Cyril Johner (42) war langjähriges Mitglied und Leader des PC-7 TEAM. Der Masterabsolvent der Rechtswissenschaft bringt bei der Armee neben seiner Tätigkeit als Berufsmilitärpilot inzwischen auch vermehrt seine juristischen Kenntnisse ein.

Cyril Johner, nach der Ausbildung zum Jetpiloten haben Sie nebenberuflich Jus an der Universität Luzern studiert. Wie haben Sie es geschafft, diese beiden sehr unterschiedlichen Welten zu vereinbaren?
Cyril Johner: Nach einer gewissen Zeit nach Abschluss meiner Ausbildung zum Berufsmilitärpiloten hatte ich die Möglichkeit, mein Arbeitspensum während drei Jahren auf 40 Prozent zu reduzieren, um eine akademische Ausbildung abzuschliessen. So stand ich weiterhin einen Tag pro Woche und in den Semesterferien dann wochenweise als Fluglehrer auf dem Trainingsflugzeug Pilatus PC-21 im Einsatz. Insofern war das Studium sehr gut planbar, es bestand aber ein gewisser Zeitdruck. Da ich damals jedoch für meine Pensumsreduktion argumentieren und kämpfen musste, war ich hochmotiviert und konnte das Bachelor-und Masterstudium innerhalb von nur sieben Semestern fokussiert und zielgerichtet absolvieren.
Gab es bestimmte Lehrinhalte, die Ihnen als Pilot beim Militär, also ausserhalb der klas-sischen juristischen Berufe, besonders geholfen haben?
Sehr spannend fand ich vor allem die Staatsrechtsvorlesungen, auch im Sinne einer wichtigen Allgemeinbildung. Die dabei behandelten Grundrechtseinschränkungen sind zum Beispiel auch in der Militärfliegerei ein grosses Thema, nämlich bei einem Waffeneinsatz als Ultima Ratio im Bereich der Wahrung der Lufthoheit.
Stichwort Militärgesetz: Gab es Momente im Studium, in denen der Unterschied zur zivilen Rechtsprechung besonders deutlich wurde?
Ein wichtiger Unterschied ist zum Beispiel, dass im militärischen Strafrecht bereits die fahrlässige Sachbeschädigung, namentlich beim Tatbestand der Verschleuderung von Material, strafbar ist. Das hat zur Folge, dass bei einem Sachschaden an einem Militärluftfahrzeug – verursacht durch die Besatzung – eine strafrechtliche Untersuchung erfolgen kann, obwohl offensichtlich kein (eventual-)vorsätzliches Verhalten bezüglich der Sachbeschädigung vorliegt. Dies wäre so im zivilen Strafrecht nicht möglich, da hier die fahrlässige Sachbeschädigung nicht einer Strafe unterliegt.
Gibt es Parallelen zwischen der juristischen Argumentation und der Entscheidungsfindung in der Luft?
Während eines Fluges spielen der Faktor Zeit, die lückenhafte Informationslage und die speziellen Umstände des Moments eine grosse Rolle. Als Leader der Kunstflugstaffel PC-7 TEAM fliegt man voraus und muss Entscheidungen treffen, ob man möchte oder nicht. Bei der juristischen Argumentation ist es hingegen möglich, einen Entscheid zu umgehen, zum Beispiel mit der Formulierung «Es kommt darauf an …». Als Militärrichter habe ich erlebt, dass es während Verhandlungen vor Gericht hingegen auch solche Ad-hoc-Momente wie beim Fliegen gibt, wo rasche Entscheide auch unter Zeitdruck gefragt sind.
Haben Sie in Ihrer Karriere schon Situationen erlebt, in denen Sie eine Art juristische Abwägung vornehmen mussten?
