Demokratisch legitimiert ist sowohl die Universität Luzern als Ganzes als auch jede ihrer Fakultäten. Professor Adrian Loretan beleuchtet die Traditionslinie dieser Idee.

Blick auf das Gebäude der Universität Luzern

1997 stand die Existenz der damaligen Universitären Hochschule Luzern, der Vorinstitution der Universität Luzern, auf dem Spiel. So hatte die Kommission zur Überprüfung des Leistungsauftrags im Zuge von Sparmassnahmen dem Regierungsrat deren Schliessung vorgeschlagen. Doch dieser ging nicht darauf ein und beauftragte das Erziehungs-und Kulturdepartement im Rahmen des Projekts «Luzern ’99» vielmehr damit, ein Konzept für deren Weiterführung zu erarbeiten. Schliesslich vermochten ökonomische Argumente zu überzeugen. Denn wieso zahlt der Kanton Luzern für seine notgedrungen auswärts studierenden Einwohnerinnen und Einwohner jährlich enorme Summen an die Universitätskantone? Ein Gutachten der Universität St. Gallen rechnete vor, wie der Kanton einen Teil dieser Beträge gewinnbringend in eine eigene Universität investieren könnte. Als damaliger Dekan der Theologischen Fakultät wollte ich in jedem Fall die Namen der drei Fakultäten im daraufhin entstehenden Universitätsgesetz verankert wissen. So bekamen die ersten drei Fakultäten (die Theologische, die Geistes-sowie die Rechtswissenschaftliche) eine direktdemokratische Verankerung, als am 21. Mai 2000 bei der kantonalen Abstimmung 72 Prozent der Stimmbürgerinnen und -bürger ein Ja in die Urne legten. 

Als Gegenargument gegen die Nennung der Fakultäten wurde die Schwerfälligkeit bei Veränderungen genannt. Jede neue Fakultät musste damit ebenfalls demokratisch legitimiert werden. Mindestens das Parlament hatte jeder Erweiterung zuzustimmen. Das bedeutete, dass die Universität jeden Ausbauschritt einer neuen Fakultät dem Parlament vorzulegen hatte. Eine Kommunikation zwischen Parlament und Universität entstand. Somit ist nicht nur die Universität als Ganzes demokratisch legitimiert, sondern alle der mittlerweile sechs Fakultäten. Der Souverän, das Volk des Standes Luzern, hätte theoretisch bei allen bisherigen positiven Parlamentsentscheiden das fakultative Referendum ergreifen können (was in einem Falle, 2014, ja dann auch tatsächlich geschah). Denn der Souverän ist das Volk, nicht ein Fürst wie im Nachbarland, wo die Universitäten die Namen der Fürsten tragen, die sie begründet haben. 

Ist eine demokratisch legitimierte Universität ein Widerspruch? Im Gegenteil.

Ist eine demokratisch legitimierte Universität ein Widerspruch? Im Gegenteil. Die direkte Demokratie war schon bei den mittelalterlichen Gründungen der Universitäten Pate gestanden. Das College Christ Church an der Universität Oxford, an dem unter anderem John Locke studiert hatte, steht in der Nachfolge mittelalterlicher Colleges der Benedikti­ner. Man übernahm nicht nur die Liegenschaften, sondern auch die Selbstverwaltung des Klosters. Im Kloster sind die Mönche seit der Antike rechtlich einander gleichgestellt. Der Abt «soll den Rat der Brüder anhören» (Regula Benedicti Kap. 3). Dieses synodale Zuhören der Vorsteher veranlasste die Benediktiner, Kapitelsäle zu bauen. Die Zisterzienser haben bei ihrer Interpretation der Benediktsregel einen neuen Begriff entwickelt: parliamentum (lat.). Dahinter steht der zugrunde liegende kanonische Rechtssatz, wonach «das, was alle angeht, auch von allen behandelt und approbiert werden [muss]». Diese mittelalterliche Rechtsregel des kanonischen Rechts veranschaulicht sehr präzise, wie Demokratisierung auch an der Universität verstanden wurde. 

Einige der zisterziensischen Verfahrensweisen des parliamentum fanden Eingang in die spätere Praxis des britischen parliament. Dank kirchlichem Recht entstanden demokratische Institutionen im Bildungsbereich (Universität), im Wirtschaftsbereich (Zünfte), im Staatsrecht (öffentliches Recht), in der Landwirtschaft (Korporationen) usw. Diese Rechtskultur der Westkirche war entscheidend für die Rechtsentwicklung des Westens als Gemeinschaft von demokratischen Rechtsstaaten. Es stellt sich die Frage: Warum wurde dieses demokratische Modell des kanonischen Rechts von den Rechtsstaaten des Westens aufgenommen, nicht aber von der Westkirche? 

Mit dieser Thematik befasse ich mich im Rahmen meiner soeben publizierten neuen Studie «Der demokratische Rechtsstaat – eine Ideengeschichte. Zur Rechtskultur des Westens und der Westkirche» (Theologischer Verlag Zürich; Print und Open Access). Es steht ausserdem im Fokus meiner Abschiedsvorlesung nach 30 Jahren als Professor, die ich am 1. Oktober gehalten habe.

Mehr Infos zur Abschiedsvorlesung inklusive Tonaufzeichnung und Fotos

«cogito»-Interview mit Professor Adrian Loretan zu den Erkenntnissen aus seiner neuen Studie

«cogito»-Beitrag zur Gründung der Universität Luzern mit dem ersten Rektor Walter Kirchschläger

Foto Adrian Loretan

Adrian Loretan

Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht; Co-Direktor des interfakultären Zentrums für Religionsverfassungsrecht

www.unilu.ch/adrian-loretan