In der US-amerikanischen Politik ist Religion stark präsent, wird aber auch instrumentalisiert. Dr. Aleksandra Brand gibt Einblicke in ihr Buch zur Verflechtung von Religion und Politik und erklärt, welche Rolle Heilige Schriften darin spielen.
Christliche Fundamentalisten und Fundamentalistinnen greifen immer wieder in die Politik ein und rechtfertigen sich meist mit der Bibel. «Schon vor Donald Trumps erster Amtszeit sind in den USA gefährliche polit-religiöse Vermischungen aufgekommen. Nach seiner Wiederwahl 2024 wurden sie noch zahlreicher und stärker», erklärt Dr. Aleksandra Brand vom Lehrstuhl für Exegese des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät.
Auf diese Entwicklungen reagierte eine internationale Forschungsgruppe dieses Jahr mit der zweisprachigen Publikation «Die Heilige Schrift in der katholischen Kirche/Holy Scripture in the Catholic Church» (siehe Box unten). «Welche Rolle Religion spielt, wird meist unterschätzt», meint Aleksandra Brand. «In der Exegese können wir uns nicht nur die Texte selbst anschauen, sondern auch die Konzepte, mit denen gearbeitet wird. Ich verfolge die gesellschaftlichen Umwälzungen in den USA, aber auch in anderen Ländern. Was da passiert, kann aus meiner Sicht nicht vollständig erklärt werden, wenn man Heilige Schriften und die Art, wie sie ausgenützt werden, ausser Acht lässt.»
Vom Symposium zum Buch
Am Anfang des Projektes stand 2021 ein Symposium, das sich damit befasste, wie die kirchliche Gemeinschaft in den abrahamitischen Religionen und Konfessionen gebildet und gefestigt wird und welche Rolle dabei das Lesen des jeweiligen religiösen Textes spielt. Mit den beiden Organisatoren des Symposiums, Prof. Dr. Aaron Pidel SJ aus den USA und Prof. Thomas Söding von der Universität Bochum, hat Dr. Aleksandra Brand den darauf aufbauenden Sammelband herausgegeben.
Die Theologin fasst das Projekt so zusammen: «Das Ziel war es, eine wissenschaftliche Untersuchung des Verständnisses von Heiligen Schriften in Religion, Politik und Gesellschaft zu liefern. Gerade Aaron Pidels Perspektive aus den USA zur Rolle der Bibel in der amerikanischen Gesellschaft und Politik hat seit dem Symposium an Aktualität nichts eingebüsst.» Was die Publikation nun exemplarisch für die Bibel macht, könne in einem nächsten Schritt auf andere Heilige Schriften erweitert werden.
Heilige Schriften als Rechtfertigung
Schon seit ihrer Promotion beschäftigt sich Brand mit der offenen Grenze zwischen Staat und Kirche: «Der Staat im Neuen Testament ist keine Demokratie, soll aber der Gerechtigkeit dienen. Er wird durch das Steuerzahlen bestätigt. Er hat auch Aufgaben und Pflichten, und dort, wo Ungerechtigkeit auch im politischen System wirkt, da wird deutlich kritisiert.» Gerade gefährliche polit-religiöse Verflechtungen würden angeprangert und Instrumentalisierungen des Göttlichen für das Politische aufgebrochen. «Zurzeit passiert aber gerade in den USA und auch teilweise in Südamerika das Gegenteil», so Brand.
Wichtig sei deshalb, dass Gläubige verstehen, in welchem Kontext die Bibel geschrieben wurde. Wenn sie die Texte mit ihren Hintergründen in der Zeit, aus der sie stammen, verstünden, seien sie weniger versucht, einzelne Stellen zu fixen Handlungsanweisungen zu überhöhen. So könne zum Beispiel Jesu Bergpredigt eine Orientierung für das Leben sein – eins zu eins in die Politik übertragbar sei sie aber nicht. «Es braucht zudem eine Reflexion über die eigene Situation, in der man die Bibel liest und von welcher persönlichen Geschichte man geprägt ist», gibt Brand zu bedenken. «Passiert dies nicht, ist unreflektiertem religiösem Fundamentalismus Tür und Tor geöffnet, der – wie schon oft in der Geschichte – Texte von Glaubensgemeinschaften instrumentalisiert und korrumpiert.»
Diskurs über die Verflechtung angestossen
Der Sammelband steht gemäss Aleksandra Brand erst am Anfang weiterer Forschung: «Das Buch ist eine Ist-Analyse der Bedeutung der Heiligen Schrift in Kirche und in der Gesellschaft.» Die Autorinnen und Autoren stellen fest, dass in Deutschland Bibel und Glaube in der Öffentlichkeit viel weniger präsent sind als in den USA. In Zentraleuropa gibt es die Tendenz, religiöse Symbole aus öffentlichen Räumen zu entfernen, während die Präsenz von religiösen Themen in den USA im letzten Jahrzehnt stark angestiegen ist.
Damit stellten sich aber schon die nächsten Fragen, erklärt Brand: «Was bedeutet das für mein Glaubensbekenntnis, wenn es in den USA zu einem Lippenbekenntnis zu verkommen und in Europa zu verstummen droht?»
Fragen aufzuwerfen, war für das Projekt von Anfang an vorgesehen. Indem der Sammelband Forschungsstand und Forschungslücken sichtbar macht, kann er einen wissenschaftlichen Diskurs anstossen. Die Autorinnen und Autoren möchten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wissenschaftliche und kirchliche Schriftauslegung Fundamentalismus bekämpfen können. Forschende anderer Disziplinen können nun Antworten suchen, was eine Präsenz von religiösen Themen für Glaubensgemeinschaften, Politik und Gesellschaft bedeutet und wie diese verschiedenen Gruppen damit umgehen.
Publikation und Symposium
Der Band ist unter dem Titel «Die Heilige Schrift in der katholischen Kirche/Holy Scripture in the Catholic Church» im Herderverlag in der Reihe Herders Biblische Studien (Bd. 102) erschienen. Seitens der Theologischen Fakultät Luzern haben nebst Dr. Aleksandra Brand auch Prof. Dr. Ursula Schumacher und Prof. Dr. Robert Vorholt Aufsätze beigesteuert. Gefördert wurde das Buchprojekt von der Humboldt Stiftung (Deutschland) sowie der Konrad-Adenauer Stiftung (Deutschland).
Das zweitägige Symposium «Holy Scripture in the Catholic Church – Ecclesial Dimensions of Biblical Hermeneutics» fand im Mai 2021 an der Universität Bochum statt. Flyer
