Die Zukunft vor den Türen des Privatrechts

Wenn es für die Mehrheit aller Klimafälle offenbar keinen gangbaren Rechtsweg gibt, welche Mittel bleiben, um die legitimen Ziele des Klimaschutzes zu berücksichtigen? Das ist der Ausgangspunkt eines rechtswissenschaftlichen Forschungsprojekts.

Prof. Dr. Malte Gruber, Ordinarius für Rechtsphilosophie und Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Immaterialgüterrecht und Recht der neuen Technologien. (Bild: Markus Forte)

Das Recht steht nicht gerade in dem Ruf, für die Zukunft offen zu sein. Sinnbildlich erinnert daran schon Franz Kafka in seiner berühmten Parabel «Vor dem Gesetz». Dieses «soll doch jedem und immer zugänglich sein», und dennoch bleiben seine Zugänge durch mächtige Türhüter versperrt. In der Praxis des Umweltrechts steht heute eine Vielzahl von Klägerinnen und Klägern vor den Türen der Gerichte und verlangt ihrerseits Zugang zum Recht. Doch suchen sie zumeist vergeblich, wenn es um die Durchsetzung von ökologischen Rechten geht, die sich aktuell insbesondere auf international vereinbarte Massnahmen und Ziele des Klimaschutzes richten. Beinahe fünf Jahre nach der Klimakonferenz von Paris gibt es nur wenige Fälle, in denen es Klimaschützern gelungen ist, ihre Klagen gegen die Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen zum Erfolg zu führen.

Klagen oft chancenlos

Im Rechtsstreit «Urgenda Foundation v. The State of the Netherlands» erwirkte die Klima-Initiative Urgenda im Jahr 2015 einen Entscheid, der die Niederlande dazu verurteilte, die Emissionen von Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 um 25 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 zu reduzieren. Der Gerichtsbeschluss wurde mit Urteil vom 20. Dezember 2019 in letzter Instanz bestätigt. Damit ist immerhin rechtsverbindlich festgestellt, dass die Niederlande zu verstärkten Anstrengungen und zusätzlichen Massnahmen gegen den fortschreitenden Klimawandel verpflichtet sind. Fraglich ist jedoch, wie die Erfüllung dieser staatlichen Verpflichtungen sichergestellt werden kann. Ihr Vollzug wird auch weiterhin vom politischen Willen in Regierung und Gesetzgebung abhängen. Die Urteilsvollstreckung bleibt hier also gewissermassen Sache der verurteilten Partei selbst.

Unbezweifelbar ist allerdings die Wirkung, die der Fall Urgenda auf die Klimabewegung im Recht ausgeübt hat. Die Klage bildet eine Vorlage für zahlreiche weitere Klimaklagen von unterschiedlichen Klageparteien mit recht heterogenen Vertretern, die auch andernorts gegen die unzureichende staatliche Klimapolitik vorgehen. Diese Klagen verlaufen in der Regel aber weit weniger erfolgreich. Ihre Schwäche liegt sicherlich nicht in ihren höchst legitimen Forderungen nach Climate Justice, sondern vielmehr in ihrer ungenügenden Art der Strategic Litigation, besonders in ihrer einseitigen öffentlich-rechtlichen Fixierung auf den Staat als vermeintlich einzigen Klimaverantwortlichen und «Schutzpflichtigen».

Auch «KlimaSeniorinnen» unterlagen

Eine ähnliche Strategie verfolgte in der Schweiz eine Initiative der «KlimaSeniorinnen». Auch sie blieben mit ihrer Beschwerde wegen unzureichender staatlicher Massnahmen erfolglos. Das Bundesverwaltungsgericht sah keine besondere Betroffenheit der Seniorinnen gegeben, da sie gegenüber der Allgemeinheit nicht in gesteigertem Masse von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen seien. Damit reiht sich der Fall der KlimaSeniorinnen ein in die weit überwiegende Mehrheit vergeblicher Versuche, Rechtsschutz zu erlangen im Interesse des Klimaschutzes und zukünftiger Lebensgrundlagen.

