Forschungsdialog über das Sein

«Being is said in many ways, in many languages, in many traditions»: Die an der Universität Luzern durchgeführte internationale Konferenz brachte jüdische, christliche und muslimische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen.

Prof. Dr. Giovanni Ventimiglia gibt Einblick in seine Forschung

Von New York bis Tübingen, von Washington D.C. bis Freiburg, von Paris bis Tel Aviv, bis hin zu Köln und München – Spezialisten für jüdische, christliche und islamische Philosophie und Theologie kamen vom 4. bis 7. September an der Universität Luzern zusammen, um an der internationalen Konferenz «Being is said in many ways, in many languages, in many traditions» teilzunehmen. Die von der Forschungskommission der Universität Luzern finanzierte Veranstaltung bildete den Abschluss des Forschungsprojekts «Senses of Being» unter der Leitung von Professor Giovanni Ventimiglia und seinem Team, bestehend aus Marta Borgo (Paris/Luzern), Mostafa Najafi (Luzern), Iacopo Costa (Paris/Luzern) und Davide Falessi (Luzern/Paris).

Zu den internationalen Gästen, die mit ihren Beiträgen zur Veranstaltung beitrugen, gehörten: Professorin Kristell Trego (Universität Freiburg), Expertin für lateinische und arabische Philosophie; Professorin Silvia Donati (Universität Köln, Deutschland), Spezialistin für die lateinische Rezeption von Aristoteles; Professor Gyula Klima (Fordham University, New York), Forscher der lateinischen Philosophie des 13. und 14. Jahrhunderts und der zeitgenössischen Philosophie; Professor Yehuda Halper (Bar-Ilan-Universität, Israel), Experte für jüdische Tradition; Francesco Zamboni (Universität Tübingen, Deutschland) und Zachary Candy (kanadischer Doktorand, der in München und Luzern studiert), beide Forscher der Philosophie und Theologie der arabischen Tradition sowie Professoren Gregory Doolan (Catholic Universtiy of America) und Fabrizio Amerini (Universität Prama), beide Experten der lateinischen mittelalterlichen Tradition.

Das Thema der Konferenz war die Rezeption der aristotelischen Lehre über die Vielfalt der Bedeutungen des Seins. Es handelt sich um ein Thema der Metaphysik des griechischen Philosophen Aristoteles, das seit dem Mittelalter die Agenda jüdischer, christlicher und muslimischer Philosophen und Theologen geprägt hat. Nach den drei abrahamitischen Religionen ist Gott nämlich sein eigenes Sein, rein Akt. Die Beiträge der Teilnehmer haben deutlich gezeigt, wie die aristotelische Metaphysik im Laufe der Jahrhunderte eine Brücke war, die es verschiedenen Religionen und Kulturen ermöglichte, sich zu begegnen, sich gegenseitig zu bereichern und gemeinsam zu wachsen. Man denke nur daran, dass Thomas von Aquin, einer der grössten Philosophen und Theologen des christlichen Abendlandes, sich in jungen Jahren anhand der Kommentare des islamischen Philosophen Averroes zu den Werken Aristoteles' oder anhand des Werks «Führer der Unschlüssigen» des jüdischen Theologen Moses Maimonides bildete.

Die Konferenz spiegelte voll und ganz die Mission des Zentrum für Theologie und Philosophie der Religionen (TheiRs) unter der Leitung von Professor Ventimiglia wider, die darin besteht, Brücken zwischen verschiedenen Religionen, Sprachen, Kulturen und Traditionen zu bauen und die Philosophie zu einer gemeinsamen Plattform für den Dialog zu machen.

Neben der Vielfalt der vertretenen religiösen Traditionen war ein weiteres charakteristisches Merkmal der Konferenz die Wertschätzung der Mehrsprachigkeit und einer Geschichtsauffassung der Philosophie, die sich nicht nur auf den Westen konzentriert. Getreu dieser sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die die Philosophie seit Jahrhunderten historisch geprägt hat, wurden die diskutierten Texte nicht nur auf Englisch oder Deutsch vorgetragen, wie es an Universitäten oft der Fall ist, sondern auch auf Altgriechisch, Latein, Arabisch und Hebräisch. So bot die Konferenz Raum für Denktraditionen, die an westlichen Universitäten fast immer marginalisiert werden, wie beispielsweise die jüdische und die islamische. Tatsächlich würdigten die Beiträge der Teilnehmer innerhalb dieser Traditionen Autoren, die in akademischen Debatten fast immer fehlen, weil sie fälschlicherweise als «unbedeutend» angesehen oder einfach völlig ignoriert werden. Dank ihrer Arbeit an der Transkription unveröffentlichter Manuskripte haben die Forscher und Forscherinnen des Teams von Professor Ventimiglia der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft wichtige, bisher unveröffentlichte Texte zugänglich gemacht, insbesondere in Latein.

Abschliessend wurden die Ergebnisse des SNF geförderten Forschungsprojektes «Senses of Being. The Medieval Reception of Aristotle’s doctrine starting from Metaphysics V 7 (1017 a7-b9)» zusammengefasst und Strategien zur Verbreitung der Ergebnisse auch aus didaktischer Sicht diskutiert. Tatsächlich verfolgt das TheiRs seine Mission auch auf der Ebene der Lehre und der Wissensvermittlung. Die bisher erzielten Ergebnisse sind sehr ermutigend. So diskutieren beispielsweise im Masterstudiengang «Philosophy, Theology and Religions» christliche, jüdische, muslimische und atheistische Studierende aus aller Welt (Schweiz, USA, Iran, Russland, Deutschland, Ägypten, Indien und Italien, um nur die am stärksten vertretene Länder zu nennen) mit akademischer Ernsthaftigkeit und Freundschaft Themen wie die Natur Gottes, die Philosophie des Aristoteles und die aktuellen Herausforderungen der Religionsphilosophie.

Dies sind ermutigende Zeichen für die Theologische Fakultät der Universität Luzern, die sich seit jeher und zunehmend in der akademischen Landschaft als Forschungs- und Lehrzentrum profiliert, an dem der interreligiöse Dialog nicht nur ein abstraktes Studienfach ist, sondern konkret praktiziert wird, in Dialogen, die jeden Tag ernsthaft und friedlich stattfinden.

Impressionen der Konferenz