Bei jedem Luftpolizeieinsatz, etwa beim jährlich stattfindenden WEF oder bei anderen Konferenzen, überlegen wir uns als Militärpiloten, welche Szenarien eintreffen könnten und wie wir reagieren müssten. In meiner Karriere mit dem PC-7 TEAM war es sodann 2017 während der Ski-WM in St. Moritz zu einem – glücklicherweise glimpflich verlaufenen – Vorfall mit Sachschaden gekommen. Es stellte sich jedoch rasch die Frage, wie man mit der Untersuchung kooperieren und in Zukunft ähnliche Fälle verhindern könnte, ohne sich dabei selbst zu belasten. Denn in der Aviatik muss gemäss der sogenannten «Just Culture» jeder Vorfall eines gewissen Ausmasses gemeldet werden, was im Gegensatz zum strafrechtlichen «Nemo tenetur»-Prinzip steht, welches besagt, dass sich niemand selbst belasten muss. Dieses Rapportieren gilt auch im Wissen, dass in den modernen Cockpits jede Aktion aufgezeichnet wird.
Aus dem Studium mitgenommen habe ich insbesondere eine strukturierte Arbeitsweise, die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen und den Fokus auf das Wesentliche zu legen.
Welche Kompetenzen oder Erkenntnisse aus dem Jus-Studium haben Ihnen besonders geholfen – sei es in der Fliegerei oder allgemein in Ihrer beruflichen Laufbahn?
Aus dem Studium mitgenommen habe ich insbesondere eine strukturierte Arbeitsweise, die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen und den Fokus auf das Wesentliche zu legen. In meinem Arbeitsalltag versuche ich zuerst jeweils eine ganzheitliche Betrachtung einer Problemstellung zu erlangen – sozusagen die Vogelperspektive auf einen Sachverhalt, welche einem Piloten natürlich bestens vertraut ist. Ferner versuche ich, das Einstein’sche Bonmot, «zu wissen, wo Wissen steht», zu beherzigen – anstatt Artikel und Texte auswendig zu lernen. Dies insbesondere darum, weil sich die Regeln und Vorgaben sowohl in der Militäraviatik als auch der Juristerei sehr rasch weiterentwickeln und ändern.
Sie haben einen aussergewöhnlichen Karriereweg eingeschlagen. Wie stellen Sie sich Ihren weiteren beruflichen Werdegang vor?
Als Jetpilot muss man seine berufliche Zukunft auch jenseits des Cockpits im Blick haben, da man in der Regel nicht bis zur Pensionierung vorne im Flieger sitzen kann. Daher plane ich, meine berufliche Ausrichtung mehr und mehr in die juristische Tätigkeit zu verlagern, dies aber weiterhin im Dienst der Schweizer Armee. Zurzeit bin ich hauptsächlich mit der Einführung des F-35A beschäftigt und kann meine Jus-Kenntnisse unter anderem als Militärrichter anwenden. Mit einem Lächeln im Gesicht komme ich jedoch immer dann nach Hause, wenn ich in der Luft war. Daher möchte ich das Fliegen auch während meiner restlichen Karriere in geeigneter Form beibehalten.
Was raten Sie heutigen Jus-Studierenden, die sich für unkonventionelle Berufswege interessieren?
Zunächst möchte ich alle ermutigen, die sich überlegen, ein Jus-Studium als Zweitausbildung zu absolvieren. Denn persönlich erachte ich es eher als Vorteil, wenn man später im Leben studiert: So hat mir die bereits gesammelte Lebenserfahrung geholfen, die teilweise abstrakten Regeln mit konkret Erlebtem zu verknüpfen. Zudem ist es von Nutzen, wenn man als angehende Juristin bzw. angehender Jurist bereits auf einem Spezialgebiet tätig ist und sich dort reinkniet. Denn so kann man seine persönliche Nische finden und ist in dem, was man gerne macht, in der Regel auch gut. Zu guter Letzt ist die Universität Luzern ein idealer Studienort: zentral gelegen, in der Nähe des Bahnhofs und des Sees. Auch kann man sich aufgrund des sehr guten Betreuungsverhältnisses aktiv einbringen, wenn man das will. Ausserdem möchte ich allen Studierenden raten: Geniesst die Zeit, nehmt das Studium ernst, aber auch mit Humor. Geniesst die Kameradschaft, weil es neben der Arbeitstechnik und allenfalls auch den erlernten Sprachen das ist, was auch nach dem Studium bleibt – unter anderem etwa im Rahmen der ALUMNI Organisation.