Die Abtei Einsiedeln und das Benediktinerinnenpriorat Fahr 1960-1980. Reform von Hierarchie- und Geschlechterordnungen


Das Forschungsprojekt untersucht den gesellschaftlich bedingten Strukturwandel innerhalb von Klöstern in der Zeit während und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). Zum Untersuchungsbereich gehören auch der unterschiedliche kirchliche Status von Frauen und Männern, der Aufbau interner und externer Netzwerke sowie die Auseinandersetzung mit den schwindenden Mitgliederzahlen der Konvente. Das Vorhaben zur Benediktinerabtei Einsiedeln (SZ) und dem Priorat Fahr (AG) vernetzt nationale Forschung mit aktuellen Arbeiten, die für andere Länder geleistet wurden – etwa zum Thema der Individualisierung in den Orden.
Rechts- und Beziehungsstrukturen zwischen der Benediktinerabtei Einsiedeln und dem Priorat Fahr
Das Projekt unter der Leitung von Dr. Esther Vorburger-Bossart erforscht die Veränderungen von Rechts- und Beziehungsstrukturen zwischen der Benediktinerabtei Einsiedeln und dem von ihr seit dem Mittelalter abhängigen Frauenkloster Fahr. Als treibende Kräfte der nachkonziliaren Zeit wirkten kirchlich wie gesellschaftlich anerkannte Persönlichkeiten: Die beiden Einsiedler Äbte Benno Gut (1897-1970) und Raimund Tschudy (1914-2011) waren in Rom direkt an den Konzilsverhandlungen beteiligt. Durch die juristische und geistliche Leitung des Priorats Fahr durch das Kloster Einsiedeln wird eine beachtliche Innensicht ermöglicht. Die Veränderungen durch das Konzil und den kirchlichen und gesellschaftlichen Aufbruch zeigen sich sowohl in der Frauen- als auch in der Männergemeinschaft und lassen auch Ergebnisse für geschlechtergeschichtliche Fragen zu. Durch ihre heute einzigartige Stellung als benediktinisches Doppelkloster bilden Einsiedeln und Fahr einen unvergleichlichen Einblick in die historische Tradition des Miteinanders von Frauen und Männern im Ordensleben.
Für das Priorat Fahr treten in dieser Zeit die Schriftstellerin Sr. Hedwig Walter (Silja Walter 1919-2011) und die Priorin Sr. Elisabeth Galliker (1909-1996) hervor. Die bekannte Dichterin Silja Walter leistete entscheidende Beiträge zur kirchlichen Reform in ihrem Kloster, insbesondere auch zur Neupositionierung des Frauenkonventes gegenüber der Abtei Einsiedeln. Im Kloster Fahr befindet sich der unbearbeitete Nachlass von Silja Walter aus der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, der ebenfalls in einem Forschungsprojekts der Professur für Kirchengeschichte ausgewertet wird.
Fortsetzung der Forschungen zu Geschlechter- und Ordensgeschichte
Das Projekt setzt die Forschungsreihe zu Geschlechter- und Kirchengeschichte an der Professur fort. Unter Prof. em. Dr. Markus Ries wurde bereits in drei vorausgegangenen Projekten der Fokus auf Geschlechter- und Ordensgeschichte gelegt: Das Erste widmete sich religiösen Frauengemeinschaften der Ostschweiz im 20. Jahrhundert (2011–2014). Es setzte das soziale Engagement in Beziehung zur Untersuchung weiblicher Identitäten und untersuchte die Auswirkungen der sozialen Betätigung dieser Gemeinschaften auf die Gesellschaft. 2015–2018 untersuchten die Forschenden Lebensgeschichten von Diakonissen und Ordensschwestern, die in Schweizer Mutterhäusern ihrer Gemeinschaften leben. Das Oral-History-Projekt sicherte dadurch Wissen, das angesichts des hohen Alters der befragten Frauen ansonsten verschwunden wäre. Im vergangenen Jahr abgeschlossen wurde das daran anschliessende dritte Projekt (2019–2023), das sich mit den Lebensgeschichten von Benediktinerinnen und Benediktinern in der Deutschschweiz und in benachbarten Gebieten auseinandersetzte. Die darin erschlossenen alltags-, geschlechter- und religionsgeschichtlichen Daten wurden unter anderem daraufhin untersucht, wie sich die Lebensrealitäten von Nonnen und Mönchen unterscheiden. Hierzu erschien 2024 die vom Projektmitarbeitenden Dr. Ivo Berther verfasste Dissertation: «Wann ist ein Mönch ein Mönch? Identitäten von Benediktinermönchen anhand lebensgeschichtlicher Interviews» (Murenser Monografien 5).
Subjektgeschichtliche Forschung des nachkonziliaren Katholizismus kann noch in vielen Bereichen erschlossen werden. So zeigte eine im letzten Jahr erschienene historische Studie zur Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen und deren Ringen um das Berufsbild der Gemeindereferentin, das sich die historischen Untersuchungen für den Katholizismus seit den 1960er Jahren oftmals im institutionsgeschichtlichen Feld befinden.
Das Projekt zur Abtei Einsiedeln und dem Priorat Fahr fokussiert daher auf Basis der bisher durchgeführten Oral-History-Forschung den subjektgeschichtlichen Zugang. Dessen geschlechtergeschichtliche Fragen, die das Verhältnis von Frauen und Männern in Kirche und Gesellschaft prägen, sollen in der konkreten, tiefgehenden Verflechtung der beiden Gemeinschaften darüber hinaus auf die Katholizismus-Forschung wirken.
In dem vom SNF geförderten Projekt arbeiten Dr. Esther Vorburger-Bossart als Leiterin und seit Juli 2025 Stefan Furrer im Rahmen seiner Promotion.

