Was Religion heute zur Gesellschaft beiträgt
Was kann Religion zur heutigen Gesellschaft beitragen – und wie den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern? Diese Fragen standen im Zentrum des ersten fakultären Studientags der Theologischen Fakultät. Studierende, Forschende, Dozierende und administrative Mitarbeitende diskutierten gemeinsam Datenlagen und theologische Antwortansätze.
Bereits in ihrer Einführung stellte PD Dr. Franca Spies zentrale Spannungsfelder vor: Muss sich Kirche heute übersetzen, um von der Gesellschaft verstanden zu werden? Oder soll sie sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehen, weil Religion zu oft politisch instrumentalisiert wird?
Dr. Ansgar Kreutzer, Professor für Systematische Theologie an der Justus-Liebig Universität Giessen, hob in seinem Impulsreferat hervor, dass «Zusammenhalt» längst ein politisches Schlagwort sei – gefordert, aber auch als gefährdet empfunden. Aus theologischer Sicht könne Kirche beitragen, indem sie brückenbildendes Sozialkapital stärke: durch universale Werte, interkulturellen Austausch und soziale Gerechtigkeit. Für Kreutzer ist klar: Eine Kirche, die alle einschliesst, muss auch sozioökonomische Realitäten ernst nehmen – ganz im Sinne von Papst Franziskus' Vision einer «Kirche für alle, alle, alle».
In den anschliessenden Responses gingen die Doktorierenden Stephanie Bayer (Pastoraltheologie) und Joshua Schibli (Ethik) vertieft auf einzelne Aspekte ein. Gemeinsam mit Kreutzer betonten sie in der Diskussion mit dem Plenum: Inklusion ist ein zutiefst theologisches Anliegen – Exklusion kommt einer Häresie gleich. Religionen sollten Räume des Austauschs und der Gastfreundschaft bieten, ohne zu missionieren.
Am Nachmittag boten vier Workshops vertiefende Einblicke, drei vor Ort, einer digital:
- «Kahal – die jüdische Gemeinde als Kern gesellschaftlichen Zusammenhalts» mit Dr. Simon Erlanger
- «In der Gemeinschaft wächst die Seele – Stimmen aus der islamischen Mystik» mit Dr. Almedina Fakovic
- «Religion und gesellschaftlicher Zusammenhalt – eine religionssoziologische Perspektive» mit Dr. Anastas Odermatt
- «Kaiser oder Gott? – Religiös-politische Fundamentalunterscheidungen und gesellschaftliche Stabilität» (digital) mit Dr. Aleksandra Brand
Danach griff ein interdisziplinäres Podium, moderiert durch Pascal Wüst, zentrale Fragen des Tages auf: Religion strukturiert Raum und Zeit, stiftet Rituale und kann Solidarität fördern – zugleich können ihre Funktionen auch säkular übernommen werden. Einigkeit bestand darin, dass Theologie eine gesellschaftspolitische Verantwortung trägt, ohne parteipolitisch zu sein. Sie wirkt aus der Zivilgesellschaft, benennt Missstände und fördert Dialog – auch im interreligiösen Kontext, wo Wahrheitsanspruch und Gastfreundschaft kein Widerspruch sein müssen.
Der erste fakultäre Studientag endete mit einem nachdenklichen und persönlichen Akzent: Alle Teilnehmenden waren eingeladen, ihre Erkenntnisse des Tages in einem einzigen Wort festzuhalten – gesammelt wurden diese Begriffe via Online-Abstimmung. Aus dieser vielfältigen Wortwolke wählten die Podiumsteilnehmenden jeweils ein Schlagwort aus, das für sie besondere Bedeutung hatte.
Inklusion, so betonte Marina Zeller, sei zentral für das Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft – und auch für die Rolle von Religion. Bescheidenheit, wie Ansgar Kreutzer und Christian Rutishauser hervorhoben, könne entlasten: Sie schützt vor überhöhten Ansprüchen, fördert Selbstreflexion und schafft Raum für andere. Manierlichkeit – von Ann-Katrin Gässlein gewählt – erinnerte an den Wert respektvoller Umgangsformen, gerade in gesellschaftlichen und politischen Debatten. Für Dario Jucker war es der Kontakt auf Augenhöhe, der zählt: Nicht nur Theologie übersetzen, sondern auch Begegnungen theologisch fruchtbar machen.
Mit diesen Impulsen klingt der Studientag als gelungener Auftakt einer neuen Tradition aus – einer, die Theologie und Gesellschaft miteinander ins Gespräch bringt. Theorie und Austausch, Tiefe und Begegnung, Bescheidenheit und Strahlkraft: All das hatte an diesem Tag seinen Platz. Und vielleicht liegt gerade darin eine besondere Kompetenz von Kirche – den Raum zu geben, eine drängende Debatte konstruktiv und auf Augenhöhe zu führen .




