten sie unter der Führung der Schweizerischen Bankiervereinigung ihre vielfältigen Kontakte in die Politik, um die Gesetzesberatungen und Vernehmlassungen nach ihrem Willen zu beeinflussen. Gleichzeitig lancierten die Banken unter der Leitung der Farner Consulting AG eine breit angelegte Kampagne gegen die Bankeninitiative. Bereits ab 1978 versuchte der Finanzplatz, unter massivem Einsatz von finanziellen Mitteln, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Werbekampagne zielte darauf ab, die Banken als elementaren Bestandteil der Schweiz zu etablieren und sollte nicht nur die Bankeninitiative versenken, sondern auch das bankenpolitische Umfeld langfristig im Sinne der Banken prägen und gestalten. 1984, nach sechs Jahren Bankenkampagne, wurde die SPS-Bankeninitiative vom Volk mit 73 Prozent effektiv deutlich abgelehnt. Dies führte zu einer «kulturellen Hegemonie» des bankenfreundlichen Narrativs in der Schweizer Politik und blockierte die kritische Auseinandersetzung mit dem Finanzplatz in der Innenpolitik über Jahre.

Zum einen waren die Banken auf die Unterstützung der Politik angewiesen, zum anderen hatte die offizielle Schweiz ein grosses Interesse, den Finanzplatz zu unterstützen und dessen Ziele international zu vertreten.

Gleichzeitig führten aussenwirtschaftspolitische Ereignisse zu einer verstärkten Zusammenarbeit von Banken und den unterschiedlichen Departementen der Bundesverwaltung. Sowohl in der Bewältigung der lateinamerikanischen Schuldenkrise, bei Fragen der internationalen Regulierung der globalen Finanzwelt und beim Umgang mit dem Apartheid-Staat in Südafrika arbeiteten die Schweizer Banken eng mit den Behörden zusammen, um die Interessen des Finanzplatzes zu wahren und die Stellung der Banken im Ausland zu stärken. Es handelte sich dabei um eine symbiotische Beziehung: Zum einen waren die Banken auf die Unterstützung der Politik angewiesen, zum anderen hatte die offizielle Schweiz ein grosses Interesse, den Finanzplatz zu unterstützen und dessen Ziele international zu vertreten.

Quasi demokratische Legitimierung

Aller Turbulenzen in den 1970er- und 1980er-Jahren zum Trotz: Der Schweizer Finanzplatz ging gestärkt aus dieser Phase hervor – vor allem die Grossbanken. Innenpolitisch waren sie durch die deutliche Ablehnung der Bankeninitiative quasi demokratisch legitimiert. Die Liberalisierung der globalen Finanzwelt in den 1980er-Jahren ermöglichte den Schweizer Banken eine starke Expansion des internationalen Geschäftes und die Sicherung ihrer herausragenden Stellung in der internationalen Vermögensverwaltung. Gleichzeitig wuchs jedoch der internationale Druck auf den Finanzplatz und insbesondere auf die Rolle der Schweizer Banken im Zusammenhang mit Fluchtgeldern und illegalen Steuervermögen. Zudem tauchte mit dem Skandal um nachrichtenlose Vermögen bei Schweizer Banken bereits der nächste, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Sturm für den Finanzplatz auf.

Lukas Tobler
Banken im Sturm. Die Politisierung des Schweizer Finanzplatzes in den 1970er- und 80er-Jahren
Chronos, Zürich 2021

Mehr Informationen und Open-Access-Abruf

Lukas Tobler

Die Realisierung der Dissertation von Lukas Tobler wurde mit einem Doc.CH-Beitrag des Schweizerischen Nationalfonds gefördert (frühere Newsmeldung). Seit seiner Promotion arbeitet er an der Pädagogischen Hochschule Luzern als Projektmitarbeiter und Dozent am dortigen Institut für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen. Bis in diesem Frühling war er zudem am Historischen Seminar der Universität Luzern mit Drittmitteln als Forschungsmitarbeiter angestellt und hatte zudem davor zwei Lehraufträge wahrnehmen können.