SNF-Forschungsprojekt: Was macht der Tourismus mit der Vergangenheit?

Touristischer Geschichtsgebrauch: Die Postproduktion des Mittelalters im 21. Jahrhundert

Es ist erstaunlich, dass beim Reden über Gedächtnis- und Erinnerungskultur eine prominente Form modernen Geschichtsgebrauchs fast vollständig ignoriert wird: Tourismus. Tourismus ist aber am Beginn des 21. Jahrhunderts keine Randerscheinung, sondern eine der wachstums- und umsatzstärksten globalen Dienstleistungssektoren. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts floriert er als Bildermaschine, die aus Imaginationen buchstäblich ökonomische Wirklichkeiten erzeugt. Dabei nimmt Tourismus historische Monumente und Ereignisse intensiv in Anspruch, und zwar auf eine Weise, die sich deutlich von älteren nationalstaatlichen und religiösen Vorläufern unterscheidet. Welche neuen Erscheinungsformen von Vergangenheit entstehen dabei, und wie lassen sie sich beschreiben?

Das Projekt untersucht diese Phänomene an zwei Fallstudien zu aktuellen Jubiläumsveranstaltungen. Beide starten am 1. Mai 2013. Das Dissertationsprojekt von Silvia Hess untersucht die 700 Jahr-Feiern der Schlacht am Morgarten 1315 in Schwyz und Zug. Das Dissertationsprojekt von Christoph Luzi ist den Veranstaltungen gewidmet, die anlässlich des 600. Jahrestages des Konstanzer Konzils 1414-1418 deutschen Grenzstadt am Bodensee ausgerichtet werden. Sowohl das Konstanzer Konzil wie die Schlacht am Morgarten haben in der jeweiligen nationalen Geschichtskultur des ausgehenden 19. und des frühen 20. Jahrhunderts eine prominente Rolle gespielt. Sie wurden in ganz unterschiedlichen Formen und Medien in Szene gesetzt – in Romanen, populären Geschichtsbüchern, Theateraufführungen, Historiengemälden und in Filmen. Mit welchen Mitteln wurden dabei "historische" Atmosphäre geschaffen und "Mittelalter" inszeniert? Welche veränderten Schwerpunkte haben die neuen Inszenierungen in den Jubiläumsveranstalten von 2014 und 2015 gegenüber ihren Vorläufern? Welche Spannungen ergeben sich aus den Wünschen nach möglichst authentischem Material "am Originalschauplatz" und der Nutzung als Fremdenverkehrsattraktion?

Welche neuen Erscheinungsformen von Vergangenheit entstehen dabei, und wie lassen sie sich beschreiben? Dem widmet sich ein neu gestartetes Projekt am Historischen Seminar.