Wenn es aber für die Mehrheit aller Klimafälle offenbar keinen gangbaren Rechtsweg gibt, welche Mittel bleiben dann noch, um die legitimen Ziele des Klimaschutzes zu berücksichtigen? Bilden politische Proteste und ziviler Ungehorsam die einzigen verbleibenden Auswege? Gilt es nicht vielmehr, neue rechtliche Verfahren und Modelle zu entwickeln, um die in der Klimakrise auftretenden Konfliktlagen auch mit den Mitteln des Rechts behandeln zu können? Wie könnte ein solches «Recht der Zukunft» aussehen, das der Problematik gerecht werden kann?

Rechtsschutz für künftige Generationen

Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt für das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) 2019 bewilligte Forschungsprojekt «Future Generations in Swiss and European Private Law». Dieses steht unter der Leitung von Prof. Dr. Malte Gruber; im Rahmen des auf drei Jahre angelegten Projekts sind Dr. Michael W. Monterossi als Postdoktorand und Eliane Wicki als Doktorandin angestellt. Das Vorhaben zielt auf die rechtswissenschaftliche Erforschung von Modellen und Institutionen zum Schutze zukünftiger Generationen und soll – aus rechtstheoretischer sowie rechtspraktischer Perspektive – zu einer Weiterentwicklung des schweizerischen und europäischen Privatrechts beitragen. Damit sollen die Grundlagen für ein neues privatrechtswissenschaftliches Forschungsgebiet erarbeitet werden.

Mit Rücksicht auf die Grenzen bisheriger, auf staatlich-politische Regulierung angelegter Konzeptionen des Klima- und Umweltschutzes haben Rechtslehre und Rechtsprechung bereits damit begonnen, Neuinterpretationen privatrechtlicher Kategorien und Regelungsansätze zu entwickeln. Die rechtlichen Veränderungen sind schon heute erkennbar in der weltweit zunehmenden Zahl zivilrechtlicher Klagen gegen die privatwirtschaftlichen Verursacher von Umwelt- und Klimaschäden, vor allem gegen fossile Energiekonzerne wie Exxon oder RWE.

Zugang zum Privatrecht

Das Projekt wird sich vorrangig mit zwei Forschungsfragen befassen: Die erste Frage betrifft die Zuweisung von Haftungsverantwortung. Diese wird insbesondere in den Fällen problematisch, in denen gegenwärtiges Handeln zu mittel- und langfristigen Risiken oder Schäden auf Kosten zukünftiger Generationen führt. Hierbei soll untersucht werden, inwieweit öffentlich-rechtliche Umweltprinzipien die Regeln für die Haftungszuschreibung im Privatrecht beeinflussen und gestalten können. Die zweite Fragestellung richtet sich auf die Durchsetzungsmöglichkeiten von privatrechtlichen Konstruktionen und zivilprozessualen Instrumenten, die zur Sicherung der Rechtsstellung künftiger Generationen in privatrechtlichen Verfahren eingesetzt werden können.

Um auf diese Fragen zukunftsfähig zu antworten, bedarf es einer weitergehenden Auseinandersetzung mit den Grundbegriffen des Rechts, etwa mit der Rechtspersönlichkeit zukünftiger, noch nicht geborener Generationen, nicht zuletzt mit den ökologischen Rechten und Klagemöglichkeiten im Interesse oder im Namen der Natur. «Trees should have standing» – womöglich könnte darin ein Schlüssel zu einer nachhaltigen, ökologischen Ausgestaltung des Privatrechtssystems liegen, der die Türen für die Zukunft offenhalten kann.

Malte Gruber


Quelle: Jahresbericht der Universität Luzern 2019, Juni 2020, S. 30–32