Eine aktuelle Studie zur Notfallinfrastruktur von Defibrillatoren zeigt, dass es verkürzt ist, einzig geografisch zu denken. Um eine gerechte Gesundheitsversorgung zu erreichen, muss die Raumstruktur ganzheitlich betrachtet werden.

Auch im Uni/PH-Gebäude an der Frohburgstrasse hat es für Notfälle einen Defibrillator. Dieser befindet sich im Eingangsbereich und ist während der regulären Gebäudeöffnungszeiten auch für externe Personen zugänglich. Beim Bahnhof nebenan gibt es mehrere AED mit Zugang rund um die Uhr.

Wie gut sind Menschen in der Schweiz im Notfall durch öffentliche Defibrillatoren versorgt – und was hat dies mit dem Verhältnis von Stadt und Land zu tun? Eine neue regionalisierte Versorgungsanalyse von Sarah Maria Jerjen und Professor Armin Gemperli gelangt diesbezüglich zu einem zentralen Befund: Die Schweiz lässt sich in puncto Versorgung nicht einfach in Stadt und Land einteilen, sondern muss als facettenreicher Raum verstanden werden, der sich entlang eines urban-ruralen Spektrums bewegt.

Untersuchungsgegenstand der Studie ist die räumliche und zeitliche Erreichbarkeit von öffentlich zugänglichen AED (Automatisierte externe Defibrillatoren) bei ausserklinischen Herzstillständen. Bei einem Herzstillstand sinkt die Überlebenschance mit jeder Minute ohne Defibrillation um 3 bis 4 Prozent. Die vorgesehenen Reaktionszeiten des Rettungsdienstes reichen dafür oft nicht aus. Öffentlich zugängliche AED können diese kritische Zeit überbrücken – aber nur, wenn sie auch tatsächlich zugänglich sind.

Die Studie stützt sich auf die Gemeindetypologien des Bundesamts für Statistik, welche Schweizer Gemeinden anhand von Merkmalen wie Bevölkerungsdichte, Pendlerströmen, Erreichbarkeit und wirtschaftlicher Struktur in neun sogenannte funktionale Kategorien einteilt. Diese Typologie erlaubt es, räumliche Versorgungslagen systematisch zu erfassen und vergleichbar zu machen – nicht anhand abstrakter Stadt-Land-Gegensätze, sondern entlang realer Nutzungs- und Erreichbarkeitsmuster.

Dichte vs. Erreichbarkeit

Die Resultate zeichnen ein vielschichtiges Bild: Nur rund ein Drittel der Schweizer Bevölkerung lebt in 300 Metern Reichweite eines AED mit 24-Stunden-Zugang. Besonders prekär ist die Lage in zwei gegensätzlichen Raumtypen: grossstädtischen Zentren und ländlich geprägten Agrargemeinden. In städtischen Kernen ist die Gerätedichte zwar hoch, doch viele AED befinden sich in Gebäuden mit eingeschränktem Zugang wie Bürohäusern oder Einkaufsstätten. Nachts und an Wochenenden bleiben diese unzugänglich. Gleichzeitig gibt es Hotspots, wo bis zu 40 AED denselben Versorgungsradius abdecken, während angrenzende Quartiere leer ausgehen. Eine scheinbare Dichte ersetzt keine effektive Erreichbarkeit.

Auch touristische Gemeinden mit saisonal schwankender Nachfrage weisen deutliche Lücken auf.

Im Vergleich dazu fehlt in ländlichen Gebieten oft jegliche Infrastruktur. Gerade dort, wo die Eintreffzeiten von Rettungsdiensten besonders lang sind, ist der Bedarf hoch – aber kaum abgedeckt. Auch touristische Gemeinden mit saisonal schwankender Nachfrage weisen deutliche Lücken auf, insbesondere weil temporäre Bevölkerungsspitzen selten planerisch berücksichtigt werden. Besonders gut schneiden mitteldichte, periurbane Gemeinden ab, also weitgehend ländlich geprägte Regionen, die geografisch an Städte und Agglomerationen angrenzen. Ihre Raumstruktur mit zentral gelegenen Schulen, Haltestellen oder Gemeindezentren führt dazu, dass wenige, strategisch platzierte Geräte viele Menschen erreichen. In diesen Gemeinden trifft funktionale Nutzung auf öffentlich zugängliche Infrastruktur – ein Zusammenspiel, das auch ohne zentrale Steuerung eine hohe Wirkung entfaltet. Umso deutlicher wird hier das Potenzial gezielter Planung entlang der erwähnten Kriterien.

Gezielter planerischer Miteinbezug

Was folgt daraus für das Stadt-Land-Verhältnis? Entscheidend ist nicht die geografische Lage einer Gemeinde, sondern wie sie räumlich organisiert ist. Gemeinden mit einer ähnlichen Bevölkerungszahl unterscheiden sich zum Teil drastisch bezüglich Infrastruktur, Erreichbarkeit und Nutzungsmustern. Die Gemeindetypologie des Bundes bietet hier ein wichtiges Werkzeug, um diese Unterschiede analytisch zu erfassen und gezielt planerisch zu adressieren.

Die Übergangszonen zwischen städtischen und ländlichen Räumen zeigen besonders klar, wie gezielte Infrastrukturplanung auf einer solchen funktionalen Basis die Versorgung optimieren kann. Die Studie macht deutlich: Versorgungsgerechtigkeit erfordert keine flächendeckende Gleichverteilung, sondern eine raumangepasste Strategie, die tatsächliche Lebensrealitäten abbildet. Der Blick auf den Stadt-Land-Gradienten wird damit zum Schlüssel, um begrenzte Ressourcen wirksam einzusetzen – dort, wo Bedarf, Zugang und Infrastruktur sinnvoll ineinandergreifen. Wer lebensrettende Infrastruktur gezielt verbessern will, muss verstehen, wie geografische, funktionale und strukturelle Merkmale zusammenspielen – und wo daraus Lücken entstehen. Gerechtigkeit beim Gesundheitszugang ist eine Frage der Geografie.

Karte mit Defibrillatoren in der Nähe

Foto Sarah Maria Jerjen

Sarah Maria Jerjen

Doktorandin am Lehrstuhl von Armin Gemperli, Professor für Versorgungsforschung