Julia Jeannine Schmid mit dem besprochenen Buch im Universitätsgebäude
(Bild: Roberto Conciatori)

Schweiz, Anfang der 1970er-Jahre: Das Stimm- und Wahlrecht ist Frauen verwehrt, im Konkubinat zusammenzuleben unvorstellbar und die wissenschaftliche Karriere auf das traditionelle Rollenbild zugeschnitten. In dieser Zeit beginnt Regula Kyburz-Graber (*1950) ihren Weg in die Forschung. In der autobiografischen Erzählung «Professorin werden» schildert die dreifache Mutter, wie ihr gelungen ist, was nur wenigen Frauen ihrer Generation möglich war: Familie und wissenschaftliche Karriere zu verbinden. Die Geschichte handelt von enttäuschender Forschung, strukturellen Hürden, veralteten Rollenbildern sowie von der Suche nach Sinnhaftigkeit, von Hartnäckigkeit, einem fortschrittlichen Betreuungsmodell und von grossen Chancen.

1998 wird Kyburz-Graber die erste Professorin an einem Höheren Lehramt in der Schweiz und die erste Professorin für Gymnasialpädagogik an der Universität Zürich. Ungeschönt und in lebhaften Anekdoten verdeutlicht sie, wie herausfordernd ihr Weg dorthin als Frau und insbesondere als Mutter war. Als Wendepunkt nennt sie ein intensives Gespräch mit ihrem Mann, im Zuge dessen sie sich beide für die gleichberechtigte Verteilung der Familienarbeit entschieden. Ihr Mann reduzierte daraufhin sein Arbeitspensum auf 60 Prozent, in einer Zeit, in der das alles andere als üblich war, und schaffte so Raum für Regula Kyburz-Graber, ihren Karriereweg weiterzugehen. Damit wurden Familie und Karriere für sie nicht nur vereinbar, sondern gar zur gegenseitigen Bereicherung.

Fünfzig Jahre nach Kyburz-Grabers Karrierestart, kurz vor Beginn meines eigenen Doktorats, las ich ihr Buch zum ersten Mal. Schnell wurde mir bewusst, dass die Lebensrealität, in die mich Kyburz-Graber entführte, nicht der meinen entspricht – und doch war vieles erschreckend vertraut. So lässt mich das Buch damals wie heute dankbar, ermutigt und entschlossen zurück: dankbar für alle, die den Weg künftigen Generationen ebneten, ermutigt, dass Vereinbarkeit möglich ist, und entschlossen, meinen Beitrag zur Gleichstellung zu leisten. Die Autobiografie von Regula Kyburz-Graber ist weit mehr als ein Fenster in die Vergangenheit, sie ist Mutmacherin, Inspiration und vielleicht sogar Ratgeberin für junge Wissenschaftler*innen.
 

Regula Kyburz-Graber
Professorin werden
Hier und Jetzt, Zürich 2020

Julia Jeannine Schmid

Oberassistentin Klinische Psychologie; Dr.